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Leila S. Chudori: Pulang (Heimkehr nach Jakarta)

Roman
Weidle Verlag, Bonn 2015
429 Seiten
Preis: € 25,00
ISBN-13: 9783938803752
ISBN-10: 3938803754  


Wenig ist hierzulande von der indonesischen Literatur bekannt, wenige Autorinnen und Autoren sind seit dem Ende der Kolonialzeit ins Deutsche übersetzt worden. Erst die Buchmesse 2015, bei der Indonesien Partnerland war, hat die deutsche Leserschaft auch mit jüngeren Autorinnen und Autoren aus Indonesien bekannt gemacht.  

Leila Chudori, 1962 geboren, veröffentlichte nach Kurzgeschichten ihren ersten Roman »Pulanc (Heimkehr nach Jakarta)«  2012. Der Roman zeichnet die Lebensgeschichte einer Gruppe von Freunden nach, die sich, obwohl sie politisch sehr unterschiedlich denken und sich auch in sehr unterschiedlichen Gruppen engagieren,   im Jakarta der 60er Jahre zusammenfinden. Einige teilen das Exil in Paris ab 1965, zu einer Zeit also, in der der Vietnamkrieg die politische Auseinandersetzung in Europa bestimmte und die Ereignisse in Indonesien auch unter den politisch Aktiven eine untergeordnete Rolle spielte.

Die Ära Suharto
Der Roman spielt 1965, 1968 und 1998. Die Ereignisse werden aus der Sicht der Freunde, aber auch deren Frauen und Kinder erzählt. Die Erzählperspektive wechselt mehrfach. Was jeder der Freunde erlebt, ist ab 1965 eine Konsequenz der politischen Veränderungen, des Anschwellens der Protestbewegung, des Sturzes Sukarnos und der sich anschließenden Verhaftungswelle. Persönliches und Politisches lässt sich nicht trennen, und auch für die Freunde und ihre Familien im Exil gibt es keinen Rückzug ins Private.  

Bis heute ist ungeklärt, wer tatsächlich für den Putsch gegen Sukarno 1965 verantwortlich war.  General Suharto schlägt den Putsch nieder, sorgt für die Absetzung Sukarnos und schiebt den Putsch der Kommunistischen Partei und der chinesischen Minderheit in die Schuhe. Festnahmen, Folter, Morde, ein angeleiteter mörderischer Mob gegen die chinesische Minderheit – um die 500.000 Tote sind zu beklagen. Es folgt die Ächtung der Familien von Linken oder vermeintlichen Linken.

Jeder mit einer eigenen Fluchtgeschichte
Vier der Freunde treffen sich nach dem Putsch im Exil in Paris, jeder mit einer anderen Fluchtgeschichte. Dimas Suryo, die Hauptperson des Romans,  verliebt sich 1968 auf einer der großen Demonstrationen in eine Pariserin. Er und seine Freunde waren 1965 auf einer Reise außer Landes, konnten sich auf diese Weise retten. Sein engster Freund, Hananto Prawiro, ein kommunistischer Studentenführer, taucht unter. Er wird 1968 verraten und überlebt die  Folterkeller Suhartos nicht. 

Die Liebe zwischen Dimas Suryo und Vivienne Deveraux gibt vor allem zu Beginn der Pariser Zeit den Freunden Stabilität. Sie suchen Arbeit, sie lesen alles, was sie über Indonesien erfahren können. Sie finden heraus, wie sie mit der Heimat in Verbindung bleiben können, ohne Verwandte und Freunde in Indonesien zu gefährden. Dimas kann kochen, und schließlich verwerfen sie alle anderen  Ideen des Geldverdienens und eröffnen ein Restaurant. Das Restaurant wird ein voller Erfolg. Leila Chudori erzählt von der Erleichterung, in Sicherheit zu sein, aber doch auch von der Angst um alle, die in Indonesien geblieben sind. Die Freunde geben eine Exilzeitschrift heraus, aber ihre Existenz bleibt unsicher. Vor allem Dimas ist zwiespältig. Er liebt Vivienne und seine Tochter und kann sich doch nicht wirklich an das Pariser Leben gewöhnen. Der Auftritt von Geheimdienstmitarbeitern der indonesischen Botschaft wird humorvoll beschrieben, dennoch bleibt der Schrecken.  
Vivienne spürt bald, dass Dimas nicht wirklich in Paris ankommen wird. Zudem erfährt sie, dass Dimas früher in Jakarta die Frau geliebt hat, die Hananto dann geheiratet hat. Mit ihr und ihren Kindern sind die Freunde in Kontakt geblieben und haben sie finanziell so oft wie möglich unterstützt. Vivienne trennt sich von Dimas, bleibt aber mit ihm und allen anderen freundschaftlich verbunden. 

