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El Salvador - Die Rückkehr der Verschwundenen?

terre des hommes Partnerorganisationen kämpfen gegen das Vergessen

»Die Verschwundenen« – jede Lateinamerikanerin und jeder Lateinamerikaner verbindet mit diesem Begriff die Bilder von weinenden Müttern und Gewalt. Er ist fest im historischen Gedächtnis einer ganzen Region verankert.  Militärdiktaturen ließen, insbesondere in den 1970er und 1980er Jahren, massenhaft Oppositionelle und Andersdenkende »verschwinden«. Sie wurden meist entführt, ermordet, in anonymen Gräbern verscharrt oder ins Meer geworfen. Die Kinder der Ermordeten wurden zur Adoption freigegeben. Die Ungewissheit über die Schicksale der Verschwundenen ist für die Angehörigen bis heute besonders belastend.

In einigen Ländern Mittelamerikas ist das Phänomen der Verschwundenen wieder zurück. Jetzt  sind es aber vor allem kriminelle Banden, die massenhaft gewaltsam Personen »verschwinden lassen«. In El Salvador ist die Situation besonders schlimm: Laut Polizeistatistik wurden im vergangenen Jahr 1.927 Personen gewaltsam verschleppt. Im Durchschnitt wird nur eine von zehn Personen lebend wiedergefunden. Die meisten werden ermordet und anonym auf geheimen Friedhöfen vergraben. Manchmal sind die Opfer Mitglieder rivalisierender Gangs, manchmal Kinder und Jugendliche, die sich den Banden nicht anschließen möchten, wieder andere sind ganz einfach zur falschen Zeit am falschen Ort. Sechs von zehn Opfern sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. Die Angehörigen bekommen von staatlicher Seite kaum Unterstützung. Jugendliche aus armen Stadtvierteln werden zudem oft als Gangmitglieder stigmatisiert und sind auch seitens Polizei und Armee Gewalt ausgesetzt. Denn seit 2009 wird auch die Armee, die eigentlich nicht dafür ausgebildet ist, verstärkt im Kampf gegen die Banden  eingesetzt.

El Salvador ist gemessen an der Mordrate das gewalttätigste Land der Welt, das sich nicht im Krieg befindet. Ein Großteil der Gewalt geht von kriminellen Gruppen, den Maras, aus. Diese Gangs haben mittlerweile mafiöse Strukturen und sind sogar international vernetzt. 2012 schlossen die Maras »Salvatrucha« und »Barrio 18« vorübergehend einen Waffenstillstand, was zu einer Verminderung der landesweiten Mordrate um 40 Prozent führte. Nach dem Bruch des Waffenstillstandes nahm die Gewalt wieder zu. Wie groß die Macht dieser Banden ist, wurde erneut Ende Juli deutlich, als die Maras einen Busstreik ausriefen und so das Land lahmlegten. Busfahrer, die sich nicht an diese Anweisungen hielten, wurden brutal ermordet.

Der Kampf gegen Ohnmacht und Vergessen

Die »Asociación Salvadoreña por los Derechos Humanos« (ASDEHU) hilft mit Unterstützung von terre des hommes den Angehörigen der Verschwundenen dabei, sich zu organisieren, um gemeinsam gegen die Ungewissheit und das Gefühl der Ohnmacht zu kämpfen. ASDEHU verfolgt die Fälle von Verschwunden und versucht in El Salvador und international Druck aufzubauen, um gegen die Straflosigkeit vorzugehen. Dabei arbeitet ASDEHU mit erfahrenen Menschenrechtsaktivisten und Anwältinnen zusammen.

Im Mai dieses Jahres brachte ASDEHU den Fall von drei verschwundenen Jugendlichen sogar bis vor die UN in Genf: In der UN-Arbeitsgruppe zum Thema »Verschwundene« stellte der Anwalt der ASDEHU den Fall und den Stand der Ermittlungen zum Thema dar und erreichte, dass seitens der UN eine offizielle Anfrage an den salvadorianischen Staat gestellt wurde.

Der Fall war von besonderer Brisanz, weil die Jugendlichen 2014 spurlos verschwanden, nachdem sie, so Augenzeugenberichte, im Rahmen einer angeblichen Militäraktion gegen die Maras von Soldaten festgehalten wurden. Die Soldaten einer Sondereinheit griffen im Februar letzten Jahres eine Gruppe von insgesamt fünf Jugendlichen auf, die sie beschuldigten, Mitglied der Mara »Barrio18« zu sein. Zwei der Jugendlichen ließen sie kurze Zeit später frei. Die restlichen drei wurden, laut Aussage von Zeugen, unter Waffengewalt in einen Stadtteil verschleppt, der unter dem Einfluss der Mara »Salvatrucha« stand. Hier verliert sich ihre Spur. Die Angehörigen versuchten lange Zeit erfolglos, von den Behörden Informationen über den Verbleib der drei Jugendlichen zu erhalten. Auch Drohungen und Einschüchterungen sind sie dabei ausgesetzt. Anscheinend ist der internationale Druck erfolgreich, denn im Juli dieses Jahres begannen Gerichtsverhandlungen gegen eine Gruppe von Militärangehörigen.

Für die Angehörigen von Verschwundenen sind die Gewissheit und das Erinnern sehr wichtig. Schon 1984 sang der bekannte mittelamerikanische Sänger Ruben Blades in seinem Lied »Desapariciones«: »¿Y cuándo vuelve el desaparecido? Cada vez que los trae el pensamiento.« – »Und wann kommt der Verschwundene zurück? – Jedes Mal, wenn die Erinnerung ihn uns herbringt!“

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