Bartholomäus Grill: Wir Herrenmenschen
Unser rassistisches Erbe: Eine Reise in die deutsche Kolonialgeschichte
Verlag: Siedler
3. Aufl.
304 Seiten
Preis: 24,00 €
ISBN-13: 9783827501103
ISBN-10: 3827501105
Wer Verlässliches über Afrika erfahren will, ist immer gut beraten, zu den Texten von Bartholomäus Grill zu greifen. Als langjähriger Korrespondent zunächst der »Zeit« und jetzt des »Spiegel« ist er nicht nur Chronist der laufenden Ereignisse, sondern auch mit einem besonderen Blick für die Hintergründe ausgestattet. Diese Vorzüge weist auch sein neues Buch »Wir Herrenmenschen« auf, in dem er der deutschen Kolonialgeschichte nachgeht.
Gefühle der eigenen Überlegenheit
Der Titel ist nicht gerade einladend, von den potenziellen Leserinnen und Lesern dürfte sich kaum jemand von dem umfassenden »Wir« und als Herrenmensch angesprochen fühlen. Die historisch vor allem durch den Nationalsozialismus arg belastete Vokabel ist heute als Ausdruck rassistischen Denkens weithin verpönt. Als Teil einer Weltsicht, die wertend zwischen Oben und Unten, zwischen Eigenem und Fremdem eine scharfe Trennlinie zieht, ist sie jedoch weiterhin präsent. Grill leitet genau daraus auch die Aktualität seines Buches ab; er reibt sich an den unverhohlen fremdenfeindlichen Tendenzen des politischen Diskurses in der Bundesrepublik. Ärgerlich sind für ihn vor allem die Äußerungen zumeist bayerischer Politiker über Asyltourismus und Anti-Abschiebe-Industrie. Wie kann es sein, dass solche Vokabeln in der Öffentlichkeit verfangen? Woher rührt dieses hochmütige und substanzlose Gefühl der eigenen Überlegenheit und der Minderwertigkeit anderer, zumal gegenüber Afrikanern? Lebt da nicht doch noch ein ordentliches Stück alten rassistischen Dünkels?
Anlass zu dieser Frage hat Grill auch aus biographischen Gründen. Er erzählt aus seiner Kindheit, als sein Großvater in seliger Kolonialvergangenheit schwelgte und ihn lehrte, der höchste Berg Deutschlands sei keinesfalls die Zugspitze, sondern der Kilimandscharo - eine für einen bayerischen Buben, der Grill war, schwierige Melange aus Stolz und Abwehr. Nun dürften solche Großväter heute selten sein, die deutsche Kolonialgeschichte ist weithin kein Thema mehr. Allenfalls Namibia ist heute noch als ehemals deutsche Kolonie im Gedächtnis; die Einschätzung dessen, was Kolonialismus bedeutet hat, bleibt dabei eher unscharf. Beredter Ausdruck für die, vorsichtig gesagt, Arglosigkeit, mit der über Kolonialismus geredet wird, waren jüngst die Äußerungen von Günter Nooke, dem Afrikabeauftragten der Bundeskanzlerin, an denen sich auch Grill reibt. Nooke hob als Leistung des Kolonialismus hervor, Afrika aus archaischen Strukturen gelöst zu haben. Auch wenn er damit auf energische Kritik stieß, lebt da offenbar immer noch einiges im kollektiven Gedächtnis, das solche Äußerungen als lässliche Sünde erscheinen lässt.
Beispiellose Demütigung
Grill meint gar, es sei nach wie vor viel Herrenmenschentum, das uns zu unserem Handeln anleite und verweist dazu auf die horrenden Defizite einer gerechten Nord-Süd-Politik auf Augenhöhe. Aber er geht auch der Frage nach, welche Spuren die Kolonialgeschichte im kollektiven Gedächtnis Afrikas hinterlassen hat. Dass sie mit ihren willkürlichen Grenzziehungen bis heute nachwirkt, wird von niemandem in Abrede gestellt. Schwierigkeiten der Nationenbildung mit Bevölkerungsgruppen, die zuvor nie zusammengehört haben, sind dafür ein beredtes Zeugnis. Grill aber hebt eine weitere verheerende Auswirkung hervor, nämlich die beispiellose Demütigung durch eine aufgezwungene und ausbeuterische Fremdherrschaft.
