20. Oktober: Cotton Blossom/Tirupur – ein Fabrikbesuch
Für heute ist der Besuch einer Textilfabrik vorgesehen, um etwas über Produktionsweisen und Arbeitsbedingungen in der hiesigen Textilindustrie zu erfahren. Mit Cotton Blossom (India) Private Ltd. haben unsere Partner für uns den Besuch in einem Musterbetrieb arrangiert.
Wir treffen zunächst mit zwei der drei Direktoren der privat geführten Unternehmensgruppe, Herrn Milton Ambrose John und Frau Philomena zusammen, die uns mit viel Engagement Werdegang, Aufbau und Philosophie ihrer Firma erläutern. Sie umfasst von organisch ausgerichtetem Baumwollanbau, der allerdings für den Eigenbedarf nicht ausreicht, über Spinnereien, Färbereien und alle Arten der textilen Weiterverarbeitung bis hin zum Export in alle Welt. Hauptkunden sind C&A, Tesko, Hema und andere.
Alle Betriebe des Unternehmens haben Zertifikate zum Umwelt- und Arbeitsschutz. Die unter Umweltgesichtspunkten als höchst problematisch einzustufenden Färbereien des Unternehmens arbeiten nach dem Null-Emissions-Prinzip, bereiten ihr Schmutzwasser komplett auf und führen es in den Produktionskreislauf zurück. Energie- und Materialsparen wird groß geschrieben. Sogar eigene Energiegewinnung gehört zum Portfolio: Windenergie und Energiegewinnung aus Produktionsabfällen sind Bestandteil der Gruppe.
Das Unternehmen hat derzeit 6.300 Mitarbeiter, die an 4.500 Maschinen arbeiten. 1997 waren es noch 40 an 24 Maschinen. Nach Aussage der Direktoren werden grundsätzlich keine Mitarbeiter unter 18 Jahren beschäftigt. Sumangali-Verträge werden grundsätzlich nicht abgeschlossen, da das Unternehmen an einer langfristigen Mitarbeiter-Bindung interessiert ist. Stattdessen haben Weiterbildung und Personalentwicklung einen hohen Stellenwert. Mit rund 80 Euro im Monat für einen Helfer bei einer 60-Stunden-Woche liegt die Bezahlung über dem hiesigen Mindestlohn. Das ist nicht viel, liegt aber oberhalb der Armutsschwelle.
Nach dem enthusiastischen Vortrag sind wir sehr gespannt, wie denn nun die Realität in den Betrieben aussieht. Wir erhalten die Erlaubnis, die Fertigung von Polohemden aus organischer Baumwolle für C&A zu besuchen. Wir dürfen alles fotografieren und auch mit den Mitarbeitern vor Ort sprechen.
Gleich bei Betreten der Fabrik begrüßt uns das Schild mit den wichtigsten Informationen überhaupt: den Pausenzeiten und dem Verbot von Kinderarbeit. Das fängt ja gut an, denken wir uns und begeben uns in die Produktionssäle, wo aus Stoffbahnen Zuschnitte gefertigt werden, aus denen dann - nach unserer Meinung - qualitativ sehr hochwertige Polohemden genäht werden. Der gesamte Prozess ist wesentlich aufwendiger, als wir Laien vermutet hatten. Am Ende steht ein Polohemd mit aufgenähten Zierbahnen, einem eingestickten Kolibri mit Strass-Auge, akkuraten Nähten und sauber gesetzten Knöpfen. Preisschilder sind am Ende auch schon dran, aus denen wir entnehmen können, dass das Hemd bei C&A in Spanien neun Euro kosten wird und in Polen 39,60 Zloty, das sind ebenfalls rund neun Euro. Eigentlich kaum vorstellbar bei dem Aufwand!
Aber nun zurück zur Fabrik. Es ist auffällig, dass sich die Angestellten ruhig und ohne Hektik bewegen und gleichmäßig arbeiten. Alle tragen Mundschutz. Es gibt Stelen mit aktuellen Qualitätsstatistiken, Aufrufen zur Unfallvermeidung und zum Energiesparen. Überall hängen Feuerlöscher mit Porträts der freiwilligen Betriebsfeuerwehrleute, betriebliche Ersthelfer sind mit Armbinden gekennzeichnet. Auch die Kennzeichnung der Fluchtwege ist deutlich, die Notausgänge sind offen, die Gänge nicht verstellt. Das ist insbesondere nach den Brand-Katastrophen, die sich jüngst in Pakistan ereignet haben, sehr beruhigend.
Als wir der Werkleiterin zu ihrem Betrieb gratulieren, zieht sie spontan zwei ihrer Assistenten zu sich heran, damit sie mit auf das Foto kommen, und sagt: "It`s team effort. You can`t achieve that just on your own." Sie freut sich sichtlich über unser Kompliment und lacht. "It`s all about being one family", ergänzt einer der Assistenten.
Da noch etwas Zeit ist, halten wir auf der Rückfahrt kurz am Noyyal River. Dieser Fluss fließt durch Tirupur und nimmt alle Abwässer der großen Industriestadt auf. Kläranlagen gibt es in den wenigsten Betrieben, und so ist das Wasser des Flusses hochproblematisch.
Wir sind in der Nähe einer Färberei ausgestiegen, und gleich stinkt es uns im wahrsten Sinne des Wortes. Der Fluss führt nur sehr wenig Wasser, und die am Ufer stehenden Wasserbüffel grasen im Müll. Wahrlich kein schöner Ort! Es bedarf noch vieler Anstrengungen und Initiativen, um aus diesem Gewässer wieder einen sauberen Fluss zu machen.
Nach all der ernsten Materie zum Schluss noch ein paar touristische Bilder, wie man sie aus Indien erwartet: Die Zeit reicht noch für einen kleinen Stadtbummel bei Tageslicht.