Nicht mit Exilierten abgeben
Reisen nach Indonesien bleiben auch später für Dimas unmöglich. Jeder seiner Anträge wird von der Botschaft abgelehnt. Den Indonesiern in Paris wird dringend empfohlen, sich nicht mit den Exilierten von 1965 abzugeben. Auch in Indonesien selbst sind Aktivisten der 60er Jahre isoliert und finden oft keine Arbeit. Dimas Tochter Lintang studiert an der Sorbonne. Ihre Liebe zu einem Mitstudenten aus einer indonesischen reichen Familie in Paris wird durch ihren Vater auf eine harte Probe gestellt. Er fällt beim ersten Zusammentreffen mit der Familie ihres Freundes aus der Rolle, weil er die enge Verbindung der Familie zur indonesischen Botschaft und damit zur Dikatur Suhartos erkennt. Lintang ist empört, dass ihr Vater ihren Freund und dessen Familie nicht als Personen, sondern als Vertreter des Regimes sieht. Sie spricht nicht mehr mit ihm, besucht ihn nicht mehr im Restaurant, obwohl die Freunde sie bitten.  

Lintang bereitet sich auf den Abschlussfilm ihres Studiums an der Filmhochschule vor. Ihr Professor drängt sie, im Film ihre Herkunft zu thematisieren, mit ihrem Vater über das Exil und über Indonesien zu sprechen und auch in Indonesien Interviews mit den Familien der Ermordeten oder politisch Geächteten von 1965 zu machen. Sie interviewt ihren Vater und die Freunde, die ihr den Weg nach Jakarta ebnen. Sie muss den Film innerhalb von 3 Wochen fertigstellen. Erst bei der Ankunft wird ihr klar, dass dies unmöglich ist, da die Interviews an Schreckliches rühren und Zeit brauchen:  Zeit für das Kennenlernen und Zeit für vorsichtiges Nachfragen. Außerdem erlebt sie, wie sich die zunächst studentischen Proteste gegen die Diktatur Suhartos intensivieren. Sie ist, wie damals der Vater in den Protesten gegen Sukarno, nun mitten drin im politischen Prozess, der zum Abtreten Suhartos führt,. Sie findet eine vorläufige Antwort auf die Frage, wer sie sei, und bleibt nach Abschluss ihrer Arbeit in Jakarta.   

Drei Schicksalsjahre
1965, 1968, 1998 – drei Schicksalsjahre in Indonesien und für die Indonesier, die Exil im Ausland gefunden hatten. Drei Schicksalsjahre für die Freunde und Liebenden des Romans. Chudori verknüpft die persönlichen Schicksale mit den Ereignissen in Indonesien. Das wirkt manchmal etwas konstruiert, aber dennoch so eindrücklich dargestellt, dass man in das Geschehen des jeweiligen Jahres hineingezogen wird. Am Ende des Romans zweifelt man mit Lintang und den anderen jungen Leuten, ob es für die Demokratie Indonesiens eine gute Basis ist, die Ereignisse von 1965, aber auch die Gewaltausbrüche 1998 nicht aufzuklären. Für die Elterngeneration im Roman, sei es im Exil oder in Indonesien, bleibt die offensichtliche Diskriminierung eine Wunde.  

Das Buch ist vielschichtige Liebesgeschichte und Politikroman zugleich. Es liest sich leicht trotz fremder Namen und uns meist unbekannter geschichtlicher Ereignisse. In den letzten Jahren hat der Tourismus nach Bali, Sulawesi und zu anderen Inseln zugenommen. Und so vielleicht auch das Interesse an der Geschichte und Kultur dieses Landes. Dem Buch, das einen Einblick in die jüngere Geschichte, aber auch in Werte und die kulturelle Vielfalt des Landes gewährt, seien viele Leser, Reisende und Nichtreisende gewünscht.    

Monika Huber

Ein Gesamtübersicht aller in dieser Rubrik besprochenen Bücher und Leseempfehlungen finden Sie auf unserer Seite »terre des hommes-Medientipps«.

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