Zur Problematik der Selbstbeschaffungsadoption
»Selbstbeschaffungsadoptionen« unter legaler Umgehung deutschen Rechts
Statement des Adoptionsexperten Dr. Bernd Wacker auf der terre des hommes Pressekonferenz vom 6. Juli 2006 in Berlin
terre des hommes Deutschland e.V. hat zwischen 1967 und 1998 mehr als 2.800 Kinder aus der so genannten Dritten Welt, vor allem aus Südkorea, Indien und Kolumbien zur Adoption an deutsche Bewerber vermittelt und so die damals noch weithin kritisch beäugte Idee und Praxis der Auslandsadoption populär gemacht. Mitte der 80er Jahre wurde uns deutlich, dass diese inzwischen etablierte Praxis die Gefahr in sich birgt, dass aus einem Instrument der Jugendhilfe ein Mittel der Kinderbeschaffung für unfreiwillig kinderlose Paare zu werden drohte. Schuld daran war nicht nur der um sich greifende kriminelle Kinderhandel, sondern auch die im Blick auf das Wohl des Kindes ebenso gefährlichen Privat- oder Selbstbeschaffungsadoptionen. Wie groß die Zahl dieser Selbstbeschaffungsadoptionen im Verhältnis zu fachgerecht begleiteten Vermittlungen damals tatsächlich war, ist schwer zu sagen. Dies schon deshalb, weil der Begriff der Privatadoption keineswegs einheitlich gebraucht wurde. Sprachen die einen von Privatadoption schon dann, wenn keine der spezialisierten und staatlich anerkannten Auslandsvermittlungsstellen beteiligt war, wollten andere den Begriff erst dann benutzen, wenn die potentiellen Eltern darüber hinaus auch die Adoptionsstelle des örtlichen Jugendamtes nicht eingeschaltet hatten und somit über keinen Eignungsbericht (home study) verfügten. Nach den wenigen uns zur Verfügung stehenden seriösen Schätzungen aus den 1980er und 1990er Jahren dürften im Durchschnitt mindestens ein Drittel aller damals getätigten Auslandsadoptionen nach Deutschland - wahrscheinlich aber erheblich mehr - auf privatem Wege zu Stande gekommen sein.
Schon damals hat terre des hommes den Gesetzgeber und die zuständigen Stellen verschiedentlich aufgefordert, gegen diese Form der Kindesbeschaffung energisch vorzugehen. Die Reaktionen der Fachwelt auf diese Appelle waren zunächst zwiespältig. Während zumeist anerkannt wurde, dass die Einhaltung fachlicher Standards bei der Vermittlung durch Privatpersonen oder rein kommerziell orientierte Agenturen im Ausland nicht ausreichend gewährleistet sei, wies man andererseits darauf hin, dass Privatadoptionen nicht automatisch mit kriminellen Vermittlungspraktiken gleichgesetzt werden dürften. So sei in vielen Fällen die Vermittlungsstelle des örtlichen Jugendamtes durchaus beteiligt; zudem kämen solche Adoptionen nicht selten mit Hilfe kirchlicher oder humanitärer Organisationen zu Stande, die oft schon lange in den betreffenden Herkunftsländern der Kinder tätig seien. Zudem sei die Bundesrepublik mit Fachvermittlungsstellen seit Jahren notorisch unterversorgt, sodass vielen Bewerberpaaren kaum ein anderer Weg bliebe, als ihren Kinderwunsch im Ausland auf eigene Faust zu realisieren.
Wie immer es sich mit der Stichhaltigkeit dieser Einwände damals verhalten haben mag - inzwischen hat sich die Situation nicht nur im Bereich des Vermittlungsrechtes, sondern auch und gerade, was dessen politisch-soziale Hintergründe angeht, entscheidend verändert. Die Kindesselbstbeschaffung durch Privatadoption - durch eine Adoption also, die zwar nach ausländischen Vorschriften durchaus rechtens, aber ohne Beteiligung einer in Deutschland anerkannten Fachvermittlungsstelle abgewickelt wird - ist als Instrument der Jugend- und Kinderhilfe schlechthin überflüssig geworden. Dazu nur einige ganz kurze Hinweise:
- Nach allem, was wir wissen, dürfte die Zahl der Adoptionsinteressenten weltweit erheblich höher anzusetzen sein als die der freigegebenen und tatsächlich vermittelbaren, d.h. gesunden und möglichst hellhäutigen Säuglinge bzw. Kleinkinder. Die Zahl der international agierenden staatlich lizenzierten Vermittlungsorganisationen aus Westeuropa und Nordamerika, aus Australien, Neuseeland und Israel und ihr schon wirtschaftlich erzwungenes Interesse an möglichst vielen Vermittlungen ist so groß, dass es zumindest gegenwärtig keinerlei privater Aktionen bedarf, um verlassene Säuglinge und Kleinkinder mit neuen Eltern zu versorgen.
- Von einer Unterversorgung Deutschlands mit qualifizierten Auslandsvermittlungsstellen kann längst keine Rede mehr sein. Waren vor 20 Jahren noch lediglich vier freie Träger auf diesem Feld tätig, so sind es heute zwölf bzw. 13 anerkannte Fachstellen allein in privater Trägerschaft, die aus bestimmten Ländern, darunter nicht wenige, die der Haager Adoptionsübereinkunft nicht beigetreten sind, vermitteln dürfen. Hinzu kommen die zwölf Zentralen bzw. Gemeinsamen Zentralen Adoptionsstellen der Landesjugendämter sowie, nach vorheriger Gestattung, einzelne örtliche Adoptionsvermittlungsstellen.
