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Rechtliche Betrachtung von Babyklappen und Angeboten zur anonymen Geburt

Ein Beitrag von Prof. Dr. Alfred Wolf

Die nachfolgende Stellungnahme wurde von Prof. Dr. Alfred Wolf, Ministerialdirigent a.D., Humboldt Universität Berlin, verfasst und im Mai 2002 auf einer terre des hommes-Pressekonferenz vorgestellt.

Das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern ist eine unauflösliche, durch die Natur erzeugte lebenslange Verbindung. Sie wird durch den Staat oder das Gesetz nicht geschaffen, vielmehr vorgefunden.

Mutter ist die Frau, die ein Kind geboren hat (§ 1591 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB ). Vater ist der Ehemann der Mutter oder der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat oder dessen Vaterschaft gerichtlich festgestellt ist (§ 1592 BGB). Das Gesetz geht davon aus, dass die rechtliche Elternschaft mit der genetischen Elternschaft übereinstimmt oder in Übereinstimmung gebracht werden kann und soll.

Aus der Elternschaft erwächst das Recht des Kindes gegenüber den Eltern auf Pflege, Erziehung, Vermögenssorge, Unterhalt und Erbenstellung. Das Elternrecht wird in Artikel 6 des Grundgesetzes als Grundrecht geschützt. Ein Kind hat ein Recht darauf, seine Eltern zu kennen. Das folgt aus dem Grundrecht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG) und aus der grundrechtlich geschützten Würde des Menschen (Art. 1 GG). Die öffentliche Hand darf nichts tun, was dem Kind das Wissen um seine Herkunft verweigert. Das Bundesverfassungsgericht hat schon 1988 eindrucksvoll klargestellt, dass jeder Mensch ein Recht auf Kenntnis seiner Abstammung hat (Band 79, Seite 256 der Entscheidungssammlung). Die fundamentale Verbindung von Eltern und Kindern ist in der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 Abs. 1) und im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (§ 7 Abs. 1) auch völkerrechtlich gesichert. In Auswirkung dieser Regelungen hat das Kind gegen jeden, der Kenntnisse über seine Abstammung hat, ein Recht auf Auskunft, das es auch gerichtlich erzwingen kann.

Sowohl die Babyklappe als auch die anonyme Geburt vereiteln den Anspruch des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung.

Das Recht versucht seit Alters her, anonyme Kinder, also Findelkinder, zu vermeiden. Das Kind in der Babyklappe und das Kind, das anonym in einer Geburtseinrichtung zurückgelassen wird, sind als Findelkinder gemäß § 25 des Personenstandsgesetzes (PStG) von jedermann sofort bei der Polizei zu melden. Die Polizei hat sofort nach den Eltern, insbesondere nach der Mutter, zu suchen. Alle Beteiligten, die Betreiber und Angestellten der Babyklappe, Ärzten, Hebammen und Krankenhausträger, haben gegenüber der Polizei ihr Wissen zu offenbaren. Ein Aussageverweigerungsrecht dieser Personen kennt das Gesetz nicht.

Ein sofort zu bestellender Vormund (§ 1773 Abs. 2 BGB) hat vor allem die Aufgabe, die Elternschaft festzustellen.

Die Mutter, der Vater oder Dritte sowie die Beteiligten von Klappe und anonymer Geburt verletzen die Meldepflichten des Personenstandsgesetzes ( §§ 16, 17, 25 PStG ) und begehen damit eine Ordnungswidrigkeit. Die Mutter, der Vater und die Betreiber sind Täter oder Beteiligte einer Personenfälschung gemäß § 169 des Strafgesetzbuches (StGB). Die Mutter und der Vater können die Fürsorge- und Erziehungspflichten verletzen und nach § 171 StGB strafbar sein. Die Polizei und die Staatsanwaltschaften, die diese öffentlich angekündigten und bekanntgemachten Straftaten nicht verfolgen, geraten in den Anfangsverdacht der Strafvereitelung im Amt gemäß §§ 258, 258 a StGB.

