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Leonardo Padura: Die Palme und der Stern

Unionsverlag Taschenbuch, Zürich 2017
458 S., Preis € 16,95
ISBN-13: 9783293207561

»La novela de mi vida« (Der Roman meines Lebens) ist der Originaltitel des 2002 erschienenen Romans, der nun in einer Taschenbuchausgabe in Deutsch erhältlich ist. Der deutsche Titel greift die Sehnsucht der Exilierten nach Kuba heute und damals auf, denn sowohl die Palme als auch der Stern finden sich im kubanischen Wappen. Der Originaltitel weist auf den kubanischen Dichter José Maria Heredia hin, der mit 24 Jahren in seinem mexikanischen Exil schrieb: »…nun ist es Zeit, dass der Roman meines Lebens endet, damit seine Realität beginnen kann«.
José Maria Heredia wurde 1803 auf Kuba geboren und starb verarmt mit 36 Jahren an Tuberkulose im mexikanischen Exil. Er gilt als der romantische Dichter Kubas, seine Gedichte waren Ansporn und Vorbild für viele Dichter und Schriftsteller. Theaterstücke sind überliefert, Briefe, doch erzwungenes Exil und Krankheit begrenzten den Schaffensdrang.

Spurensuche
Leonardo Padura schreibt den Roman des Lebens des Dichters, wie es vielleicht hätte sein können. Spannend erzählt er das Leben des Dichters zu Beginn des 19. Jahrhunderts und verwebt es mit dem Leben eines Literaturwissenschaftlers, der vom Exil in Madrid aus in den 90er Jahren Werk und Leben des Dichters José Maria Heredia erforscht. Als bester Student seines Jahrgangs musste Fernando Terry 17 Jahre zuvor Kuba verlassen, um seiner Festnahme zu entgehen. Er arbeitete zunächst in den USA, dann in Spanien als Lehrer für spanische Sprache und Literatur. Er fand Hinweise, dass es einen unbekannten Text von José Maria Heredia gegeben hatte, und war überzeugt, dass es sich um den letzten Roman Heredias gehandelt haben könnte. Später wird im klar, dass es sich um den Lebensbericht Heredias gehandelt haben musste. Diesen Roman zu finden ist das Ziel seiner Rückkehr nach Kuba für vier Wochen. Am Ende dieser Zeit findet er nicht, wie erhofft, den Roman, aber doch Klarheit über die Ereignisse vor seiner plötzlichen Abreise 17 Jahre zuvor.


Drei Erzählebenen

Das parallele Erzählen beider Geschichten fordert vom Leser Konzentration und Bereitschaft, sich zwischen verschiedenen Zeitebenen und unterschiedlichen Erzählperspektiven zu bewegen. Das ist manchmal anstrengend, wird jedoch wettgemacht durch die spannende Darstellung, die einen bei der Stange hält. Durch die Verzahnung der beiden Erzählstränge wird auch deutlich, wie nahe sich gelegentlich Erfahrungen und Zweifel der Protagonisten sind. Verwirrung, politische Gängelung, Unterdrückung und die Leiden im Exil sind ihnen gemeinsam. Aber Padura zeigt auch, wie sehr sich Unterdrückung der Meinungsfreiheit in der spanischen Kolonie Kuba und dem heutigen Kuba unterscheiden. Die dritte Erzählebene des Buches ist die Geschichte der Freimaurer in Kuba, die hier zum ersten Mal in dieser Ausführlichkeit dargelegt wird. José Maria Heredia war Freimaurer, seine Loge war Sammelpunkt vieler Bürger, die für die Unabhängigkeit von Spanien eintraten und einiges dabei riskierten.

Die unschönen Folgen aufrichtigen Verhaltens
Ein Freundeskreis junger Intellektueller zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Matanzas, einer beschaulichen Stadt in einer Bucht östlich von Havanna, diskutiert Gelesenes, Selbstverfasstes, Vorstellungen vom zukünftigen Leben, organisiert sog. Tertulias (Debatten), tauscht die ersten Erfahrungen mit Frauen (meist im Bordell) aus und gibt literarische Zeitschriften heraus. José Maria Heredia ist der begabteste unter ihnen. Die spanische Herrschaft drückt, und so greifen sie auch politische Themen auf. Als José Maria Heredia eher zufällig den Freimaurern beitritt und dies auch noch gegen sein Versprechen den Freunden erzählt, wird er verraten und muss das Land zum ersten Mal verlassen. Auch wer sich nicht unbedingt in die Geschichte des kubanischen Kampfes um Unabhängigkeit vertiefen will, hat doch großen Lesegewinn, denn Padura schildert Verrat, Widrigkeiten, finanzielle Probleme, Rufschädigung und die unschönen Folgen aufrichtigen Verhaltens auf eine Weise, die immer auch auf die Gegenwart verweist.

