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Spurensuche oder Distanz zu den koreanischen Wurzeln – was steht an?“

Ein Beitrag von Rebecca Knesch *

Ich wurde 1976 im Alter von zweieinhalb Jahren über den Verein Terre des Hommes nach Deutschland adoptiert. 1999 gründete sich innerhalb des Vereins die »Arbeitsgruppe Adoptierte«, in der Adoptierte für andere Adoptierte aus den Ländern, aus denen terre des hommes vermittelt hat, ehrenamtliche Arbeit leisten.

Somit blicken wir auf inzwischen einige Jahre in der Nachbegleitung von (nicht nur koreanischen) Auslandsadoptierten zurück. Ich persönlich habe seit meinem ersten, von terre des hommes veranstalteten Adoptiertentreffen 1989 rege Kontakte zu anderen Adoptierten gepflegt und so viele Langzeitbeobachtungen anstellen können.

Die Spurensuche ist eines der zentralen Themen unter den Adoptierten. Nicht umsonst ist das Wissen um die eigene Herkunft ein gesetzlich verankertes Grundrecht, und so ist es kaum verwunderlich, dass jeder Mensch sich die Frage nach seinen Wurzeln stellt, auch alle, die niemals in ihrem Leben mit Adoption in Berührung kommen. Nur wer weiß woher er kommt kann entscheiden wohin er geht. 

Seit vielen Jahren beobachte ich nun das immer gleiche Phänomen: Treffen sich zwei Adoptierte zum ersten Mal und finden sich sympathisch genug, um sich zu unterhalten, stellt über kurz oder lang der eine dem anderen die Frage, ob er schon mal nach seinen Wurzeln gesucht oder versucht hat, seine leiblichen Eltern zu finden. Und seltsamerweise ist diese Frage, die – von einem Nicht-Adoptierten Mitmenschen gestellt meistens zu größerem Unbehagen bei den Adoptierten führt – fast immer der Beginn eines ehrlichen Austauschs, der oft sogar mit Erleichterung geführt wird. 

Die Frage nach der Herkunft

Endlich hat man jemanden, mit dem man über dieses Thema sprechen kann. Und immer wieder höre ich Adoptierte sagen, dass jemand, der eine lückenlose Biografie besitzt, niemals verstehen kann, was die Frage nach der Herkunft für uns bedeutet. Natürlich ist nicht für alle dieses Thema von gleicher Bedeutung und Wichtigkeit, und vor allen Dingen nicht für alle im gleichen Alter. Interessanterweise gibt es Adoptierte, die schon als Kind fest entschlossen waren, sich eines Tages auf die Suche nach ihrer Herkunft zu machen; andere packt das Interesse erst in späteren Jahren. Vielleicht werden manche von uns niemals nachforschen – wer weiß das schon?

 

Wichtig ist, dass man von Anfang an im Auge behält, dass die Suche nach den eigenen Wurzeln stets und vor allen Dingen eine individuelle Angelegenheit ist, die keinen festgeschriebenen Regeln folgt. Das macht es auch so schwer, Adoptierten pauschale Ratschläge zu geben, was sie tun sollen und was nicht. Wir sprechen hier von einem Weg, den jeder in seinem ganz eigenen Tempo zurücklegt und bei dem niemand im voraus wissen kann, in welche Richtung er führt, wie viele Kreuzungen er wohl bereithält und ob er in einer (scheinbaren?) Sackgasse endet. 

Die Erfahrung zeigt aber, dass man sich niemals blauäugig und unvorbereitet auf die Suche begeben sollte. Immer mehr junge Erwachsene machen sich auf den Weg, ihr ganz eigenes Korea zu entdecken, und so verschieden sich die Dinge dann auch entwickeln mögen, so ähneln sich doch einige grundlegende Fragen, die sich einem zwangsläufig stellen: 

A) Wann – sollte ich suchen?
Ähnlich wie beim Kinderkriegen gibt es den perfekten Zeitpunkt auch hier nicht. Der Wunsch, zu suchen, muss IMMER aus mir selbst heraus kommen. Meist ist es so, dass sich Fragen über Fragen im Kopf türmen, bis man eines Tages endlich begreift, dass man die Antworten nur finden kann, wenn man sich nach Korea begibt. Und diese Erleuchtung kommt einem selten kurz vor Ferienbeginn oder in einer Semesterpause. Gerade bei jungen Menschen stellt sich natürlich auch die Frage, ob sie es sich leisten können, mal eben mehrere tausend Euro für eine solch teure Reise aufzuwenden. Wenn man hier nicht Unterstützung, z. B. von den Adoptiveltern bekommt, kann die Frage nach dem „wann“ auch leicht beantwortet werden mit »wenn bezahlbar«. 