Alle Beteiligten verletzen fundamentale Rechte des Kindes, die durch Schutzgesetze manifestiert sind. Sie haben deshalb dem Kind aus dem Gesichtspunkt der unerlaubten Handlung allen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihm durch die herbeigeführte Elternlosigkeit entstehen können (§§ 823 ff BGB).

Mütter können Opfer der Betreiber von Babyklappen und anonymer Geburt werden. Sie werden geworben, ihr Kind in einer Zeit, in der sie nach der Geburt in einem körperlich und seelisch schwierigen Zustand sind, endgültig aufzugeben. Das Gesetz will dies jedoch ausdrücklich verhindern. Das Adoptionsrecht lässt aus gutem Grund die Einwilligung von Eltern in die Weggabe ihres Kindes erst acht Wochen nach der Geburt zu (§ 1747 Abs. 2 Satz 1, § 1750 Abs. 1 Satz 1 BGB). Insbesondere die Mutter kann eine solche Einwilligung nur in einer notariellen Erklärung, also nach eingehender Beratung, und nur gegenüber dem Gericht erklären. Diese Schutzmechanismen schieben die Betreiber von Babyklappen und anonymer Geburt faktisch beiseite.

Die Behauptung, mit solchen Einrichtungen werde das Leben von Babys gerettet, kann die Beseitigung hochrangiger Schutzrechte für Kinder und Eltern nicht rechtfertigen. Eine generelle Gefahr für neugeborene Kinder, von ihren Müttern getötet zu werden, behaupten auch die Betreiber von Babyklappen und anonymer Geburt nicht. Welchen Motiven und Zwängen Mütter ausgesetzt sind, die angebotenen Einrichtungen zu nutzen, ist für den einzelnen Fall unbekannt. Dritte, die Mütter aus welchen Motiven auch immer dazu zwingen oder ein Kind selbst in die Klappe legen, sind nicht schutzwürdig.

Mütter in Not müssen Hilfen bekommen, damit sie sich zu ihrem Kind bekennen und mit ihm leben können. Wenn dies nicht gelingt, sollen ihnen alle Schutzrechte des auf internationalen Übereinkommen fußenden Adoptions- und Adoptionsvermittlungsrechts tatsächlich gewährt werden.

Unserer Rechtsordnung stellt für schwer lösbare Konflikte die Annahme als Kind durch neue Eltern (Adoption) zur Verfügung, die weitgehend anonym durchgeführt werden kann. Bei der Inkognito-Adoption sind die alten und neuen Eltern gegenseitig unbekannt. Nach § 1758 BGB ist die Ausforschung einer solchen Adoption verboten. Das Kind erhält jedoch neue Eltern und das Recht, mit 16 Jahren die Namen seiner leiblichen Eltern zu erfahren.

Babyklappe und anonyme Geburt sind damit nicht nur rechtswidrig sondern auch überflüssig.

Ein interfraktoneller (außer PDS) Gesetzentwurf vom 23. April 2002 aus der Mitte des Bundestages (BT-Drucks. 14/ 8856) löst die offenen Fragen nicht, will vielmehr nur die rechtswidrige Praxis künstlicher Elternlosigkeit durch Einschränkung von Meldepflichten weiter ermöglichen. Zu begrüßen ist, dass der Entwurf für Findelkinder eine automatische Amtsvormundschaft des Jugendamtes einführen will ( § 1773 Abs.2 BGB neu). Damit entfiele die Praxis, Angestellte der Betreiber der Babyklappen und der Organisatoren von anonymen Geburten zu Vormündern von solchen Findelkindern zu bestellen.

Ein Vormund hat die selbstverständliche Pflicht, nach den Eltern des Kindes zu suchen. Diese Verpflichtung nach § 25 des Personenstandsgesetzes und aus dem allgemeinen Vormundschaftsrecht kann der Entwurf nicht abschaffen.

