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Chinua Achebe: Der Pfeil Gottes

Roman
Taschenbuch
Aus dem Englischen von M. von Schweinitz
Fischer-Verlag, Frankfurt (Main) 2015
Preis €  10,99  
ISBN: 978-3-596-90609-3    

Lange vergriffen, ist ein Klassiker der afrikanischen Literatur endlich wieder lieferbar: Chinua Achebes Roman »Der Pfeil Gottes«. Der Fischer-Taschenbuch-Verlag macht damit einen weiteren Band der Trilogie zugänglich, deren erster Band »Alles zerfällt« bereits 2012 wieder aufgelegt wurde und seit 2014 als Taschenbuch erhältlich ist. Nun erscheint »Der Pfeil Gottes« gleich in der Taschenbuchversion, was der Verbreitung des Buches hoffentlich dienen wird.  

Chinua Achebe nimmt seine Leserinnen und Leser erneut mit in seine nigerianische Heimat. Der Roman spielt in den frühen Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts, also in einer Hochphase britischer Kolonialpolitik. Er lebt von den Spannungen, die durch das Aufeinandertreffen der traditionellen dörflichen Igbo-Kultur und der britischen Kolonialverwaltung ausgelöst werden.

Zugang zu einer schwer zugängliche Welt
Im Mittelpunkt der Geschichte steht die Person des Igbo-Priesters Ezeulu, der die Geschicke des Dorfes Umuaro, einem Zusammenschluss von neun kleineren Dörfern, nach rituellem Grundmuster lenkt. Detailliert und in prächtiger bildreicher Sprache schildert Achebe den dörflichen Alltag und die in den Jahresablauf von Saat und Ernte  eingebundenen Feste. Es ist eine der Stärken des Buches, dass es den Leser in eine Welt hinein führt, die sonst nur schwer zugänglich ist und etwa in ethnischen Studien nur ungleich blasser erfahrbar bleibt. Dass Achebe mit seinen Romanen wesentlich dazu beigetragen hat, den modernen afrikanischen Gesellschaften ihre eigene Historie bewusst werden zu lassen, hat die afrikanische Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichi in ihrem Vorwort zu »Alles zerfällt« nachdrücklich herausgestellt. Bis zur Lektüre der Romane Achebes, schreibt sie, »hatte ich nicht gewusst, dass Menschen wie ich in der Literatur vorkommen konnten. Hier war ein Buch, das selbstbewusst afrikanisch war, das auf schmerzhafte Weise vertraut, aber auch exotisch war, weil es das Leben meines Volkes vor hundert Jahren ganz genau schilderte«.
      
Es ist hilfreich, sich vor Augen zu halten, dass der Roman in England bereits 1964 erschienen ist und seine Leser insbesondere in der britischen Öffentlichkeit suchte und fand. Kolonialliteratur war und ist ein populäres Genre in England. Es speist sich, bei aller Unterschiedlichkeit individueller Charakterisierungen -  man denke nur an Joseph Conrads »Herz der Finsternis« oder an Somerset Maughams »Outstation« - aus dem Gegenüber weißer Zivilisation und traditioneller Kulturlosigkeit. Selbst die Praxis britischer Kolonialpolitik, sich eines Systems indirekter Herrschaft zu bedienen, hebt dieses Gegeneinander nicht auf. Die traditionellen Würdenträger werden lediglich dazu benutzt, Einfluss im Sinne der Kolonialherren zu nehmen; sie sind bloße Instrumente der Kolonialherrschaft, keineswegs jedoch Mittler der Kulturen.  

Nicht zum Befehlsempfänger degradieren lassen  
Achebe reibt sich an diesem Konflikt: seine Hauptperson Ezeulu lehnt es ab, sich von der Kolonialverwaltung zum Chief ernennen zu lassen, und sich auf einen Wandel einzulassen, der ihn vom Priester, der seine Autorität aus dem Zwiegespräch mit der Gottheit des Dorfes bezieht, zum bloßen Befehlsempfänger einer fremden Macht  degradieren würde.  Bis es zu diesem finalen Konflikt kommt, werden beide Lebenswelten feinstrichig dargestellt. Achebe kennt offenbar die gängige britische Literatur seiner Zeit und gönnt sich einige pointierte Passagen über die Kolonialverwaltung und ihre Vertreter. Captain Winterbottom, ein alter Haudegen, und Tony Clarke, sein junger Vize, werden gleichwohl nicht unsympathisch porträtiert. Dazu passt, dass auch Ezeulu, die Hauptperson des Romans, nicht nur sympathische Züge trägt. Es ist herrisch, nicht selten rechthaberisch, im Umgang selbst mit seiner Familie nicht frei von Dünkel und Ungerechtigkeiten. Ihm widerfährt durch den Autor die gleiche Behandlung wie sie anderen Bewohnern der Dörfer zuteil wird. Rivalität bis hin zu erbitterter Feindschaft wird auch zwischen den Dörfern aufgezeigt. Was Achebe präsentiert, ist alles andere als eine heile vorkoloniale Welt. Im Gegenteil, man ist geneigt zu sagen, dass den Dörflern nichts Menschliches fremd ist.  Es ist eben nicht der Zusammenprall von Gut und Böse, sondern eine Begegnung verschiedener Lebenswelten, die sich durchdringen, aber in ihrer Unterschiedlichkeit nicht verstehen.  Dass am Ende die Niederlage afrikanischer Traditionen steht, ist ein Fakt, den Achebe kühl registriert.

Ohne Schuldzuweisungen und falsche Romantik  
So frei, wie das Buch von Schuldzuweisungen ist, so frei bleibt es auch von jeglicher Romantik beim Rückblick auf die überkommene Tradition. In dieser Differenziertheit liegt die Stärke des Buches. Dazu sei noch einmal Ndozi Adichi zitiert: »Ein Leser, der einfache Antworten von Chinua  Achebes Werk erwartet, wird enttäuscht sein, weil er ein Schriftsteller ist, dem Ehrlichkeit und Vieldeutigkeit wichtig sind und der jede Situation in ihrer Komplexität schildert. Kritik an den Auswirkungen des Kolonialismus auf die Igbo ist seinem Werk immanent, aber ebenso ein Hinterfragen der inneren Struktur der Igbo-Gesellschaft«.  

Lohnend und empfehlenswert ist die Lektüre allemal, wenngleich die Editionstechnik des Verlags einige Kritik verdient. Hatte der Fischer-Verlag „Alles zerfällt“ neu übersetzen lassen und mit einem taufrischen Vorwort von Ndozi Adichi versehen, greift er hier auf die alte Übersetzung zurück, zusammen mit einem Nachwort aus dem Jahr 1993. Da hätte es durchaus etwas mehr sein dürfen.  

Jürgen Hambrink

Ein Gesamtübersicht aller in dieser Rubrik besprochenen Bücher und Leseempfehlungen finden Sie auf unserer Seite »terre des hommes-Medientipps«.      

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