Grundsätzlich raten wir den Adoptierten, auf die Suche zu gehen, wenn sie ein echtes Bedürfnis danach verspüren, aber wenn immer möglich ihr Leben dadurch nicht völlig auf den Kopf zu stellen. Es macht die Sache nicht einfacher, wenn man eventuell von der Suche enttäuscht zurückkehrt und dann in ein Leben zurückgeworfen ist, das schlechter ist als zuvor, weil man aus einem Impuls heraus seinen Job gekündigt oder sich aufgrund emotionaler Überlastung vorschnell von seinem Partner getrennt hat. Gerade wenn einen diese Reise in die Vergangenheit sehr belastet, hilft vor allen Dingen ein stabiles und vertrautes Umfeld, ein wenig aufzufangen. 

B) Warum – suche ich?
Manchmal ist diese Frage gar nicht so leicht zu beantworten – fragen Sie ein kleines Kind, warum es nach seiner leiblichen Mutter fragt! Gerade in der Pubertät und in den folgenden Jahren der Identitätsfindung stolpern wir immer wieder über unsere Adoption – da fällt es schwer, das Thema zu ignorieren. Es wäre zu einfach zu behaupten, dass vor allem Adoptierte auf die Suche gehen, die mit ihrem hiesigen Leben unzufrieden ist. Nein, das ist schlichtweg nicht wahr. Es gibt viele Motivationen, in den Flieger nach Korea zu steigen: Neugier, Reiselust, eine unerklärliche Sehnsucht, was auch immer. Manche sprechen von einem »Mosaik, in dem mir noch zu viele Steinchen fehlen« oder von einem »schwarzen Loch in meiner Biografie, das ich füllen möchte«.

Doch wie wir es auch ausdrücken, es ist immer eine Lücke, die uns aufbrechen lässt, mit dem Ziel, etwas zu finden, das diese Lücke schließen kann. Manchmal entsteht allerdings der Eindruck, als würden Adoptierte aus ihrem hiesigen Leben entfliehen, oder gar das „gelobte Land“ finden wollen, wo alles besser ist als hier. Allzu oft werden aber diese Erwartungen ganz und gar nicht erfüllt. 

C) Wen (oder was) – suche ich?
Die Suche nach den eigenen Wurzeln ist immer die Suche nach dem eigenen Ich. Und so ist es auch zu verstehen, dass viele Adoptierte in erster Linie den Anfang ihres eigenen Lebens suchen. Die oben erwähnte Lücke in der Biografie ist sicherlich die stärkste Motivation und somit die Suche nach Personen unseres früheren Lebens die Zielgruppe. Das sind vor allem die leiblichen Eltern, Geschwister, weitere Verwandte. Aber auch Heimleiter, Pflegemütter, Sozialarbeiterinnen. Auf dem Weg dorthin suchen wir natürlich Informationen, Unterlagen, Akten. Und wenn es diese nicht gibt, bleibt nur die Suche nach den stummen Zeitzeugen: Da wird jeder Name in der eigenen Akte zum einzigen Anhaltspunkt. Plötzlich dreht sich alles nur noch um eine Polizeistation, eine Kirche, ein Kinderheim. Gesucht wird eigentlich alles, mit dem wir in Berührung kamen – vor unserer Adoption. Das Korea von damals werden wir nicht finden, das merken wir immer dann, wenn Adoptierte doch noch Erinnerungen besitzen und diese nur schwer abgleichen können, weil sich dieses Land in den letzten zwanzig, dreißig Jahren so enorm verändert hat. Und oftmals ist es für uns, die wir nie bewusst Not gelitten haben, auch schwer vorstellbar, wie die Lebenssituation der Koreaner zu jenen Zeiten war. 

Gesucht wird aber auch – das Korea von heute. Wir möchten wissen, wie es diesem Land heute geht, das sich jahrzehntelang nicht um uns kümmern konnte, wie es sich entwickelt hat und wie seine Menschen so ticken. Die Zeiten haben sich sehr verändert, und es ist für uns natürlich sehr viel einfacher geworden, seit sich Korea dem Westen sehr stark angeglichen hat. Und so entsteht aus der ursprünglichen Suche nach der koreanischen Vergangenheit oftmals ganz still und leise die Suche nach einem Platz im heutigen Korea. 