Um das zu verdeutlichen, nimmt Grill seine Leserinnen und Leser auf eine weite Reise mit; er führt sie an die Orte deutscher Kolonialgeschichte, nach Togo, Kamerun, nach Deutsch-Südwest und Deutsch-Ostafrika. Dabei erspart er seinen Lesern nicht die Begegnung mit all den Herrenmenschen, die dort ihr zweifelhaftes Regiment im Auftrag einer vermeintlich höheren Humanität geführt haben. Grill lässt sie alle aufmarschieren: Paul von Lettow-Vorbeck, Lothar von Trotha, Carl Peters und auch ihre heute nur noch weniger bekannten Mittäter. Mit Schaudern liest man von ihrer Gewaltherrschaft und den Exzessen, die sie ausgeübt haben, von Vergewaltigungen, willkürlichen Hinrichtungen, tödlicher Zwangsarbeit. Vereinzelt kommen Afrikaner als Zeitzeugen zu Wort, die noch Erinnerungen an die vormalige deutsche Präsenz haben. Sie äußern sich vergleichsweise milde, wenn auch nicht so umfassend exkulpierend wie die Nachfahren deutscher Siedler, die Grill in Namibia trifft und die offenbar immer noch vom kolonialen Blick gefangen gehalten werden.
Kolonialpolitik und Afrikas neuen Herrscher
Grill findet deutliche Worte dafür, dass sie jegliche Erblast von sich weisen. Aber nicht nur ihnen gilt seine Kritik. Schonungslos zeigt er sich auch bei der Beurteilung gegenwärtiger afrikanischer Herrscher. Ihnen attestiert er generell, die Unterdrückungsmaschine der alten Kolonialherren übernommen zu haben und einfach fortzusetzen. Das ist ein harsches Urteil, das sich eingängig liest, aber Zweifel erlaubt, ob es in seiner Undifferenziertheit der afrikanischen Realität auch gerecht wird. Es erstaunt auch, mit welcher Pauschalität er sich negativ zur Entwicklungspolitik äußert. Da bleiben einige blinde Flecke, wie auch bei der Einschätzung des Rückhalts für die deutsche Afrikapolitik im Kaiserreich. Nur kursorisch tauchen Hinweise auf erbitterte Debatten im Reichstag auf, in denen vor allem sozialdemokratische Abgeordnete mit der Kolonialpolitik abrechneten. So bleiben Verflechtungen und Bedingungen der Ideologie des Herrenmenschentums unscharf; Grill setzt auf Verallgemeinerung. Ganz anders argumentiert er, wenn es um den Krieg des Deutschen Reiches gegen die Hereros im damaligen Deutsch-Südwest geht. Vehement rechnet Grill mit denen ab, die den Feldzug als Völkermord bewerten. Er leugnet nicht die Gräuel, sieht den Feldzug aber nicht systemisch auf Auslöschung angelegt und bestreitet auch dessen vernichtendes Ausmaß. Warum er ausgerechnet hier diese Energie zur Differenzierung an den Tag legt, bleibt letztlich rätselhaft.
Grill ist nicht nur in Afrika unterwegs, er reist auch in die ehemaligen deutschen Kolonialgebiete in China und Neuguinea. Man folgt ihm gern und mit gespannter Aufmerksamkeit; die journalistische Qualität des Buches ist über jeden Zweifel erhaben. Irritierend wirkt jedoch, dass Grill einige Passagen wörtlich aus seiner früheren Publikation »Ach, Afrika« übernommen hat - schade, dass er der Versuchung zur Zweitverwertung nicht widerstehen konnte.
Jürgen Hambrink
Ein Gesamtübersicht aller in dieser Rubrik besprochenen Bücher und Leseempfehlungen finden Sie auf unserer Seite »terre des hommes-Medientipps«.