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»Was ist das für ein Arbeitsbegriff?«

Interview mit Alejandro Cussiánovich, der am 3. November 80 Jahre alt wurde

Seit Jahrzehnten engagiert sich der Pädagoge und Befreiungstheologe Alejandro Cussiánovich für arbeitende Kinder in Peru. Mit terre des hommes verbinden ihn eine lange Geschichte und viele Freundschaften. »Das erste Mal traf ich Alejandro im Januar 1986, als terre des hommes in Lima einen Workshop zum Thema verlassene Kinder durchführte«, erinnert sich Albert Recknagel, der heute als verantwortlicher Vorstand  die Hilfsprogramme bei terre des hommes steuert. »Er fiel sofort mit seinen klaren, empathischen und unkonventionellen Beiträgen auf. Alles, was er sagt und macht ruht auf einer menschenfreundlichen, engagierten und positiven Grundhaltung.«

Bei der Gründung der Kinderarbeiter-Bewegung MANTHOC spielte Cussiánovich eine wichtige Rolle. Bereits seit 1987 ist MANTHOC ein wichtiger Projektpartner von terre des hommes. »MANTHOC hat uns tief und weit in den Alltag und die Visionen der arbeitenden Kinder in Peru und Lateinamerika geführt«, so Recknagel. »Ohne MANTHOC und Alejandro wären unsere Positionen zu Kinderarbeit und Kinderpartizipation weniger emanzipatorisch und provokativ.«

Das Verbot aller Formen von Kinderarbeit hält Cussiánovich für einen großen Fehler. Darüber und über den Begriff von der Arbeit sprach Iris Stolz mit ihm.

Alejandro, warum sollte Kinderarbeit nicht verboten sein?

Verbote führen vor allem dazu, dass die Kinder in der Illegalität arbeiten und die Bedingungen deshalb sehr schlecht sind. Verbote versuchen, ein soziales Problem auf juristische Art zu lösen, was nicht funktioniert. Kinderarbeit sollte reguliert werden, aber dabei geht es vor allem um die Frage, unter welchen Bedingungen gearbeitet wird.

Die Internationale Arbeitsorganisation ILO sieht das anders.

Beide ILO-Konventionen haben konzeptionelle Schwächen in Bezug auf das, was da unter Arbeit verstanden wird. Die Konvention 182 gegen die »schlimmsten Formen der Kinderarbeit« bezeichnet zum Beispiel Kinderprostitution als Arbeit. Aber ist Kinderprostitution etwa Arbeit? Nein. Es ist ein Verbrechen. Auch Kinderhandel oder die »Arbeit« als Kindersoldat werden dort genannt. Was für einen Arbeitsbegriff hat man da? Offenbar wird alles, was Geld abwirft, als Arbeit bezeichnet. Aber die Geschichte der menschlichen Arbeit ist eine andere.

Viele Menschen haben ein sehr negatives Bild von der Arbeit…

Sie denken an Leid, Zwang und Tätigkeiten, die keine Freude machen und alle Energien rauben. So sollte Arbeit aber nicht sein, auch nicht für Erwachsene. 

 

Fehlt arbeitenden Kindern nicht die Zeit zum Lernen?

Wie viele Kinder schauen Stunden lang fern? Haben die etwa Zeit zu lernen? Oder sie sind den ganzen Tag im Internet und haben nicht mal Zeit, mit ihren Eltern zu reden. Arbeit und Lernen ist kein Gegensatz. 90 Prozent der arbeitenden Kinder, die bei MANTHOC organisiert sind, gehen zur Schule. Und viele Ex-MANTHOC-Kinder gehen heute sogar zur Universität. Außerdem kann man auch außerhalb der Schule vieles lernen.

In Bolivien wurde im Juli 2014 ein Gesetz erlassen, das Kinderarbeit unter bestimmten Bedingungen erlaubt. Wird das dazu führen, dass dort mehr Kinder arbeiten?

Nein, ich denke nicht. Sie werden nur etwas besser geschützt sein.

6.11.15

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