D) Was – erwarte ich?
Wir leben in einem Informationszeitalter, und dank der modernen Medien ist es leicht geworden, sich ein Bild von Korea zu machen, bevor man auch nur einen Fuß über die Grenze gesetzt hat. Als ich mich 1993 entscheiden musste, ob ich nach Korea fliegen möchte, brachte mir mein Vater alles, was er an Literatur über Korea finden könnte – es war erbärmlich wenig. Die wenigen Bücher waren veraltet und beschäftigten sich hauptsächlich mit der politischen und wirtschaftlichen Seite Koreas. Es gab nur wenige Möglichkeiten, in Deutschland koreanisch zu essen (zum Glück ist das heute anders!!!) oder gar die Sprache zu lernen. 

Wie gesagt, heute ist das alles anders. Rein geographisch, politisch und kulturell wissen wir also, was wir von so einer Reise zu erwarten haben. Aber niemand kann uns darauf vorbereiten, wie dieses Volk uns aufnimmt, wie die Menschen auf der Straße auf uns reagieren oder – wie wir selbst empfinden werden. Eine Reise ins Herkunftsland ist nicht vergleichbar mit einem x-beliebigen Urlaub – es ist immer eine Rückkehr zu etwas, woran sich die allerwenigsten von uns erinnern.

Insofern kann man Adoptierten nur raten, nicht zuviel von einer solchen Reise zu erwarten, sondern offen zu sein, so viel wie möglich für sich mitzunehmen. Aufnahmebereit ist man aber nur dann, wenn man Korea möglichst unbelastet und vor allem vorurteils- und wertungsfrei begegnet.

E) Wohin – gehe ich bei meiner Suche?
Jede Suche beginnt in uns selbst, in unserem Kopf, in unserem Herz. Danach ist alles wie eine Schnitzeljagd, oftmals mit viel Detektivarbeit verbunden. Der erste Blick sollte also der eigenen Akte gelten, die anfangs natürlich schwer zu lesen ist, gerade wenn man kein koreanisch oder kein Englisch kann. Deswegen (und auch aufgrund der vielen fremden Namen und Bezeichnungen) empfiehlt es sich, dafür Hilfe zu haben.

Im Idealfall kann jemand übersetzen, oder aber es finden sich Menschen, die mit der Adoption zu tun hatten und so noch weitere Informationen herausfinden können. Anlaufstellen sind hierbei die Adoptionsvermittler in Deutschland, oder aber auch in Korea.

F) Wie gehe ich mit den Folgen um?
Direkt verknüpft mit der Frage, warum ich suche, ist die Frage, wie ich mir vorstelle mit dem umzugehen, was sich aus der Suche ergeben könnte. So absurd es klingt, auch wenn sich nichts ergibt, muss man damit umgehen können. Gerade wenn man lange mit sich gerungen hat, ob man wirklich suchen soll, kann die Enttäuschung umso größer sein, wenn man überhaupt nichts Neues erfährt, das Mosaik weiterhin unvollständig bleibt.

Im Gegensatz dazu stellt sich natürlich die Frage, wie ich mit den Menschen umgehe, die während dieser Suche eventuell auftauchen und die ich mir zum einen dadurch in mein eigenes Leben hole; in deren Leben ich aber auf der anderen Seite auch trete. Bin ich darauf gefasst, dass ich auf Menschen treffe, die vielleicht mehr von mir wollen, als nur mal zu sehen, wie ich aussehe, um sich dann für immer zu verabschieden? Kann ich es ertragen, dass ich eventuell Fremden gegenüberstehe, die vom gleichen Blute und die mir trotzdem nicht vertraut sind? Oder was mache ich, wenn diese Fremden mir plötzlich erstaunlich nahe sind und ich nach einiger Zeit des Kennenlernens plötzlich eine zweite Familie habe – mit allen Vor- und Nachteilen, die eine solche Konstellation mit sich bringen kann? 

Die Büchse der Pandora mag ein etwas krasser Vergleich sein – aber allgemein kann man jedem Adoptierten nur raten: »Öffne sie nicht, wenn Du nicht auch bereit bist, mit dem, was sich dann zeigt, umzugehen«. Es ist eine harte Wahl, vor der jeder steht, der sich für eine Wurzelsuche entscheiden möchte, sich aber nicht wirklich traut. Wie schwer das ist, zeigen jene Beispiele von Adoptierten, die diese Auseinandersetzung mit sich selbst immer wieder vor sich herschieben nach dem Motto „darum kümmere ich mich wann anders“ oder gar völlig verdrängen. 