Früh ahnt man, dass die Infamie nicht zuletzt ihren Ursprung darin hat, dass letztendlich die finanziell potenten Grundbesitzer Kubas zwar mit dem Gedanken der Unabhängigkeit Kubas spielen, sie aber nicht wirklich wollen, da sie mit der Befreiung der Sklaven verbunden wäre. Natürlich fiebert man als Leser heute mit den wenigen mit, die aufrichtig bei ihrer Meinung bleiben und verraten werden, wie die Freimaurerlogen, die alle von der spanischen Geheimpolizei unterwandert waren. Genauso fiebert man mit Fernando Terry mit, der sich vieles zum Leben von José Maria Heredia denkt, aber unbedingt das Manuskript finden will, und das in 28 Tagen. Für ihn ist weniger erkennbar, wer ihn verraten hat, nacheinander verdächtigt er alle Freunde, seine Freunde, mit denen zusammen er den Club der Spötter gebildet hatte. Damals hatten sie heiß diskutiert, ob man sich aus der Politik heraushalten sollte oder ob alles mit Politik zu tun hat. Die Beschreibung der Suche nach dem Manuskript von José Maria Heredia wird fast zum Kriminalroman, und man fühlt sich an die Kriminalromane des Autors erinnert. In Vergangenheit und Gegenwart interessiert den Autor die Schwelle, hinter der es für die Protagonisten der Erzählung kein Zurück mehr gibt. Für beide gilt, dass ihnen die Grausamkeit einer Strafe bewusst ist, »die von jenen so häufig verhängt wird, die sich als Herren über Länder und Schicksale gebärden und sich das Recht anmaßen, über das Leben derer zu entscheiden, die ihre Ansichten nicht teilen«. Für José Maria Heredia geht es um Leben oder Sterben, für Fernando Terry um die Frage, ob der Raum, den Kuba bietet, reicht, um dorthin zurückzukehren.


Ein Buch mit tiefen Einblicken in die Geschichte Kubas
Der Dichter José Maria Heredia stirbt früh und völlig verzweifelt, nachdem er Kuba noch einmal besucht hat und von Diktator Tacon empfangen wurde. Er weiß nun, wer ihn verraten und ins Elend gestürzt hat. Kuba wird die Unabhängigkeit von Spanien erst Ende des 19. Jahrhunderts erreichen und sich eine neue Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten einhandeln. Fernando Terry muss zwar ohne Romanmanuskript Kuba nach 28 Tagen verlassen, aber mit der Klarheit, wie der künftige Weg aussehen soll. Er erkennt, wie sehr er besessen war von der Idee, verraten worden zu sein, und wie sehr er in Selbstmitleid gefangen war.

Fazit: Den Roman hat Leonardo Padura seinem Vater, der Freimaurer-Meister 33. Grades war, gewidmet und mit historischen Anmerkungen am Schluss versehen. Leonardo hat die Verzahnung von historischen Ereignissen mit der Gegenwart später noch in anderen Romanen meisterhaft gestaltet. Für alle Leser, die sich für Kuba, für Mexiko, für die Geschichte des Kampfes um Unabhängigkeit, für die schillernde Figur Simon Bolivars, für die Dichter und Schriftsteller Kubas in unruhigen Zeiten (Felix Varela, José Maria Heredia, José Marti) interessieren, ist dieses Buch eine Quelle interessanter Details. Aufregend, weil auch kaum bekannt, die Rolle der Freimaurer, die uns durch diese beiden Jahrhunderte kubanischer Geschichte führen. Vor allem aber ist das Buch der hervorragend geschriebene Roman eines bewegten Lebens.

Habe ich durch diesen Roman mehr Einblick in das Kuba von heute bekommen? Das sicher nicht, denn seit dem Jahr 2002, in der der Roman in Spanisch erschienen ist, hat sich Kuba weiterentwickelt, ist die Situation anders. Der Roman ist ein Lob der Freundschaft durch alle Widrigkeiten durch, und so ist es doch ein aktuelles Buch über Kuba.

Monika Huber

Ein Gesamtübersicht aller in dieser Rubrik besprochenen Bücher und Leseempfehlungen finden Sie auf unserer Seite »terre des hommes-Medientipps«.


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