- Das seit 2002 geltende neue Adoptionsvermittlungsgesetz hält ausdrücklich fest, dass Auslandsvermittlung einzig und allein Sache der genannten spezialisierten Stellen ist. Gerade in diesem Punkt nimmt es eines der Grundanliegen der schon genannten Haager Konvention auf, die die betroffenen Kinder nicht nur vor dem grenzüberschreitenden Kinderhandel, sondern wie die Vorbereitungsdokumente zeigen, ganz bewusst auch vor den Praktiken der Selbstbeschaffungsadoption schützen wollten. Adoptionen nämlich, so die Konvention, entsprechen dem Kindeswohl nur dann, wenn sichergestellt ist, dass die Zuordnung von Kind und Bewerbern (das so genannte »matching«) durch unabhängige erfahrene Fachleute geschieht und die potentiellen Eltern bestmöglich auf ihre neue Aufgabe vorbereitet werden. Dass dies auf die Dauer auch den Adoptiveltern zugute kommt und dazu beiträgt, die Mittel der öffentlichen Jugendhilfe nicht unnötig zu belasten, liegt auf der Hand.
So war denn, als das neue bzw. revidierte Adoptionsrecht am 1. Januar 2002 in Kraft trat, die Hoffnung der Fachwelt groß, das Problem der Selbstbeschaffungsadoptionen werde sich im Zuge der allgemeinen Umsetzung des Haager Fachlichkeitsprinzips in die nationale Gesetzgebung aller Herkunfts- und Aufnahmestaaten über kurz oder lang von selbst erledigen. Und in der Tat: Die Zahl der Ratifikationen bzw. der Beitritte hat in den vergangenen Jahren langsam aber kontinuierlich zugenommen. Zurzeit sind ca. 70 Staaten unter dem Dach dieses ersten wirklich globalen Vertragswerkes zum Thema Adoption versammelt. Doch nach wie vor ist die Adoptionswelt zweigeteilt: Nicht nur einige Aufnahme-, sondern selbst wichtige Herkunftsstaaten, wie zum Beispiel Russland, zögern ihren Beitritt immer noch hinaus und werden auf diese Weise zum bevorzugten Ziel aller Reisenden in Sachen Privatadoption. Exakte statistische Daten und länderspezifische Übersichten allerdings fehlen. Die Ergebnisse einer aktuellen terre des hommes-Anfrage bei allen Zentralen Adoptionsstellen sowie bei der Bundeszentralstelle für Auslandsadoption in Bonn jedoch zeigen, dass es sich keineswegs um einige wenige Einzelfälle handelt. Mit den Kolleginnen und Kollegen, die geantwortet haben, gehe ich davon aus, dass mit einer hohen Dunkelziffer in diesem Bereich zu rechnen ist. Selbst dann, wenn alle insbesondere bei der Bundeszentralstelle vorhandenen statistischen Daten einmal ausgewertet sein werden, dürfte die Zahl der tatsächlichen erfolgten »Selbstbeschaffungsmaßnahmen« deutlich darüber liegen. Und dies nicht zufällig, ist doch davon auszugehen, dass nicht wenige Adoptiveltern Form und Umstände ihrer Kindesbeschaffung so lange wie möglich verschweigen.
Beteiligt sind daran, soweit ich sehe, vor allem zwei Gruppen von Adoptionsinteressenten: Zum einen handelt es sich dabei um Menschen, die auf Grund bestimmter biographischer oder charakterlicher Dispositionen (zu hohes Alter, schwere Krankheit, relevante Vorstrafen, offensichtliche Nichteignung usw.) damit rechnen müssen, von den regulären Fachstellen abgelehnt zu werden oder deren Bewerbung tatsächlich schon einmal negativ beschieden wurde. Zum anderen dürfte es sich um »Wunsch-Eltern« handeln, die nach vorhergehenden Auslandsaufenthalten bereits ein bestimmtes Kind in einem bestimmten Land und Heim im Auge haben und die Möglichkeit der Adoption genau dieses Kindes durch ein sich länger hinziehendes Verfahren oder die möglicherweise abweichende Meinung der Fachleute nicht gefährden wollen.
Ich komme zum Schluss und dem für terre des hommes entscheidenden Punkt. Denn wie immer es sich mit den genauen Zahlen verhalten mag - das eigentliche Problem besteht nicht darin, in welcher Zahl es sie gibt, sondern dass sie im Widerspruch zur Haager Konvention und zum deutschen Adoptionsvermittlungsgesetz legal möglich sind. Die im FGG, dem »Gesetz über die freiwillige Gerichtsbarkeit« § 16a verankerte beinahe problemlose Anerkennung im Ausland privat erwirkter Adoptionsbeschlüsse macht's möglich. Wegen der damit verbundenen Gefahren für die betroffenen Kinder darf dies nicht länger so bleiben. Es wird höchste Zeit, Auslandsadoptionen ohne fachliche Vorbereitung und Begleitung endgültig einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Die anstehende Reform des FGG und die im Bundesfamilienministerium geplante Novellierung des Adoptionsvermittlungsrechtes gäbe dazu reichlich Gelegenheit.
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