Arbeitende Kinder fordern flexible Bildung und faire Löhne für ihre Eltern
terre des hommes-Kinderarbeitsreport 2022 zur ILO-Weltkonferenz Kinderarbeit
Osnabrück/Genf, 12. Mai 2022 – Für Millionen Kinder bedeutete COVID-19 Hunger, Armut und das Ende von Bildungschancen. Die globalen Auswirkungen der Pandemie auf Kinder und ihre Familien sind in vielen Lebensbereichen spürbar. Dies belegt der Kinderarbeitsreport 2022, den das internationale Kinderhilfswerk terre des hommes anlässlich der am Sonntag beginnenden Weltkonferenz der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) in Südafrika veröffentlicht. Der Bericht untersucht, wie sich die Lebensbedingungen von Kindern durch COVID-19 verändert haben und welche Maßnahmen für einen gerechten gesellschaftlichen Wiederaufbau aus der Sicht der Betroffenen erforderlich sind.
Von terre des hommes erhobene Fallstudien in Indien und Peru zeigen, dass viele Kinder infolge der Pandemie arbeiteten, um das Überleben ihrer Familien zu sichern. Dies bestätigt den weltweiten Trend, dass zum ersten Mal seit 20 Jahren die Kinderarbeit aufgrund der Pandemie zunimmt. Unter peruanischen Kindern, die vor der Pandemie zur Schule gingen und nebenbei als Straßenverkäufer*innen arbeiteten, überwiegen mit Blick auf die Zukunft Ängste und Sorgen: Ihre Eltern haben ihre Jobs verloren und keinerlei Perspektive, die Kinder haben wegen mangelhafter technischer Ausstattung in den vergangenen zwei Jahren sehr viel Lernstoff verpasst und den Anschluss an den Unterricht verloren, so dass ihnen nur die Arbeit auf der Straße bleibt. In Indien berichten Mädchen und Jungen, dass sie die Einkommensausfälle ihrer Eltern kompensieren müssen, indem sie in Minen unter gefährlichsten Arbeitsbedingungen das Glimmer-Mineral Mica schürfen. Mica steckt in vielen Produkten, unter anderem wird es aufgrund des Perlmuttschimmers und der guten Leitfähigkeit in der Kosmetik- und Elektronikindustrie verwendet. Oft müssen sie dafür in bis zu 20 Meter tiefe, ungesicherte Schächte hinabsteigen und beim Abbau ihr Leben aufs Spiel setzen. In beiden Ländern beklagen die Kinder die unzureichende Nahrungsmittelversorgung seit COVID-19, in Indien steigt zudem für Mädchen das Risiko der Frühverheiratung, da die Familien ihre Versorgung nicht sicherstellen können.
In Workshops haben die betroffenen Kinder und Erwachsenen jetzt gemeinsam mit Lehrkräften und Regierungsvertreter*innen Empfehlungen für eine nachhaltige und gerechte Wiederherstellung guter Lebensbedingungen nach der Pandemie erarbeitet. Sie fordern zeitlich flexible Bildungsangebote und eine digitale Ausstattung, damit sie früh morgens, nachmittags oder abends nach der Arbeit zu Hause noch lernen können. Das peruanische Schulpersonal und die Regierungsbeamten stellten sich beispielsweise ein Bildungssystem vor, das die notwendigen technischen Ressourcen bereitstellt, um den Zugang der Kinder zum Lernen auch in künftigen Krisenzeiten zu gewährleisten. Darüber hinaus wünschen sie sich ein Bildungssystem, das die für die Entwicklung der Kinder erforderlichen sozialen Kompetenzen berücksichtigt. In Indien wünschten sich Kinder und Erwachsene, dass die Regierung Mädchen und Jungen aus sozial schwachen Haushalten Stipendien, Schuluniformen, Schreibwaren und Fahrräder zur Verfügung stellt und dass Schüler*innen, die eine Schule außerhalb ihres Dorfes besuchen, kostenlos befördert werden. Für die Hochschulbildung schlug ein Lehrer in Indien außerdem zinslose Darlehen und die Verbesserung des virtuellen Zugangs zur Bildung vor allem in abgelegenen Gebieten vor. Darüber hinaus fordern die Kinder und ihre Familien menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Erwachsene. Gerechte Löhne sind notwendig, um die Grundversorgung der Familie, einschließlich der Ausbildung der Kinder, zu sichern.
»Der Bericht zeigt, wie sehr Kinder unter den Folgen der Pandemie leiden«, sagte Beat Wehrle, Vorstandssprecher von terre des hommes. »Das Wohl der Kinder ist durch die Folgen der Pandemie massiv bedroht. Wir sehen einen alarmierenden Anstieg an ausbeuterischer Kinderarbeit in unseren Projektregionen. Die Staatengemeinschaft muss auf der am Sonntag beginnenden Weltkonferenz Maßnahmen beschließen, die es den Ärmsten ermöglichen, mit den Konsequenzen von COVID-19 zu leben und wirtschaftlich und sozial wieder Fuß zu fassen. Dazu gehören vor allem der Schutz vor Gewalt und der Zugang zu Bildung, die es den Kindern ermöglicht, eine Ausbildung zu machen und nicht als Tagelöhner ausgebeutet zu werden.«