Zum Inhalt springen

Sie sind hier:

»Die Kinder erkennen die Art der Waffe an ihrem Geräusch«

Interview mit Gebran Bachier, Mitarbeiter von terre des hommes Italien in Syrien

Seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien leben mehr als 80 Prozent der Bevölkerung in Armut. Viele Kinder müssen arbeiten oder werden als Kindersoldaten zwangsrekrutiert. Seit 2012 unterstützt terre des hommes Flüchtlinge in Syrien, Gebran Bachier koordiniert die psychosoziale Betreuung vor Ort. Im Interview erklärt er, wie Kinder den Kriegsalltag erleben und terre des hommes Hilfe leistet.

Wer sind die Begünstigten des Hilfsprojektes in Syrien?
Wir fokussieren uns auf Flüchtlinge, die innerhalb ihres eigenen Landes vor dem Krieg geflüchtet sind. Nicht jede Gemeinde möchte diese Flüchtlinge aufnehmen. Wir sind eine der wenigen Organisationen, die sich mit dem Integrationsproblem in Syrien befasst. Wir vermitteln zwischen Flüchtlingen und Gemeinden, damit die Eingliederung klappt.

Wie viele Kinder und Familien werden aktuell gefördert?
Momentan betreuen wir mehr als 5.000 Bedürftige mit unseren psychosozialen Angeboten. Zusätzlich haben wir 45.000 Essenskörbe, die wir an die syrischen Familien verteilen.

Wie wird Eure Hilfe angenommen?
Wir geben den Familien Trost und Hoffnung. Viele sind angesichts der Kriegserlebnisse überfordert und mutlos. In einigen Regionen haben wir ein Vermitllungssystem eingeführt: Wenn Familien Hilfe brauchen, leiten wir sie schnell an die richtigen Stellen weiter. Wir arbeiten stetig daran, dieses System weiter auszubauen.

Gibt es Anzeichen dafür, dass die internationale Hilfe jetzt stärker anläuft?
Nein, dafür gibt es keine Anzeichen. Syrien ist ein Land, das jeden Tag mehr Hilfe benötigt. Täglich wird irgendwo im Land eine Schule zerbombt. Viele Menschen haben keinerlei Zugang zu Gesundheitsversorgung oder zu ärztlicher Hilfe.

 

Was geht in den Köpfen der Kinder vor?
Was geht in den Köpfen der Kinder vor? KRIEG! Alles dreht sich um den Krieg. Die Kinder erkennen die Art der Waffe am Geräusch. Ganz gleich ob Junge oder Mädchen, sie kennen alle Typen von Raketen, Panzern und Kriegsmaschinen. Die Kinder spielen oft Kriegsspiele in ihren Camps. Viele trauern um ihre Geschwister, Onkel, Tanten, um ihre Eltern. Der Krieg und seine Folgen begleiten sie durch ihr junges Leben.

Welche Vorstellungen haben die Kinder von ihrer Zukunft?
Trotz der ungeheuerlichen Umstände haben viele Kinder typische Kinderträume. Manche möchten Arzt werden, um Leben zu retten, andere träumen von einem eigenen Haus und einem Auto, wenn sie groß sind. Aber sie alle haben die Hoffnung, irgendwann zurückkehren zu können, um zu gucken, was von ihrem Zuhause, ihrem Kinderzimmer und ihrem Spielzeug noch übrig ist.

Welches Erlebnis hat Sie bisher am stärksten beeindruckt?
Das Schicksal eines Geschwisterpaares: Fatima, neun Jahre alt, und ihr Bruder Hamzeh, sieben Jahre alt. Zwei völlig entkräftete Kinder, beide an Kinderlähmung erkrankt. Das Lachen in ihren Gesichtern und die strahlenden Augen, als wir sie in unserem Hilfsprojekt aufgenommen haben – das werde ich nie vergessen!


Was ist für die Helfer/innen im Moment die größte Bedrohung?
Einmal schlug eine Rakete weniger als 20 Meter von unserem Büro in Damaskus entfernt ein. Momentan arbeite ich in Sweida. Auf dem Weg dahin muss ich eine Straße entlang, von der die bewaffneten Truppen lediglich drei Kilometer weiter Stellung bezogen haben. Auch Helfer haben Ängste.

Wie gehen Sie und die Mitarbeiter/innen von terre des hommes Italien mit der Situation vor Ort um? Wir versuchen stetig, uns aufzutanken, uns seelisch zu erholen. Zweimal im Monat organisieren wir eine Selbsthilfegruppe. Und wir achten darauf, dass jeder seinen Anspruch auf regelmäßige Erholung wahrnimmt.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft, vor allem von Europa?
Die Rekrutierung von Kindersoldaten können wir nur stoppen, wenn wir den Kindern ihre Rechte zurückgeben. Wir brauchen mehr Unterstützung, wir brauchen Menschen, die mit uns daran glauben, dass der Schutz von Kindern der wichtigste Schlüssel zu einer friedlichen Welt in der Zukunft ist.

28/07/2016

 

Zurück zum Seitenanfang

Bleiben Sie doch noch einen Moment –
und abonnieren Sie unseren Newsletter!

Jetzt anmelden!

Bleiben Sie informiert.
Abonnieren Sie unseren Newsletter!

Jetzt anmelden!