Verständlich, dass sich einige wenige beschließen, ein solches Risiko gar nicht erst einzugehen und somit ihr Leben lang Korea links liegen lassen und Fragen nach ihrer Herkunft gar nicht erst zulassen. Wenn man Adoptierten in diesem Entscheidungsprozess helfen möchte, hilft es daher oftmals eher, in die Vergangenheit zu blicken, anstatt in eine mögliche Zukunft zu starren, die man doch nie vorausahnen kann. Wie gehen andere Adoptierte bei ihrer Spurensuche vor, wie gehen sie damit um und was machen sie daraus? Nicht, um sich daran festzuklammern und einen der Wege kopieren zu wollen, sondern um ein Bild davon zu bekommen, auf was man sich da einlässt. Ein paar solche Bilder werde ich Ihnen versuchen zu skizzieren, Fälle aus dem echten Leben – Spurensuchen von Adoptierten: 

1. Erster Fall
Ein Adoptierter reist mit 18 Jahren zum ersten Mal nach Korea, mit einer Gruppe und getrieben von den Adoptiveltern einerseits und der Neugierde auf ein »neues« Land andererseits. Er reist halt generell sehr gerne. Die Herkunft ist kein Thema für ihn, Probleme mit seiner Adoption hat er nicht, sagt er. Er bekommt Einblick in seine koreanische Akte bei der Vermittlungsorganisation in Korea und findet heraus, dass er im Alter von viereinhalb Jahren von seiner Tante in einem Heim abgegeben wurde – und die hat nicht nur die Hintergründe, sondern auch die Daten seines leiblichen Vaters angegeben. 

Nach dem ersten Schock ignoriert er diese Neuigkeiten. Erst fünf Jahre später reist er wieder nach Korea und nimmt über die Vermittlungsorganisation in Seoul Kontakt zu seinem leiblichen Vater auf. Ein wenig zögert der, doch ein paar Tage später kommt es zu einem Wiedersehen. Mit dem Vater bekommt er noch eine koreanische Stiefmutter und einen jüngeren Halbbruder mit dazu, sowie die große Verwandtschaft der väterlichen Seite. Da sich die leiblichen Eltern im Streit getrennt haben, scheint es unmöglich, die Mutter zu finden. 

Seit 1999 hat er seine koreanische Familie noch zwei Mal besucht, den Kontakt hält er nur sehr locker und in seinem Leben spielt diese Verwandtschaft nur eine kleine Nebenrolle. 

2. Weiterer Fall
Eine Adoptierte (weiblich, 34) erzählt:
»[…] Koreanisch? Meine Eltern haben mir das Land oder die Kultur nicht nahe gelegt. Als ich über die Pfadfinder die Möglichkeit hatte, nach Korea zu fliegen, haben es meine Eltern eher zu verhindern versucht. Und als 18jährige hatte ich das Geld für den Flug nicht.... Korea? Ein Land weit, weit weg. Genauso weit weg wie China oder Japan. Ein asiatisches Land halt eben... mehr auch nicht.  Ach, mein Interesse zu diesem Land war genauso groß wie zu einem anderen Land, welches ich noch nicht bereist hatte. Bis ich doch als Spätzünder mit 28 Jahren anfing, näheres über meine Adoption erfahren zu wollen. Dann bekam ich die Möglichkeit in vier Monaten Blitzbesuch Korea ein wenig besser kennenzulernen. Wir waren damals medienwirksame Werbung für dieses Projekt. Somit waren wir in vielen Sendungen quer Beet in Korea. Hatte schnell die Chance in der koreanischen Achim Madang Show teilzunehmen, in der man seine Angehörigen suchen kann. Erschreckend, dass sich soooo viele Leute gemeldet haben, die teilweise darauf schworen, dass ich ihre Tochter wäre. Mit drei »Eltern« gab es auch DNS Tests, aber sie waren alle negativ. Ich war längst wieder in Deutschland, da hat sich zwei Jahre nach der Sendung noch eine Frau gemeldet (...) und ich habe meine DNS nach Korea (Blut auf Taschentuch) gesendet (…) und auch dieser Test war negativ. 