Unberührt bleiben soll auch der Schutz des Elternrechts im Adoptionsverfahren. Eine Annahme als Kind ist grundsätzlich erst zulässig, wenn die Eltern einwilligen. Ein Mann hat dieses Einwilligungsrecht sogar schon dann, wenn er glaubhaft macht, er habe mit der Mutter in der Empfängniszeit Geschlechtsverkehr gehabt ( § 1747 Abs.1, § 1600 d Abs.2 Satz 1 BGB).

Nach den Einwilligungsberechtigten ist immer zu suchen. Dass Eltern unbekannt sind und damit ihr Entscheidungsrecht über die Annahme durch andere Eltern verlieren (§ 1747 Abs. 4 BGB), darf erst angenommen werden, wenn »der Aufenthaltsort vom Jugendamt während eines Zeitraums von drei Monaten trotz angemessener Nachforschungen nicht ermittelt werden konnte« (§ 1748 Abs.2 BGB).

Diese Vorschriften lässt der Entwurf bestehen, weil sie durch das Grundgesetz geschützt sind und damit dem einfachen Gesetzgeber nicht zur Disposition stehen.

Deshalb ist es unzulässig und unwirksam, wenn in den Änderungsvorschlägen zum Personenstandsgesetz vorgespiegelt wird, mit der Erklärung der Mutter, dass sie »keine Angaben zur Person machen will« ( § 21 c Abs.1 Personenstandsgesetz neu), entfielen die Nachforschungspflichten und die Einwilligungsrechte des vorrangigen Bürgerlichen Gesetzbuchs.

Adoptionen von Kindern aus Babyklappe und anonymer Geburt, ohne dass ernsthaft nach den leiblichen Eltern geforscht wurde, würden auch nach dem Inkrafttreten des Entwurfs unter dem Mangel der elterlichen Einwilligung leiden. Sie könnten, jedenfalls innerhalb von drei Jahren, aufgehoben werden ( § 1760 Abs.1, 5; § 1762 Abs.2, § 1763 BGB)

Neue Literatur:

Neuheuser, Begründet die Weggabe eines Neugeborenen in eine »Babyklappe« den Anfangsverdacht einer Straftat?, Neue Zeitschrift für Strafrecht, 2001, S.175;
Scheiwe, Babyklappe und anonyme Geburt - wohin mit Mütterrechten, Väterrechten, Kinderrechten?, Zeitschrift für Rechtspolitik, 2001, S. 368;
Wolf, Babyklappe und anonyme Geburt - Fragen zu einer neuen Entwicklung, Familie, Partnerschaft, Recht, 2001, S. 345;
Mittenzwei, Das Modellprojekt »Moses«, Rechtsfragen der anonymen Abgabe neugeborener Kinder, Festschrift Wacke, 2001, S. 327;
Swientek, Warum anonym - und nicht nur diskret? Babyklappe und anonyme Geburt, Familie, Partnerschaft, Recht, 2001, S.353.f
Hausheer und Aebi-Müller, Bern, Renaissance einer alten Idee: Das Einsiedler Babyfenster aus (zivil)rechtlicher Sicht, recht, Zeitschrift für juristische Ausbildung und Praxis, 2002, 1 ff. ( beruht auf einem Gutachten, das die Autoren im Auftrag des Bundesamtes für Justiz - zum schweizerischen Recht - erstellt haben )

Zusatz : Adoptionsvermittlungsgesetz
§ 5 Abs. Abs.3
(3) Es ist untersagt, Schwangere, die ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Geltungsbereich dieses Gesetzes haben, gewerbsmäßig oder geschäftsmäßig durch Gewähren oder Verschaffen von Gelegenheit zur Entbindung außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes
1. zu bestimmen, dort ihr Kind zur Annahme als Kind wegzugeben,
2. ihnen zu einer solchen Weggabe Hilfe zu leisten.

§ 6 Abs.1 Satz 1
(1) Es ist untersagt, Kinder zur Annahme als Kind oder Adoptionsbewerber durch öffentliche Erklärungen, insbesondere durch Zeitungsanzeigen und Zeitungsberichte, zu suchen oder anzubieten. ....

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