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Alonso Cueto: Die blaue Stunde

Bt Bloomsbury Taschenbuch Verlag;
1. Aufl. 2008, 318 Seiten, 9,90 Euro

 

»So lebte ich viele Jahre lang mit dem Bewusstsein, dass mein Vater in Ayacucho gegen die Terroristen von Sendero Luminoso gekämpft und etwas getan hatte, um unser Vaterland zu verteidigen, und wir ihm deshalb Respekt schuldeten«. Nach dem Tod seiner Mutter kommen diese Gewissheiten für den erfolgreichen Rechtsanwalt Adrián ins Wanken. Sie hinterlässt ihm ein Kuvert mit einem kompromittierenden Brief, in dem sein Vater bezichtigt wird, die Nichte der Briefeschreiberin in Huanta/Ayacucho vergewaltigt zu haben.

Suche nach der Wahrheit
Dieser Brief ist der Beginn von Adrians Suche nach der Wahrheit, eine Suche, die sein bisheriges Leben in Frage stellt und umkrempelt. Die Eltern Adrians waren geschieden, seinen Vater hat er nur selten besucht. Beim letzten Besuch vor dessen Tod im Krankenhaus hatte ihn der Vater gebeten, die Frau zu suchen, die er in Huanta gekannt habe und die ihm entwischt sei. »Du musst sie suchen«, so die dringliche Aufforderung. Adrián erinnert sich an sie, als die Mutter stirbt und er den Brief findet.

Das Leben des bekannten Anwalts wird sehr genau beschrieben. Er ist erfolgreich, elegant, eine kluge schöne Frau ist an seiner Seite. Die Töchter sind wohlgeraten, bald erwachsen. Den Krieg in den 80ern in Ayacucho gegen den Sendero Luminoso hat er sich als notwendigen Krieg gegen Terroristen vorgestellt, ein Krieg, in dem getötet werden muss, in dem es Zivilisten gegenüber aber korrekt zugeht.

Nicht genau hingesehen
Das ausgeglichene Leben in der gehobenen Mittelschicht Limas ging weiter, während der Krieg im Hochland tobte. Natürlich gab es Nachrichten in Lima, gab es Anschläge, aber zum genauen Hinsehen gab es in Adrians Umfeld keinen Anlass. Sein Vater -mit dem oft groben Verhalten- war ihm fern, aber er war doch überzeugt, dass er seinem Vater Respekt schuldete für den Kampf gegen den Sendero Luminoso. Nach Ende des Krieges gab es ein Aufatmen, jedoch am beschützten Alltag des erfolgreichen Anwalts zwischen Kanzlei, Familie und Freunden änderte sich nichts. Und nun wird er 20 Jahre später nach dem Tod seiner Mutter in die Geschichte seines Vaters hineingezogen.

Er trifft über seinen Bruder, der dem Vater nahestand und zur Beerdigung der Mutter aus den USA angereist ist, zwei Freunde seines Vaters wieder, die unter ihm in Ayacucho gedient haben. Er entlarvt die Schreiberin des Briefes, den er im Nachlass seiner Mutter gefunden hat, als Erpresserin.  Er nimmt Fotos an sich, auf denen sein Vater mit einer indianisch aussehenden Frau sehr undeutlich zu sehen ist. Er besäuft sich – ganz und gar ungewöhnlich für ihn – mit den Freunden seines Vaters und lässt sich die Geschichte erzählen, die Geschichte des Mädchens, das sein Vater nicht zur Vergewaltigung und Erschießung durch die Truppe freigegeben, sondern bei sich behalten und geliebt hat und die schließlich eines Nachts aus der Kaserne entwischen konnte.

Spurensuche
Adrian geht auf die Suche nach der Frau, er vernachlässigt Kanzlei, Familie, wird für seine Umgebung immer unverständlicher. Zum ersten Mal in seinem Leben betritt er eine Randsiedlung Limas, wo sich arme Zuwanderer niederlassen und auch die Flüchtlinge aus dem Raum Ayacucho leben. Er fliegt nach Huamanga, er fährt nach Huanta und geht zur Kaserne, er versucht einzutauchen in das damalige Leben. Er sieht, was er nie gesehen hat, er denkt nach, wie er nie vorher nachgedacht hat. Aber er findet Miriam nicht, und von ihrer Familie ist niemand mehr übrig. Alle sind getötet worden.

Begegnung mit Miriam
Stück für Stück wird ihm klar, welche Verbrechen auch vom Militär, vor allem von der Marine, der sein Vater angehörte, begangen worden waren. Er entfernt sich innerlich von seiner Familie. Sehr fein wird diese allmähliche Distanz vom Autor erzählt. Adrian findet Miriam schließlich in Lima. Damit hört die Spannung nicht auf, denn Adrian fühlt sich zu ihr hingezogen, sie gehen für kurze Zeit eine für Adrian außergewöhnliche, für Miriam notwendige Beziehung ein. Sie legt ihm ihren Sohn Miguel, der kaum spricht und keine Freunde hat und sie bekümmert, ans Herz. Nein, er sei nicht der Sohn ihres Vaters, versichert sie ihm. Adrian versucht zu verstehen, wie sein Vater gleichzeitig Schrecken verbreiten und mit Miriam liebevoll umgehen konnte. In dieser Zeit zunehmender Fremdheit in seiner Familie sieht er eines Tages ein Interview mit Abimael Guzman, dem inhaftierten Führer des Sendero Luminoso,  und begreift, was er bedeutet hat für alle, die sich nie getraut haben, den Kopf zu heben.

Miriam stirbt, sie kann mit den vielen Toten nicht leben, die große alles umfassende Traurigkeit hat sie nie verlassen. Sie weiß, dass sich Adrian um ihren Sohn kümmern wird. Adrian erkennt, welche Anstrengung die Überlebenden der Massaker auf sich nehmen und wie groß die Ungerechtigkeit ist, dass ihnen Brutalität und Tod zugeteilt worden sind. Und er weiß zugleich, dass er nichts tun wird, um all dem abzuhelfen.

Blaue Stunde
Der Lack ist ab. Als Adrian nicht mehr in der Lage ist, sich erwartungsgemäß zu verhalten, sondern anfängt, bei Verwandten zu sagen, was er denkt, verliert seine Frau die Geduld mit ihm und bittet ihn auszuziehen. Er wird Miriam vor sich sehen, wie sie aus der Kaserne flieht und noch vor Tagesanbruch, vor der blauen Stunde ankommen muss, er wird Miguel ins Erwachsenenleben helfen und plötzlich den Vater in ihm sehen. Und er wird zu seiner Frau zurückkehren.

Mit einer spannenden, sensibel erzählten Geschichte stößt uns der Autor darauf, dass noch längst nicht alles zum »schmutzigen Krieg« in Peru gesagt ist, was ans Tageslicht gebracht werden muss.

Alonso Cueto wurde 1954 in Lima/ Peru geboren und hat neben diesem Land auch in Spanien und den USA gelebt. Für seinen Roman Die blaue Stunde bekam er allerbeste Kritiken und auch Preise. Ins Deutsche wurde auch sein Roman Das Flüstern der Walfrau übersetzt und vom Berlin-Verlag herausgegeben. Sein thematisch vielfältiges Werk liegt überwiegend nur in Spanisch beziehungsweise  Englisch vor. Die blaue Stunde ist der Roman, in dem er sich mit dem Vergessen auseinandersetzt, das die gute Gesellschaft in bezug auf den Krieg gegen die Bewegung Leuchtender Pfad befallen hat.


Rezension: Monika Huber

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