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Mareike Birkner von der terre des hommes-Gruppe Hamburg schildert ihre Erfahrungen auf Lesbos

Seit zwei Jahren ist Mareike Birkner in der terre des hommes-Gruppe Hamburg aktiv. Die 30-Jährige wollte eine Organisation unterstützen, »die nicht nur Symptome lindert, sondern auch die Ursachen von Kinderarmut bekämpft«. Als im Herbst und Winter Hunderttausende Flüchtlinge über die Türkei und das Mittelmeer auf Lesbos ankamen, zögerte sie nicht lange und fuhr mit ihrem Freund auf die griechische Insel. Sie hatte das Bedürfnis etwas zu tun und den Menschen zu helfen. Und sie war neugierig und wollte verstehen, was gerade an Europas Außengrenzen passiert und warum. Für uns hat Mareike Birkner ihre intensive und bereichernde Erfahrung beschrieben:

 

Es sieht trostlos und chaotisch aus

Lesbos liegt circa acht Kilometer vor der türkischen Küste, gehört jedoch zu Griechenland und ist somit eine der Inseln, auf der aktuell täglich Tausende Menschen ankommen. In der Regel erreichen die Boote die Insel im Norden. Dort befinden sich auch die Transitcamps, von denen aus die Flüchtlinge in die Registrierungscamps (Hotspots) im Süd-Osten der Insel gebracht werden, bevor sie diese von der Hauptstadt Mytilini aus mit regulären Fähren verlassen.

Die ersten Eindrücke sammeln wir als neu angekommene Helfer unmittelbar im Hafen von Mytilini: Hier liegen Motoren von Schlauchbooten, Schwimmwesten, Kleidungsstücke und es warten einige Flüchtlinge am Hafen auf ihre Weiterreise. Es ist bereits dunkel und kühl als wir ankommen, einige der Wartenden machen ein Feuer, um sich zu wärmen, überall liegt Müll herum, es sieht trostlos und chaotisch aus.

Unser erstes Ziel ist der Norden der Insel, denn hier kommen die meisten Boote an. Einige Helfer haben sich am Strand positioniert und beobachten die sich nähernden Boote mit Ferngläsern. Sie informieren die Küstenwache, falls notwendig. Darüber hinaus gibt es freiwillige Helfer, die mit eigenen Booten vor Ort sind. Für alle Flüchtlinge, die auf Lesbos angekommen sind, besteht die Möglichkeit, mit kostenlosen Bussen zum Transitcamp zu fahren. Viele fragen nach WLAN, um der Familie mitteilen zu können, dass die Überfahrt gelungen ist.

Die freiwilligen Helfer haben viel erreicht

Nachdem die Flüchtlinge in das Transitcamp gefahren wurden, erhalten sie zunächst ein Busticket für die Fahrt in eines der beiden Registrierungscamps (Hotspots). Hier kümmert sich die griechische Polizei in Kooperation mit Frontex darum, dass alle Flüchtlinge registriert werden (im Idealfall mit Foto, Fingerabdruck und Passnummer). Jeder Flüchtling erhält auf Lesbos Papiere, die die Weiterfahrt ermöglichen – Abschiebungen werden von hier nicht vorgenommen.

Die Versorgung mit Essen, Kleidung, Schlafplätzen, Information bezüglich der Registrierung und Weiterreise (und vieles mehr) wird in den Hotspots durch ehrenamtliche Helfer möglich gemacht. Wenn sie mit den Booten auf der Insel ankommen, sind die ersten Reaktionen der Flüchtlinge sehr verschieden: Während die einen weinen und unter Schock stehen, zeigen sich andere erleichtert. Viele klatschen und jubeln, weil sie es geschafft haben. Es wirkt abstrus zu sehen, dass circa 50 Personen aus einem Schlauchboot aussteigen. Die meisten Menschen haben nasse Kleidung an. Während wir als freiwillige Helfer damit beschäftigt sind, Kleidung und Essen auszugeben, machen Reporter Fotos. Andere Helfer organisieren einen Bus, damit die Flüchtlinge zum Transitcamp gebracht werden können, und ein paar Leute räumen den Strandabschnitt auf.

Da es nicht genügend Schuhe gibt, werden in der Regel nur neue Socken ausgegeben. Diese werden mit Fuß in Plastiktüten gesteckt, bevor es wieder zurück in die alten und nassen Schuhe geht. Nachdem sich der Trubel ein wenig gelegt hat, helfen wir beim Saubermachen des Strandabschnittes und finden auch die Zeit, uns mit anderen Freiwilligen auszutauschen. Durch die Hilfe der Ehrenamtlichen hat sich schon einiges getan auf Lesbos: Zu Beginn mussten alle, die hier ankamen, zur Registrierung circa 70 Kilometer nach Mytilini laufen. Ein Transitcamp, Schlafmöglichkeiten, Kleidung, Bustransporte und Essen gab es nicht.

