Nadifa Mohamed: Black Mamba Boy
C.H.Beck Verlag, München 2015
366 Seiten, 19,95 Euro
ISBN-13: 9783406675966
Black Mamba Boy ist der zweite Roman von Nadifa Mohamed. Sie ist in Somaliland geboren und als Kind mit ihren Eltern nach London gekommen. Der Roman erzählt die Geschichte des Jungen Jama ab dem Jahr 1935, als er in Aden die Straßen nach Essbarem und Münzen durchkämmt. Faschismus, Kolonialismus haben viele Länder in Ostafrika verheert. Jama schlägt sich bis Ägypten durch, wird Seemann, und eine spätere Reise führt ihn schließlich nach England. Er ist zunächst auf der Suche nach seinem Vater, zugleich aber auch auf der Suche nach einer Basis für sein eigenes Leben. Nadifa Mohamed siedelt die Odyssee von Jama in einer Zeit der großen Umbrüche in Ostafrika an. Die Erlebnisse ihres Vaters, mit dessen Erzählungen die Autorin aufgewachsen ist, bilden die Grundlage für die lebhafte Handlung.
Leben auf der Straße
Während man gespannt die Geschichte des Jungen Jama verfolgt, schieben sich zugleich die Erzählungen der Flüchtlinge unserer Tage ins Bild, und man entdeckt viele Motive, die auch vor Jahrzehnten Menschen zu kleinen und großen Fluchten bewegt haben, wieder. Die Geschichte fängt 1935 an, als Jama zehn Jahre alt ist und mit seiner Mutter in Aden im Jemen wohnt. Dort versucht sie, sich und Jama, den sie mit sechs Jahren nachgeholt hat, mit der Arbeit in einer Kaffeefabrik durchzubringen. Sie wohnen bei entfernt Verwandten des Clans der Mutter, werden aber verächtlich behandelt. Jama ist sich tagsüber selbst überlassen und verschwindet auch immer wieder für mehrere Tage, wenn ihn seine Mutter nur anschreit oder die anderen Hausbewohner hin- und herstoßen. Mit zehn Jahren entscheidet er sich, überhaupt nicht mehr zu Hause zu schlafen, sondern mit seinen Freunden auf der Straße zu leben. Sie betteln, sie stehlen, gelegentlich arbeiten sie auch für ein Essen, manchmal suchen sie Streit mit anderen Kindern anderer Herkunft, auf jeden Fall halten sie zusammen.
In die Schule gehen sie nicht, können sie nicht gehen. Oft denkt Jama an seinen Vater und dass alles anders wäre, wenn er bei ihm wäre. Jama und seine Freunde müssen sich behaupten, erleben Hunger und Erniedrigung. Die etwas älteren Freunde können Jama viel beibringen und schützen ihn auch, soweit das möglich ist. Jama lernt schnell. Er lernt schnell, sich in verschiedenen Sprachen der afrikanischen Zuwanderer in Aden zu verständigen und er schnappt auch arabische Sätze auf.
Er begreift aber auch schnell, wer im Jemen ganz unten ist (nämlich Somalier und Eritreer) und wer mit Wohlstand, so bescheiden er auch sein mag, das Recht erwirbt, Abhängige zu kommandieren, zu bestrafen, wegzuschicken, schlecht oder nicht zu bezahlen.
Sehnsucht nach der Mutter, Suche nach dem Vater
Die Sehnsucht nach seiner Mutter treibt ihn eines Tages nach Hause. Sie ist sehr krank. Bevor sie neben ihm stirbt, gibt sie ihm ein Amulette in Herzform mit Gebeten und Geld, das sie sich abgespart hat für ihn, und trägt ihm auf, es nicht zu verplempern. Jama verlässt das Haus und fährt nach Hargeisa in Somaliland, in sein Heimatdorf. Er erfährt, dass sein Vater im Sudan sein soll, und nach kurzer Zeit hält ihn nichts mehr in Hargeisa. Er will zu seinem Vater in den Sudan, obwohl das alle für unmöglich halten. Jama ist entschlossen, mutig, geht weiter, wenn er verzagt ist. Für diese Vatersuche ist das Wort »Reise« nicht geeignet. Es handelt sich um Märsche durch Steppe und Wüste, die man niemandem zumuten möchte, um halsbrecherische LKW-Fahrten, um fast dauernden Hunger und Durst. Jama versucht, das Geld seiner Mutter so lange wie möglich nicht auszugeben. Er bekommt Unterstützung und Ratschläge, wenn er auf jemanden aus dem väterlichen Clan trifft. Sein Weg wird von der Autorin lebendig und mit großer Anteilnahme erzählt. Hier spürt man, dass sie die Geschichte ihres Vaters erzählt und dass sie aus einer reichen mündlichen Überlieferung und Erzähltradition schöpfen kann.