Es hat mir nur traurigerweise gezeigt, dass es einfach zu viele waren, die ihre Kinder ausgesetzt haben. Es haben sich einfach zu viele gemeldet, die teilweise noch nicht mal meine Fakten mit den ihrigen verglichen hatte. Denn oft stellte es sich schon sehr schnell heraus, dass die Fakten meiner Geschichte nicht mit den Daten ihrer übereinstimmten (...)  dennoch behaupteten sie immer wieder, dass ich die Tochter bin, da ich ja so eine Ähnlichkeit hätte.(...). Sogar ein berühmter Fernsehkoch hatte sich gemeldet. (…)

Schlimm war in diesem Zuge auch, dass ich alle ihre persönliche Geschichte mitbekam. Sie erzählten mir, wie es damals zu dem »Verlieren«" des Kindes kam. Ich war so enttäuscht über dieses Land, dass ich Deutschland damals einfach den Vorrang gab und ich wieder hierher zurückkehrte. Heute sehe ich es etwas weniger extrem. Mein Blickwinkel war damals war auch super emotional.

Seitdem beschäftige ich mich also mehr mit meiner Identität (..),  habe aufgehört,  mich gegen das Nicht-Deutsch-sein zu wehren, bin mal mehr Deutsche und mal mehr Koreanerin. (…). Mein Kopf hat es damals verwehrt einen Koreaner zu heiraten. Ich war zu deutsch-rational. Mein Bauch hat da nicht gesiegt. So habe ich mich erstmal für das deutsche Leben entschieden.« 

3. Nächster Fall

Ein 36jähriger Adoptierter fliegt alleine das erste Mal nach Korea und findet Kontakt zu anderen Adoptierten, als er in einem Gästehaus, das eigens für koreanische Adoptierte eingerichtet wurde, übernachtet. Sie verweisen ihn an eine Adoptiertenorganisation mit Sitz in Seoul, die u. a. bei Spurensuchen behilflich ist.

So bekommt auch er die Chance, in der bereits erwähnten Achim Madang Show aufzutreten. Da er aus Korea eine körperliche Behinderung mitbrachte, erkennt ihn seine Familie genau daran und er findet seine Mutter und seine Brüder, der Vater ist leider bereits verstorben. 
Seitdem versucht er, zwei Leben zu führen: ein unstetes und wackeliges in Deutschland, sowie ein von Träumen und Hoffnungen erfülltest in Korea. So oft er es sich leisten kann fliegt er zu seiner koreanischen Mutter und hofft, dass sie ihm eine koreanische Frau findet. 

4. Weiterer Fall
Eine 24jährige Adoptierte schreibt:
»Seit nun 2 Jahren beschäftige ich mich mit dem Adoptiert-Sein sehr intensiv und nach meiner 3monatigen Koreareise letztes Jahr rattert mein kleines Köpfchen unentwegt. Viele verdrängte Gefühle und Emotionen kommen hoch und müssen verarbeitet werden. Obwohl es Kräfte zehrend ist und viele Tränen kostet, sehe ich, es tut wahnsinnig gut. Besonders helfen mir Gespräche mit anderen Adoptierten, die ein wenig nachvollziehen können, was in mir vorgeht, welche Gedankengänge ich durchlebe und mit welchen Dämonen der Ängste ich kämpfe. Ich habe gemerkt, dass diese Gespräche, diese Menschen wie eine Familie sind, auf die ich nicht mehr verzichten möchte. 

Ich leide unter dem Fakt, dass selbst meine Adoptivfamilie und Freunde mir in der Hinsicht nicht sonderlich entgegen kommen können, da sie nicht annähernd nachvollziehen können, was in mir/uns Adoptierten vorgehen kann/vorgeht. Nun studiere ich in Köln und versuche mein Bekanntenkreis an Adoptierten zu erweitern. Korea werde ich auf jeden Fall noch einmal besuchen, viel zu viele besondere und tiefe Eindrücke hat mir dieses Land geschenkt. Die Sprache würde ich so gern sprechen können und so werde ich wohl, wenn es mir die Zeit erlaubt, bald meine spärlichen Sprachkenntnisse durch entweder weitere Reisen oder Sprachkursen ausbauen können. Ich habe das Gefühl, dass gerade erst alles angefangen hat und es macht Spaß, Neues zu entdecken, auch wenn es anstrengend ist«. 