Hotspot Moria: wenige Toiletten, viel Dreck

Als wir wieder im Hafen sind, müssen in Not geratene Boote gerettet werden: Nass, Kalt, verängstigt und überfordert kommen die Menschen hier an. Ein Boot von Frontex hat die Flüchtlinge gerettet. Es sind Journalisten vor Ort, die versuchen, bewegende Bilder der verstört wirkenden Menschen zu schießen. Insgesamt empfinde ich die Situation als chaotisch – die Polizei läuft umher und versucht, die Flüchtlinge mit Hilfe einiger Freiwilliger zu zählen, die Flüchtlinge versuchen, ihre Familie zusammenzusammeln, Taschen zu finden und mitzuteilen, was gerade passiert ist und wer noch fehlt. Ein Junge, dessen Englisch recht gut ist, berichtet, dass das Boot volllief mit Wasser, weil zu viele Menschen darauf waren. Er erzählt von der Panik auf dem Boot – von schreienden Frauen und Kindern, von weinenden Menschen, die um ihr Leben fürchten.

In den kommenden Tagen arbeiten wir im Transitcamp Oxy. Es wirkt wie ein kleines Dorf. In der Mitte steht ein großes Zelt des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR, drum herum gruppieren sich ein Container in dem die Busticketvergabe organisiert wird, ein Ort für die Essensausgabe, zwei Kleiderausgaben, ein Ärztezelt, weitere kleine Zelte zum Ausruhen und Schlafen, ein paar Toilettenwagen und ein Platz, an dem die Busse parken, damit die Flüchtlinge einsteigen und weiterfahren können zu den Registrierungscamps. Im Transitcamp haben die Flüchtlinge zum einen die Möglichkeit einmal durchzuatmen, zu essen und auszuruhen, bevor es weitergeht. Zum anderen hat das Camp die Funktion alle Flüchtlinge aufzuteilen für die Hotspots Kara Tepe und Moria.

Ein heftiges Gewitter tobt und viele haben keinen Schlafplatz

Das Moria Camp ist ein ehemaliges Gefängnis. Hinter den hohen Stacheldrahtzäunen findet die Registrierung statt. Darüber hinaus befinden sich im inneren Kleiderlager und Schlafplätze für Kranke, Menschen mit Behinderung, Schwangere und Familien mit Säuglingen oder kleinen Kindern. Die Schlafplätze sind begrenzt, darum wird genau geschaut, wer den größten Bedarf hat. Alle anderen müssen draußen bleiben und sind auf sich selbst gestellt. Es gibt zu wenig Essen, nicht genügend Schlafplätze, die Kleiderausgabe hat nicht rund um die Uhr geöffnet und auch die Ärzte sind nicht 24 Stunden am Tag da. Die Duschen sind in einem ekelhaften Zustand, es stinkt nach Urin und es ist wahnsinnig dreckig. Insgesamt stehen circa 15 Dixi-Klos auf dem gesamten Gelände für 2.000 bis 10.000 Flüchtlinge, die hier warten.

Das Gelände wird weitgehend von privaten Helfern organisiert. Es gibt ein paar freiwillige Ärzte, die sich zusammengeschlossen haben, und ein paar Helfer, die sich als Gruppe »better days for Moria« nennen und Flüchtlinge mit Zelten, Schlafsäcken, Kleidung, Essen und vor allem Informationen versorgen. Die Gruppe ist gerade erst entstanden, es bestehen noch keine Strukturen, Schichten oder klare Regeln. Vieles wird jeden Tag neu geregelt, es gibt enorme Reibungsverluste und eine hohe Frustrationsrate unter den Helfern. Wir beschließen spontan uns dieser Gruppe anzuschließen und einfach mit anzupacken.

Die kommenden Tage sind anstrengend und chaotisch: Wir geben Kleidung und Essen aus, versuchen, so viele Informationen zu teilen wie möglich. Wir räumen auf, bauen auf und ab, versuchen, im kleinen Kreis Strukturen zu schaffen und stoßen dabei immer wieder an Grenzen – zu viele Helfer sind vor Ort mit unterschiedlichen Ansichten, so dass jeder am Ende einfach drauf loslegt.

In der letzten Nacht vor unserer Abreise schüttet es aus Eimern. Ein heftiges Gewitter tobt über der Insel. Ich denke an all die Menschen die abends in Moria angekommen sind und keinen Schlafplatz mehr gefunden haben. Sie sind dem Wetter schutzlos ausgeliefert. Es kommt mir unmenschlich vor, was hier passiert.

Weitere Informationen über die terre des hommes-Arbeit für Flüchtlingskinder finden Sie hier. mehr