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Zwischen Angst und Hoffnung

Syrien: Die Situation Geflüchteter in den Nachbarstaaten

Vor 14 Jahren, am 15. März 2011, gingen mutige Menschen in Deraa, Damaskus und Aleppo auf die Straße, um Freiheit und Gerechtigkeit zu fordern. Was jedoch folgte, war ein langer, blutiger Konflikt. Millionen Syrer*innen mussten seitdem in anderen Ländern Zuflucht suchen. Doch nun, nach dem überraschend gewaltfreien Sturz von Bashar al-Assad im Dezember 2024, erfüllt zum ersten Mal seit über einem Jahrzehnt eine neue Zuversicht die Straßen Syriens.

Hoffnung und Befürchtungen liegen nun jedoch eng beieinander: So trat am 5. April eine Übergangsverfassung in Kraft, die Interimspräsident Ahmad al-Sharaa weitreichende Vollmachten einräumt und demokratische Hoffnungen vieler enttäuscht. Am gleichen Tag wurde ein neues Kabinett vorgestellt - was zwar als Signal für mehr Transparenz gilt, dessen Besetzung aber alte Machtstrukturen zementieren könnte.

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Vier Monate nach dem Sturz Assads ist die Lage im Land nach wie vor instabil. Die Gruppierung um Hayat Tahrir al-Sham (HTS) mit Übergangspräsident Ahmed al-Sharaa an der Spitze steht vor der Herausforderung, alle Minderheiten im Land zu integrieren und ihnen einen Platz mit Teilhabe am Wiederaufbau zu ermöglichen. Die überraschende Einigung zwischen der syrischen Zentralregierung und der kurdischen Selbstverwaltung in Nordostsyrien sorgt für neue Dynamiken.

Doch die Hoffnung auf eine friedliche und selbstbestimmte Zukunft wird durch die jüngsten Massaker an der alawitischen Minderheit schwer erschüttert. Die sektiererische Gewalt gefährdet die Stabilität des Landes, während externe Akteure geopolitische Interessen verfolgen. Außerdem verschärfen israelische Angriffe im Süden und türkische Militäroperationen im Norden die Spannungen und könnten eine neue Welle der Flucht auslösen. Die anfängliche Euphorie weicht zunehmend Unsicherheit und Angst. Die Gewalt der vergangenen Wochen hat tiefe Wunden hinterlassen und das fragile Gleichgewicht weiter belastet. Und: Die drängende Frage ist, wie die schweren Menschenrechtsverbrechen der vergangenen Jahre gesellschaftlich und juristisch aufgearbeitet werden können.

Unsere Partnerorganisationen in den Nachbarländern berichten von den vielfältigen Herausforderungen und Hoffnungen der syrischen Exilanten. Der Sturz des Assad-Regimes hat sowohl Chancen als auch Unsicherheiten für Syrer*Innen im Exil geschaffen. Während einige hoffen, in ihre Heimat zurückzukehren, sind viele besorgt über die Sicherheit, Infrastruktur und den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen in Syrien.

Besonders in der Türkei, die die größte Zahl syrischer Geflüchteter beherbergt, hat der politische Diskurs über sie zu erhöhter Unsicherheit geführt. Die wirtschaftliche Krise und der zunehmende Rassismus erschweren das Leben der syrischen Geflüchteten. In Ländern wie dem Libanon gibt es verstärkten Druck von den Behörden und strengere Aufenthaltsregelungen. In Jordanien werden ab dem Schuljahr 2025/2026 etwa Schulgebühren erhoben, wodurch mehr geflüchtete Kinder nicht zur Schule werden gehen können.

Die Mehrheit der Syrer*innen in den Nachbarländern plant nicht, zurückzukehren, hauptsächlich aufgrund von Sicherheitsbedenken, fehlender Infrastruktur und wirtschaftlicher Unsicherheit in Syrien. Einfach zurück ist keine Option, da große Gefahren bestehen. Besonders Familien und Kinder zeigen großes Zurückhalten. Sicherheitsrisiken, wirtschaftliche Bedingungen und fehlende Garantien gegen Verfolgung beeinflussen die Entscheidungen der Geflüchteten. In der Türkei sind kurze Besuche in Syrien möglich, jedoch mit Risiken für den Flüchtlingsstatus verbunden. Diese Besuche sind wichtig, um die Lage vor Ort zu beurteilen, bergen jedoch das Risiko, den Schutzstatus zu verlieren.