5. Noch ein Fall
Ein achtzehnjähriger Adoptierter fliegt nach Korea und wird völlig unvorbereitet bei der Akteneinsicht mit der Information überrascht, dass seine Mutter bekannt ist und durch Angabe ihrer persönlichen Daten durchaus auffindbar. Völlig überfordert durch diese neue Sachlage lehnt er erst einmal jegliche Kontaktaufnahme ab und kehrt nach Deutschland zurück. Das Wissen um die Existenz der leiblichen Mutter versucht er erst einmal zu verdrängen, es gelingt ihm aber nicht so ganz. Jahre später erhält er mit der Post einen Brief von seiner koreanischen Mutter – der  Adoptionsvermittlung muss ein Fehler passiert sein, denn eigentlich ist es für die leiblichen Eltern unmöglich, mit den Kindern Kontakt aufzunehmen. Dem Brief sind Fotos beigelegt, auf denen klar der Adoptierte als Baby erkennbar ist, aber auch, dass er seiner Mutter sehr ähnlich sieht. Sie können sich sicher vorstellen, wie sehr dieses den Adoptierten aus der Bahn geworfen hat. 

Einige Zeit später fliegt er wieder nach Korea und trifft seine leibliche Mutter.Seither steht er in Kontakt mit ihr, besucht sie regelmäßig. Natürlich hat er begonnen, koreanisch zu lernen. Aber nicht nur das: Inzwischen hat er auch eine Koreanerin, eine Isae, geheiratet und eine entzückende kleine Tochter bekommen. In unserem letzten Gespräch sagte er, dass er sich gerne aus einem deutschen Leben zurückziehen wolle und versuchen möchte, ganz als Koreaner zu leben – in Deutschland, oder eventuell auch mal für eine Zeit in Korea. 

6. Fall
Im letzten Fall schreibt eine 29jährige Adoptierte: »Als Kind/Jugendliche habe ich mich nie für Korea interessiert, das hat sich nach meinem Abi geändert. Ich habe dann angefangen sehr viel in Frage zu stellen (...).  Also war ich natürlich auch in Korea, erst drei Wochen zu Besuch bei einer Bekannten in Seoul und danach habe ich 3 Monate an einem Programm für koreanische Adoptierte teilgenommen. Ich muss sagen, dass war sicher eines der herausforderndsten, emotionalen Vorhaben meines bisherigen Lebenslaufs. Ich habe sehr viel über mich gelernt und seitdem hat mich selten die Sehnsucht gepackt, wieder nach Korea zu gehen. Ich habe dadurch gelernt, dass meine Familie, meine Freunde hier in Deutschland sind und dass sie mich wirklich lieben und, mit ihren Mitteln, immer alles getan haben, was sie konnten«. 

Sechs Beispiele, sechs verschiedene Leben, sechs völlig unterschiedliche Suchen, die zeigen, dass keine Geschichte der anderen gleicht, auch wenn sie sich in manchen Punkten ähneln. Die Reihe ließe sich noch stundenlang fortsetzen, ein jeder Adoptierter könnte sein eigenes Buch darüber schreiben. Um einigermaßen im Zeitrahmen zu bleiben, habe ich die Geschichten kurz gehalten – ich hoffe ich konnte Ihnen trotzdem einen kleinen Einblick geben in dieses vielschichtige, aber auch äußerst sensible Thema »Spurensuche«. 

Enden möchte ich mit einem Spruch, den ich erst diese Woche auf einer terre des hommes-Grußkarte gelesen habe, und der im Grunde all das zusammenfasst, was ich mit vielen Worten versucht habe darzustellen und den ich allen Adoptierten für ihre Spurensuche mitgeben möchte:

                  Den Weg,  den Du vor Dir hast,
                                kennt keiner.
                  Nie ist ihn einer so gegangen,
                          wie Du ihn gehen wirst.
                               Es ist DEIN Weg. 

* Rebecca Knesch wurde von terre des hommes aus Südkorea nach Deutschland vermittelt. Sie war zweieinhalb Jahre alt, als sie in die Bundesrepublik kam. Als Jugendliche nahm sie an mehreren Adoptiertenreisen teil, bis sie den Entschluss fasste, für immer nach Korea zurückzukehren.

Sie war lange Jahre Sprecherin der AG Adoptierte und ist heute Vorsitzende des von Adoptierten, Adoptiveltern und Fachleuten zum Zweck der nachgehenden
Begleitung gegründeten Vereins »InterAdo e.V.«. Sie ist verheiratet und lebt mit ihrem Mann und ihrem Kind heute in Seoul / Südkorea, wo sie als Dolmetscherin arbeitet.

 

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