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»Ich habe alles erlebt und weiß, wie hart es ist«

Interview mit Bryar Bagg, Leiter von »Green Desert«

Die Schreckensherrschaft des Islamischen Staates (IS) hat bei den Menschen im Irak tiefe Narben hinterlassen. Im Norden des Landes leben etwa 1,5 Millionen Geflüchtete und Vertriebene. Anlass zur Hoffnung gibt die terre des hommes-Partnerorganisation »Green Desert«. Sie wurde von jungen Iraker*innen gegründet, die vorher für internationale Organisationen in der humanitären Hilfe gearbeitet hatten. Bryar Bagg ist ihr Leiter.

Herr Bagg, was genau macht Green Desert?
Unser Schwerpunkt ist die psychologische und psychosoziale Hilfe für Kinder und Erwachsene. Der Bedarf ist sehr groß, es gab mehrere Kriege in der Region. Sehr viele Menschen sind durch Kriegserlebnisse traumatisiert.

Wie setzt sich Ihr Team zusammen?
In unserem Team sind unter anderem syrische Geflüchtete und irakische Vertriebene. Manche von ihnen befinden sich in der gleichen Situation wie die Familien, denen wir helfen. Wenn unsere Leute dann in ihren Gemeinden arbeiten, setzt das zusätzliche Energie frei. Denn sie leisten etwas für ihre eigene Familie und ihre Gemeinschaft.

Was motiviert Sie für Ihre Arbeit?
Vor allem meine persönliche Vergangenheit. Als ich zehn Jahre alt war, wurde ich mit meiner Familie vertrieben. Ich habe das alles erlebt und weiß, wie hart es ist. Für eine Familie und für jeden Einzelnen. Green Desert bietet spezielle Gruppen für junge Männer an. Warum? Die psychische Belastung ist in vielen Familien sehr hoch und häusliche Gewalt – oftmals durch männliche Familienmitglieder – weit verbreitet. Leidtragende sind vor allem Kinder, Jugendliche und Frauen. Mit dem Projekt »Windows of Opportunity« wollen wir den Kreis der Gewalt durchbrechen. Dabei arbeiten wir vor allem mit jungen Männern und entwickeln mit ihnen gemeinsam ein neues Rollenverständnis und Männlichkeitsbild.

Keine leichte Aufgabe in einem Umfeld, in dem es häufig als Schwäche gilt, psychologische Unterstützung anzunehmen…
Das stimmt. Viele haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren und kein Einkommen. In Fluchtkontexten ist es für Frauen meist einfacher, Arbeit zu finden. Sie arbeiten beispielsweise als Näherin oder sind als Hausangestellte tätig. Dass zumindest ein Elternteil etwas verdient, ist eine gute Sache. Mit dem traditionellen männlichen Rollenverständnis passt es aber nicht zusammen: Der Mann gilt als Beschützer und Ernährer der Familie. Unsere Sozialarbeiter erreichen die Männer über sogenannte »Türöffner-Angebote«, durch die sie Vertrauen gewinnen. Wir bieten jungen Männern Bildung und Jobtrainings als Elektriker oder Bäcker. Das erleichtert ihnen den Einstieg in den Arbeitsmarkt – und im Idealfall öffnen sie sich über das gewachsene Vertrauen zu uns auch für andere Angebote.

.. zum Beispiel für Diskussionsrunden und Gesprächsangebote?
Ganz genau. In unseren Männergruppen werden Gewalt an Frauen und häusliche Gewalt thematisiert, aber auch Themen wie die Berufsfindung oder Freizeitaktivitäten bekommen Raum. Die Männer erleben, dass sie hier nicht ausschließlich als Täter betrachtet werden. In Diskussionsrunden erfahren sie mehr über den Zusammenhang zwischen stereotypen Männlichkeitsvorstellungen wie Stärke, Dominanz oder Macht und der Ausübung von Gewalt. In dieser zugewandten und sicheren Atmosphäre gewinnen sie an psychischer Stabilität. So finden sie Wege, familiäre Konflikte gewaltfrei zu lösen.

Wie wirkt sich das auf ihre Frauen und Kinder aus?
Das Projekt hat gerade erst begonnen. Aber die Erfahrung aus unseren Vorgängerprojekten zeigt, dass insbesondere in konservativen Milieus Familienväter zunehmend bereit sind, auch ihre Töchter und Ehefrauen an Projektaktivitäten teilnehmen zu lassen, wenn sie zuvor selbst durch die »Türöffner-Angebote« erreicht wurden. Letztendlich geht es darum, die Gleichberechtigung nachhaltig zu stärken und Zukunftsperspektiven zu schaffen.

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