Daniel Alarcón: Stadt der Clowns
Wagenbach Verlag Berlin 2012
188 Seiten; 18,90 Euro
Mit dem Buch »Stadt der Clowns« führt Ihnen Daniel Alarcón ein Lima vor Augen, das Ihnen bei Ihrer Reise nach Peru bestimmt verborgen geblieben ist. Die im Buch versammelten Erzählungen sind in den letzten sieben Jahren in Englisch und Spanisch erschienen. Zum ersten Mal erscheinen sie nun auf Deutsch. Liebe, Hass, Eifersucht, Armut, Gewalt, der tägliche Überlebenskampf und der unerklärte, unverarbeitete Krieg der 80er Jahre sind die Zutaten der dicht und spannend erzählten Geschichten. Die Geschichten
ereignen sich an einem Ort, der aus der Sicht der jeweiligen Protagonisten selbstverständlich ist und zugleich im Verlauf der jeweiligen Ereignisse als außergewöhnlich wahrgenommen wird: Lima, die Stadt der Clowns, wie eine der Erzählungen heißt.
Stadt mit vielen Gerüchten
Über eine Frau in der erschütternden Unfallgeschichte »Die Brücke« heißt es: »... wie wir alle glaubte sie Dinge über unsere Stadt, ohne sie bestätigt bekommen zu müssen«. Die Stadt bebt vor Gerüchten. Lima breitet sich in großer Geschwindigkeit aus, immer neue Bretterbuden- und Pappkartonsiedlungen fressen sich in die Wüste. Die Randsiedlungen haben Namen wie Los Miles (die Tausende), Venedig (ironisch) oder Gaza. Die Hauptpersonen in den Erzählungen haben Schwierigkeiten, sich zurechtzufinden. Lima sei, wie es an anderer Stelle heißt »…voll vom Leben Zermürbter«.
Ein Scheitern ist zu jeder Zeit möglich, aber das Behaupten der eigenen Würde im Scheitern auch. Die Ich-Erzähler aus der Mittelschicht lässt Alarcón sich in den weitverzweigten Stadtvierteln und kilometerlangen Straßen im Wüstensand, die sie noch nie vorher betreten haben, verlieren. Das Lebensgefühl drückt ein neuerdings Arbeitsloser und schmerzhaft Verliebter so aus: »In dieser Stadt ist nichts sinnloser, als sich ein Leben vorzustellen. Morgen ist so ungewiss wie nächstes Jahr.«
Betteln im Clownskostüm
Der Autor zeichnet in den meisten Geschichten Menschen, die zwar nicht am äußersten Rand der Gesellschaft leben, die aber dennoch Angst vor Arbeitslosigkeit und Armut haben müssen. In »Stadt der Clowns« wird beschrieben, welche Demütigungen zu ertragen sind, wenn man aus Not im Clownskostüm betteln muss.
Zwei Geschichten des Buches greifen die Jahre des Krieges gegen den Leuchtenden Pfad auf. In einer töten Jugendliche nachts Hunde, die nicht schwarz sind. Und einer der jungen Männer erlebt, wie die Tötung der Hunde zum Mord an einem Polizisten wird. Diese Geschichte ist Ende der 70er Jahre angesiedelt. Der Leser wird in die Atmosphäre der Straße und ihrer sinnlosen Gewalt hineingezogen. Der Ich-Erzähler könnte auch die Hauptfigur der Erzählung »Krieg bei Kerzenschein« sein, den wir auf seinem Weg in den Kampf gegen den Staat begleiten. Seinen Versuchen, sich daraus zu lösen, schenkt man von Anfang an keinen rechten Glauben und ahnt, dass es der Weg in den zu frühen gewaltsamen Tod sein wird. In dieser dichten Geschichte gelingt es dem Autor, Motive deutlich zu machen, die einen jungen Mann dazu bringen konnten, zur Waffe zu greifen, Motive, die mehr sind als ein Hineinschlittern. Vermittelt wird aber auch – wie in Alarcóns Buch »Lost City Radio« - die Aussichtslosigkeit, sich wieder zu lösen, hat man einmal zu kämpfen begonnen.
Listen und Tricks zum Überleben finden
Eine Folge des Krieges ist die verstärkte Zuwanderung nach Lima, die in allen Geschichten eine große Rolle spielt. Über Nacht entstehen neue Hüttensiedlungen, die nicht mehr aufgegeben werden und sich Stück für Stück in das Land hineinfressen. Peru hat circa 30 Millionen Einwohner, davon leben etwa neun Millionen in der Metropole Lima, die weitaus größte Zahl in Vierteln ohne Versorgungsinfrastruktur. Fast alle Erzählungen handeln auch davon, wie sich die Menschen -mit Arbeit, ohne Arbeit, arm, weniger arm, oder am Rande die Metropole- ihre Stadt, oder auch nur einen kleinen Ausschnitt von ihr, zu eigen machen und wie die Stadt auch die Familien prägt, die Liebe möglich oder unmöglich macht und den Bewohnern aufgibt, Listen und Tricks zu finden, um zu überleben. Oft geht es auch nicht, ohne kriminell zu werden. Das Buch schließt mit der Erzählung »Die Stadt der Clowns«. Sie hinterlässt den Leser beunruhigt mit der Traurigkeit des Bettlers, der als Clown verkleidet ist. Man wird genau hinsehen bei der nächsten Reise.
Wie kann Menschlichkeit, Würde und Liebe unter diesen extremen Bedingungen bewahrt werden? Darauf versucht Daniel Alarcón mit jeder Erzählung eine Antwort zu geben. Gut, dass seine Geschichten so meisterhaft und oft mitreißend geschrieben sind. Die Erzählungen des Bandes sind sehr gut ausgewählt und hervorragend übersetzt.
Daniel Alarcón wurde 1977 in Lima/ Peru geboren, lebt aber in Kalifornien und schreibt in Englisch und Spanisch. Bereits im Jahre 2007 erschien von ihm das Buch »Lost City Radio« in den USA. Es war sein erster Roman, für den er viel Lob erhielt. Zuvor hatte er Kurzgeschichten und Anthologien veröffentlicht. Im Wagenbach-Verlag in Berlin erschien 2010 das Buch »Lost City Radio« in deutscher Sprache. Auf unserer Medienseite finden Sie zu diesem Buch ebenfalls eine Rezension (Rezension lesen). Auch in diesem Buch sind Armut und die aus ihr hervorgehende Gewalt und ihre Verselbständigung das Hauptthema. Daniel Alarcón wurde vielfach mit den großen lateinamerikanischen Erzählern wie zum Beispiel Alejo Carpentier oder Miguel Angel Asturias verglichen.
Rezension: Monika Huber
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