Bitteres Ende einer Reise
Jama verliert sein Ziel, den Vater im Sudan zu finden, nicht aus den Augen, auch nicht in Dschibuti, wo er herzlich von einem Ehepaar aufgenommen wird. Alles Zureden nützt nichts, er will weiter. Und kommt schließlich auch über Asmara (Eritrea) nach Omhajer, der verwahrlosten Grenzstadt zwischen Abessinien, Britisch-Sudan und Eritrea. Schon auf dem Weg dorthin lernt Jama die Kolonialmacht Italien kennen. Und die Askaris, die einfachen afrikanischen Soldaten, aus denen die kämpfenden Truppen sowohl Italiens als auch Großbritanniens überwiegend bestanden. Wie sollte er die Gefahr mit seinen 12 Jahren abschätzen können? Er findet in Omhajer auch Menschen aus seinem Clan, die seinen Vater kennen und nur gut über ihn sprechen und ihm eine Nachricht zukommen lassen wollen.
Er ist gerade eine Woche in Omhajer, als er erfahren muss, dass sein Vater in Gedaref (Sudan) mit seinem Lastwagen voller Waffen für den Widerstand in eine Militärkontrolle geraten ist und dann auch getötet worden ist. Man übergibt ihm den Koffer seines Vaters; die Suche und Reise Jamas hat nun ein bitteres Ende gefunden.
Der Willkür entkommen
Jama braucht Geld um zu überleben. Er macht Botendienste für die italienischen Offiziere, lernt Italienisch und lernt die Großzügigkeit eines Majors, aber vor allem die Grausamkeit aller anderen italienischen Offiziere kennen. Er bemüht sich, denn er kennt die Narben, die die Peitschen aus Nilpferdleder zurücklassen. Er verlässt Omhajer, um der Willkür zu entgehen. Jama hat noch nie einen Krieg erlebt und lässt sich, nun, da er 16 ist, in K’eftya rekrutieren. Denn der zweite Weltkrieg findet nun auch in Afrika zwischen den Kolonialmächten statt. Italien und Großbritannien kämpfen um die Vorherrschaft am Horn von Afrika. Jama und seine Freunde glauben nicht, dass es wirklich Krieg geben wird und erleben dann den großen Angriff der Briten in Keren 1941. Jama überlebt, sein Freund nicht. Jama will nur noch weg von Keren, vom Krieg. Ein Wesen, sein Vater, geleitet ihn aus dem Kampfgebiet.
Er verdient sein Geld als Kaufmann und dann als Bauer. Es sind fünf Jahre, nicht ohne Naturkatastrophen, aber doch ohne Krieg. Er spürt den Auftrag, nach Ägypten zu reisen. Vor seiner Abreise heiratet er die junge Frau, in die er sich verliebt hat und verspricht zurückzukehren. Die Reise durch Ägypten ist nicht weniger gefährlich als Fahrten zuvor. Bis Palästina kommt er mit einem Gefährten, dort aber scheint ihnen der Krieg zu nahe. Sie kehren in einem abenteuerlichen Fußmarsch zurück nach Ägypten. Endlich nun erhält er einen britischen Pass, und es gelingt ihn, in die britische Marine aufgenommen zu werden.
Eine für uns ungewöhnliche Perspektive
Seine erste Fahrt ist ausgerechnet mit der Exodus
, einem Schiff voll Überlebender des Holocausts, das von Großbritannien nach Hamburg zurückgezwungen wird.
In England erhält Jama die Nachricht, dass seine Frau einen Sohn geboren hat. Er macht sich auf den Heimweg, nicht ohne vorher die schwarze Mamba auf seinen Arm tätowieren zu lassen als Zeichen, wo er gewesen war und was er überlebt hatte. Eines Tages würde er zusammen mit seiner Frau und seinen Kindern London erkunden.
Nomadische Traditionen, die Sehnsucht eines Jungen und seine Neugier auf die Welt sind in diesem Roman auf einzigartige Weise erzählt. Für deutsche Leser ist die afrikanische Perspektive auf den zweiten Weltkrieg und die mit ihm verbundenen Greuel in Afrika ungewöhnlich und führt aus der Eurozentrierung heraus.
Worterläuterungen und ein Glossar, außerdem eine Karte aus der Zeit erleichtern die Orientierung. Die Übersetzung ist gelungen. Das Buch lehrt uns auch den menschlichen Blick, nicht zuletzt auch auf die Motivlage und das Erleben von Menschen, die sich heute von Somalia und Eritrea aus auf den Weg nach Norden machen. Diesem Buch seien viele Leser gewünscht. Die Autorin hat angekündigt, dass sie im nächsten Buch eine Geschichte erzählen wird, die das Leben ihrer Mutter aufgreift. Wir dürfen gespannt sein.
Rezension: Monika Huber
Ein Gesamtübersicht aller in dieser Rubrik besprochenen Bücher und Leseempfehlungen finden Sie auf unserer Seite »terre des hommes-Medientipps«.