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Polizeigewalt in Brasilien

Daten und Fakten

In den Armenvierteln vieler brasilianischer Städte herrschen kriegsähnliche Zustände. Für Kinder und Jugendliche, die dort leben, gehört die tödliche Gewalt zum Alltag. Alle kennen Mordfälle in ihrem näheren Umfeld. Laut offiziellen Zahlen wurden im Jahr 2020 in Brasilien 50.000 Menschen ermordet. Die Mordrate an Minderjährigen ist eine der höchsten weltweit, ein erheblicher Teil geht auf das Konto der Polizei.

2020 töteten brasilianische Sicherheitskräfte 6.416 Menschen, ein erneuter Rekordwert und Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Davon waren ein Viertel unter 19 Jahre alt. Das heißt: Jeden Tag werden in Brasilien im Schnitt vier Kinder und Jugendliche von Polizisten oder Militärs erschossen.

Einen großen Anteil an der Welle staatlicher Gewalt hatte der rechte Präsident Jair Bolsonaro: Mit seinen Hetzreden legitimierte er das brutale Vorgehen und stachelte die Polizei an, sämtliche »Banditen abzuknallen«. Ähnlich agieren einige Gouverneure von brasilianischen Bundesstaaten wie João Doria aus São Paulo. Die meisten Opfer von Polizeigewalt sind Schwarz, männlich und arm.

»Polizeigewalt hat seit der Corona-Pandemie stark zugenommen

Mit hochpotenten Kriegswaffen, die auch aus Deutschland, der Schweiz und anderen europäischen Ländern kommen, führen Polizisten auf staatliches Geheiß einen »Krieg gegen Drogen und Kriminelle«, nehmen das Gesetz oft in die eigene Hand und sind auch direkt in kriminelle Aktivitäten involviert. Bei ihren Einsätzen in den Favelas gefährden sie häufig unbeteiligte Passantinnen und Passanten, oftmals auch Kinder und Jugendliche, oder attackieren diese ganz direkt.

Im Mai 2020 wurde der Fall des 14-jährigen João Pedro Martins aus São Gonçalo im Großraum von Rio publik: Er hatte mit seinen Cousins gespielt, als Polizeibeamte 72-mal auf das Haus seiner Familie schossen und zwei Granaten warfen. In São Paulo drang im selben Monat im Jardim Elba im Stadtviertel Sapopemba, in dem terre des hommes Projekte für Kinder und Jugendliche fördert (s.u.), ein Zivilpolizist in das Haus der Familie des 16-jährigen Juan ein und erschoss ihn vor seiner Mutter und den fünf jüngeren Geschwistern. Der Mörder hielt sich noch eine Stunde nach der Tat im Haus auf und wurde von ankommenden Militärpolizisten nicht etwa zur Verantwortung gezogen, sondern beglückwünscht, wie die unter Schock stehende Mutter berichtete.

»Die Polizeigewalt hat seit Beginn der Corona-Pandemie stark zugenommen. Offenbar nutzen die Täter aus, dass sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Pandemie konzentriert und sehen das als Freibrief, um noch brutaler vorzugehen«, sagt Bruna Leite, Länderkoordinatorin von terre des hommes.

Verfehlte Drogenpolitik und Straflosigkeit

Ein Grund für die Gewalteskalation ist die verfehlte Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung, die auf Gewalt setzt. »Ein guter Bandit ist ein toter Bandit«, lautet ein weit verbreiteter Leitsatz.

Wer im Armenviertel lebt und männlich ist, steht unter Generalverdacht, ins illegale Drogengeschäft oder andere kriminelle Aktivitäten verwickelt zu sein. Bei Gewalttaten von Polizisten hingegen werden meist beide Augen zugedrückt, es herrscht fast komplette Straflosigkeit.

Forderungen

Durch die massive Polizeigewalt, fehlende oder mangelhafte Strafverfolgung, kriegsähnlichen Zustände in Wohnvierteln und gravierende Mängeln in der Kontrolle der staatlichen Bestände von Munition und Waffen sind Kinder, Jugendliche und Erwachsene stark gefährdet. Daher fordern Terre des hommes Deutschland und Terre des Hommes Schweiz von den verantwortlichen staatlichen Stellen, Regierungen und Unternehmen in Deutschland, Schweiz und der EU:

  • sofortiger Stopp aller Rüstungsexporte nach Brasilien
  • Stopp des Transfers von Rüstungstechnologie und -fachwissen nach Brasilien
  • Stopp des Verkaufs von Waffen und Rüstungsgütern durch europäische Unternehmen in Brasilien
  • umfassende und systematische Kontrollen des Endverbleibs schon gelieferter Rüstungsgüter
  • konsequentes Einfordern der Einhaltung von Menschenrechten und Völkerrecht und Sanktionen bei Nichteinhaltung