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Die Kindheit endet an der Grenze

Polen: Hilfe für Flüchtlingskinder und ihre Familien

Seit 2021 gibt es an der polnisch-belarussischen Grenze eine dramatische humanitäre Krise: Geflüchtete, darunter viele Kinder und Familien, werden mit Gewalt von polnischen und belarussischen Grenzbeamten zurückgedrängt und daran gehindert, Asylanträge zu stellen.

Diese illegalen Zurückweisungen (»Pushbacks«) verstoßen gegen internationales Recht. Die Willkür und Gewalt, der die Menschen dort ausgesetzt sind, hinterlassen besonders bei Kindern und Jugendlichen tiefe Spuren an Körper und Seele. Um dieser Gewalt zu entkommen, verstecken sich die Kinder und Jugendlichen teils monatelang in den grenznahen Wäldern. Dort leiden sie unter Hunger, Durst und extremen Temperaturen – im Sommer Hitze, im Winter Kälte bis zu minus 20 Grad. Viele werden bei dem Versuch, den mit Stacheldraht versehenen und fünf Meter hohen Grenzzaun zu überwinden, schwer verletzt.

Niemand flüchtet ohne Not

Menschen, die für ihre Flucht solch extreme Strapazen auf sich nehmen und sich Lebensgefahren aussetzen, tun dies nur aus tiefgreifenden und sehr ernsten Gründen. Die meisten kommen aus Krisenländern wie Afghanistan, Syrien oder Somalia, wo Krieg, Gewalt und Unterdrückung herrschen. Viele Kinder und Jugendliche flüchten außerdem, um einer Zwangsrekrutierung oder Zwangsheirat zu entkommen. Alle minderjährigen Geflüchteten haben dabei das Recht auf Asyl, aber an der polnisch-belarussischen Grenze wird dieses Recht missachtet und mit Gewalt begegnet.

Haftstrafen statt Schutz

Viele Geflüchtete, die es doch über die Grenze von Belarus nach Polen schaffen, kommen dort zunächst in Haft. Auch sehr viele Minderjährige – weil sie ohne genaue Prüfung als Erwachsene eingestuft werden. Untergebracht werden sie in sogenannten »Guarded Centers for Foreigners«: Diese Camps gleichen Gefängnissen. Die Bedingungen, unter denen Kinder und Jugendliche dort allein oder mit ihrer Familie oft über Monate festgehalten werden, sind unmenschlich: Viele Jugendliche berichten von schweren Misshandlungen und Demütigungen, denen sie ausgesetzt waren.

Hilfe ist grenzenlos

Inmitten der düsteren und gewaltsamen Realität an der polnisch-belarussischen Grenze sind unsere Partnerorganisationen SIP und Egala ein Lichtblick. Die Mitarbeitenden erhalten Hilferufe über Messenger-Dienste oder über eine Schaltzentrale mit internationaler Notrufnummer, die Anrufe flüchtender Menschen weiterleitet. Sofort eilen die Fachkräfte von Egala zu den Hilfesuchenden und verteilen Schlafsäcke, warme Kleidung, Thermoskannen mit heißer Suppe und Akkupacks für Handys. Bei Verletzungen oder Krankheiten leisten sie dringend benötigte Erstversorgung. Und sie stehen den Geflüchteten zur Seite, um ihnen beim Asylantrag zu helfen. Diese mutigen Helfer*innen kämpfen unermüdlich dafür, den Kindern und Jugendlichen in ihrer schlimmsten Not Hoffnung und Unterstützung zu bieten.

Interview mit unserer Expertin Teresa Wilmes

Welche Eindrücke hast Du von deinem letzten Besuch im Juli mitgebracht?

Die Stimmung war merklich angespannter. Seit Juni hat die polnische Regierung eine Sperrzone entlang der Grenze errichtet, in der Organisationen keine Hilfe leisten können. Unsere Partner spüren, dass der Hass zunimmt. Übergriffe auf Helfende nehmen zu, einige wurden von einer rechten Bürgermiliz mit der Waffe bedroht. Gerade deswegen berührt mich der unermüdliche Einsatz von Egala – und ihre traurigen, aber auch schönen Geschichten: über Kinder, die nach Wochen im Wald gar nicht mehr spielen können. Und über Menschen, mit denen Egala immer noch in Kontakt ist und die nun endlich in Sicherheit und Frieden leben. Die feste Überzeugung der Mitarbeiterinnen von Egala, dass es richtig ist und bleibt, Menschen zu helfen: Das macht mir trotz allem weiter Mut.

Wie sähe eine menschenwürdige Lösung aus Sicht von Terre des Hommes aus?

Alle Kinder, alle Jugendlichen, alle Menschen haben das Recht darauf, dass ihr Asylgesuch in Europa gehört und geprüft wird. Das wird aber an vielen Außengrenzen der EU täglich missachtet. Insbesondere für Kinder und Familien braucht es zudem sichere Fluchtwege nach Europa, damit sie überhaupt die Chance bekommen, Schutz zu suchen, ohne ihr Leben aufs Spiel zu setzen. Dafür braucht es umfangreiche Aufnahmeprojekte statt Hass und Hetze, wie wir sie derzeit erleben. 

Terre des Hommes unterstützt seit über vierzig Jahren junge Geflüchtete, die nach Deutschland kommen. Was können wir daraus für die Debatte um Flucht und Migration lernen?

Kinder und Jugendliche, die bei uns Schutz suchen, flüchten vor Kriegen und Gewalt. Viele von ihnen möchten ein neues Zuhause und Sicherheit finden. Aktuell erleben wir weltweit migrationsfeindliche Rhetorik, die immer öfter auch in Gewalt gegen Geflüchtete umschlägt. Auch und gerade dann ist es unsere Aufgabe als Kinderrechtsorganisation, immer wieder klarzustellen: Die mangelhafte Finanzierung des Bildungssystems, fehlender Wohnraum und mangelnde Kitaplätze sind Ergebnisse einer verfehlten Sozialpolitik der letzten Jahrzehnte. All das Geflüchteten in die Schuhe zu schieben, ist falsch und schürt Hass. Gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen, aber auch in großen zivilgesellschaftlichen Bündnissen stellen wir uns daher dem Rechtsruck entgegen und fordern weiter eine kindgerechte und humane Asyl- und Migrationspolitik.

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