Ethnische und religiöse Zugehörigkeit sowie politische Affiliation erschweren die Rückkehr. Besonders Kurden und Aleviten sind besorgt über ihre Sicherheit bei einer Rückkehr. Einige Geflüchtete, wie etwa in Kurdistan, gehen davon aus, dass sie aufgrund ihrer ethnischen oder religiösen Zugehörigkeit niemals werden zurückkehren können. Ereignisse wie die Gefangenenfreilassungen und das Schicksal der Vermissten belasten die psychische Gesundheit der Geflüchteten, insbesondere von Kindern und Familien. In Libanon und Jordanien besteht ein dringender Bedarf an psychosozialer Unterstützung und Traumabewältigung. Die psychologische Belastung ist besonders hoch bei Überlebenden von Folter und Inhaftierung.

Seit Dezember 2024 sind laut UNICEF und UNHCR nur wenige Tausend Menschen nach Syrien zurückgekehrt, während Millionen weiterhin im Exil in den Nachbarländern verbleiben. Diese Zahlen verdeutlichen die anhaltende Unsicherheit und die großen Gefahren, die eine Rückkehr für viele unmöglich machen. Besonders für Kinder und Familien bedeutet dies, dass sie weiterhin in einer prekären Lage leben müssen, ohne die Sicherheit und Stabilität, die sie dringend benötigen.

Die Syrer*innen im Exil haben in den letzten Jahren erheblich zur Gesellschaft in den jeweiligen Gastländern beigetragen. Es ist entscheidend, dass sie nicht einfach mit neuen Unsicherheiten konfrontiert werden. Vielmehr muss gemeinsam mit ihnen entwickelt werden, wie es weitergeht – sei es in Syrien oder im Exil. Die internationale Gemeinschaft ist aufgerufen, ihre Anstrengungen zu verstärken, um diesen Menschen eine sichere und würdige Zukunft zu ermöglichen. Deutschland und die internationale Gemeinschaft sollten sich dafür einsetzen, die Rechte der Geflüchteten zu wahren und ihnen mehr Selbstbestimmtheit bei der sicheren Wahl ihres Aufenthaltsortes zu ermöglichen.

Wie Terre des Hommes hilft

Libanon: 1,5 Millionen Geflüchtete aus Syrien

Rund 90 Prozent der Geflüchteten leben in Armut, und etwa 60 Prozent der syrischen Kinder im schulpflichtigen Alter besuchen keine Schule. Zudem sind viele Kinder von Kinderarbeit betroffen. Die wirtschaftliche Krise, die instabile Lage im Libanon und die Angriffe Israels verschärfen die Situation weiter.

Die libanesische Regierung versucht schon lange, Syrer*innen abzuschieben, obwohl ihnen in Syrien oft Gefahr droht. Auch wenn viele Syrer*innen zurückkehren, bleibt die Situation für einen Großteil weiterhin zu unsicher. Wegen der dramatischen Situation ist Libanon zum Transitland für irreguläre Migration nach Europa geworden – oft bleibt mangels legaler Fluchtwege nur der gefährliche Weg über das Meer.  

Irak: 260.000 – 400.000 Geflüchtete aus Syrien

Viele der Geflüchteten stammen aus den kurdischen Gebieten Syriens. Besonders in der teilautonomen Region Kurdistan haben viele syrische Kurden Zuflucht gefunden. Trotz der relativen Sicherheit in einigen Teilen Kurdistans leiden syrische Geflüchtete, insbesondere Kinder, unter den anhaltend prekären Lebensbedingungen. Armut, eingeschränkter Zugang zu Bildung und Gesundheitsdiensten sowie die unsichere rechtliche Lage stellen erhebliche Herausforderungen dar.

Jordanien: 1,3 Millionen Geflüchtete aus Syrien

In Jordanien leben derzeit etwa 1,3 Millionen syrische Geflüchtete, was etwa 20 Prozent der Gesamtbevölkerung des Landes ausmacht. Mehr als 80 Prozent dieser Geflüchteten leben unterhalb der Armutsgrenze und haben kaum Zugang zu grundlegender Versorgung, Bildung und medizinischer Betreuung. Viele Familien sind gezwungen, Schulden für Lebensmittel aufzunehmen oder unter prekären Bedingungen zu arbeiten. Die wirtschaftliche Lage des Landes verschärft diese Situation zusätzlich. Besonders betroffen sind Kinder, deren Bildung und allgemeines Wohlbefinden durch die schwierigen Lebensumstände erheblich beeinträchtigt werden.

Türkei: 3,6 Millionen Geflüchtete aus Syrien

In der Türkei leben derzeit so viele Geflüchtete wie in kaum einem anderen Land – die meisten stammen aus Syrien. Fast zwei Drittel der Kinder und Jugendlichen besuchen keine Schule, was ihre Zukunft massiv gefährdet. Viele müssen arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen – oft unter ausbeuterischen Bedingungen. Das führt zu schweren körperlichen und seelischen Belastungen. Mädchen sind besonders benachteiligt: Sie werden häufiger früh verheiratet oder vom Schulbesuch ausgeschlossen.