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Nicolaus Schmidt: Viet Duc

Deutsch-vietnamesische Biografien als Spiegel der Geschichte.
Verlag: Kerber Verlag
208 Seiten
Preis: € 39.95
ISBN-13: 9783735604842
ISBN-10: 3735604846

Ursprünglich sollte es eine Fotoausstellung auf Einladung der deutschen Botschaft in Hanoi werden. Ein Fotoprojekt, das die vielfältigen deutsch-vietnamesischen Beziehungen abbilden sollte. Doch die Lebensgeschichten der Porträtierten erwiesen sich als so interessant und vielfältig, dass aus dem Projekt des Fotografen und Historikers Nicolaus Schmidt nicht nur eine Ausstellung, sondern auch ein umfangreiches Buch wurde.
Ein Buch, das Geschichte und Geschichten der vietnamesisch-deutschen Beziehungen von 1954 bis 2017 und der jeweiligen Protagonisten erzählt. Und zwar die zwischen Nordvietnam und der damaligen DDR und die zwischen Südvietnam und der damaligen BRD, wie auch die Geschichte nach den jeweiligen Wiedervereinigungen – eine nicht zu vernachlässigende Parallelität der beiden Länder Vietnam und Deutschland.

Vielfältige Beziehungen: Vietnam, DDR, BRD
Diese Geschichte beginnt mit den vietnamesischen Schulkindern, die nach der Schlacht bei Dien Bien Phu 1955 nach Moritzburg bei Dresden kamen, um vor allem eine polytechnische Schulbildung zu erwerben. Für die DDR ein Prestigeprojekt, für Nordvietnam ein wichtiger Schritt zur technischen Modernisierung. Nach 1959 kamen Jugendliche, die eine Facharbeiterausbildung absolvierten, später vor allem junge Männer, die ein technisches Studium an den Universitäten der DDR begannen.

Ab 1960 unterstützten die BRD und die Universität Freiburg den Aufbau einer medizinischen Fakultät in Hue (damals Südvietnam), aus Südvietnam kamen zahlreiche junge Menschen, um an den Universitäten der BRD zu studieren.
Viele der InterviewpartnerInnen von Nicolaus Schmidt sind diese früheren Studierenden, die nach ihrer Rückkehr einen wichtigen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung Vietnams leisten. Es sind ganz unterschiedliche, spannende Lebensgeschichten, die hier erzählt werden.

»Sütterlin ist meine Spezialität«
So gelang es Le Huy Van in den 60er Jahren die Hochschule für industrielle Formgestaltung Halle (heute Burg Giebichenstein) zu besuchen, statt Maschinenbau zu studieren und dort 1970 das Examen als industrieller Formgestalter abzulegen. Zurück in Vietnam entwarf Le Huy Van das »Hanoi Glas«, ein aus recyceltem Glas bestehendes Bierglas, das bis heute in Gebrauch ist. Zwischen 1998 und 2005 war er stellvertretender Direktor der Hochschule für Design Hanoi.

Oder Nguyen Thi Thanh Tam, die in Leipzig Philosophie studierte und heute in Hanoi ihre eigene Firma International Economic Consulting betreibt. 1989 hat sie noch an den Montagsdemonstrationen in Leipzig teilgenommen.
Zu Wort kommen nicht nur erfolgreiche AkademikerInnen, sondern auch einige der von terre des hommes im Vietnamkrieg unterstützten kriegsverletzten Kinder. Vo Thi Kieu Chinh lebt heute in Ho-Chi-Minh-Stadt und arbeitet in der Qualitätskontrolle bei der Erfassung deutscher Texte. Sie sagt von sich selbst »Sütterlin ist meine Spezialität.«

Francis Van Hoi ist nach einem erfolgreichen Berufsleben in München nach Vietnam zurückgekehrt und hat ein Berufsbildungszentrums für Kinder und Jugendliche aus armen Familien aufgebaut. Die dreijährige Berufsausbildung konnten zwei Drittel der Jugendlichen erfolgreich abschließen und anschließend eine bezahlte Arbeit in der Gastronomie finden.

Viele kehrten nach Vietnam zurück
Mit Doi Moi intensivierte sich 1985 die wirtschaftliche deutsch-vietnamesische Zusammenarbeit. Mehr und mehr deutsche Firmen siedelten sich in Vietnam an. Für die gut ausgebildeten Vietnamesen eine Gelegenheit, nach Vietnam zurückzukehren. Manche als Geschäftsführer großer Industriebetriebe, andere als in Deutschland geborene bzw. seit Kindertagen dort lebende junge Frauen und Männer, die nun in Vietnam versuchen, beide Herkünfte in sich zu vereinigen.

Doch nicht nur von Vietnamesen und Vietnamesinnen mit Erfahrungen in Deutschland ist im Buch die Rede, sondern es werden auch Deutsche vorgestellt, die schon längere Zeit dort leben und arbeiten. Einer der »jüngsten« Unternehmer ist Michael Zangl, der in seiner Wurstmanufaktur in Da Nang aus regionalem Schweinefleisch Weißwürste und Leberkäse produziert und damit vietnamesische Oktoberfeste beliefert.

Kulturelle Kooperationen
In Kunst und Kultur gibt es eine funktionierende vietnamesisch-deutsche Zusammenarbeit, deutsche Künstler haben Reisestipendien, eine deutsche Konservatorin arbeitet mit ihrem vietnamesischen Mitarbeiter erfolgreich an der Bewahrung der alten Kaiserstadt Hué, ein in Deutschland aufgewachsener Schauspieler vietnamesisch-laotischer Herkunft legt gerade eine erfolgreiche Karriere in Vietnam hin.

Das Buch hat einen umfangreichen, großformatigen Fototeil, gefolgt von chronologisch angelegten Kapiteln, die die Geschichte Vietnams im Zusammenhang mit deutscher Geschichte darstellen. Diese Kapiteln werden jeweils durch die Lebensgeschichten einzelner Vietnamesinnen und Vietnamesen, vietnamesisch-deutschen Kollegenpaaren und Deutschen, die in Vietnam arbeiten, ergänzt.

Lust auf Vietnam

Eine spannende Lektüre, was die vielfältigen, einzelnen Lebensgeschichten betrifft. Eine überraschende Lektüre, weil in keiner der vietnamesischen Lebensgeschichten Diskriminierungserfahrungen vorkommen, sondern des Lobes voll sind über Deutschland als demokratisches Land mit fairen Regeln.

Und ein Buch, das Lust macht, nach Vietnam zu reisen und einen eigenen Eindruck von dieser aufstrebenden asiatischen Mittelmacht zu bekommen. Dazu tragen die Fotos von Nicolaus Schmidt sehr viel bei.

Das Buch ist dreisprachig deutsch-vietnamesisch-englisch.

Ursula Pattberg

Ein Gesamtübersicht aller in dieser Rubrik besprochenen Bücher und Leseempfehlungen finden Sie auf unserer Seite »terre des hommes-Medientipps«.

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