10./11. Februar: Projektbesuch in Pereira, Karneval in Barranquilla und Sehenswertes in Bogota
Am Wochenende sind wir in kleineren Gruppen unterwegs und gewinnen neue Eindrücke vom schönen wie vom schweren Leben in Kolumbien.
Der größte Teil unserer Gruppe – Ana, Heidemarie, Iris, Kurt, Klaus-Peter, Bastian – hat Gelegenheit, Sehenswertes in und um Bogota zu erkunden. Etwa den 3.100 Meter hohen Monserrate, das Goldmuseum oder die Salzkathedrale in den Salzminen von Zipaquirá nahe Bogota. Bogota selbst ist voll und quirlig und das Fortkommen gerade am Sonntagvormittag nicht leicht, da an diesem Tag alle Autos fahren dürfen. Zudem sind viele Straßen gesperrt, um den Teilnehmern der Kolumbienrundfahrt auf ihrer Zieletappe freie Fahrt zu sichern.
Shanti hingegen stürzt sich in den Straßenkarneval in Barranquilla (ca. 800 km von Bogota entfernt), der nach Rio de Janeiro der zweitgrößte Karneval Lateinamerikas ist. Vier Stunden warten auf dem heißen Asphalt, vier Stunden Umzug und dann Tanzen bis zum Abwinken.
Angelika, Werner und Kerstin besuchen das Projekt Enredarte (»verwurzele«) im 600 km entfernten Pereira. Hier arbeitet unser alter Projektpartner Taller de Vida mit verschiedenen Gruppen, die es in diese Stadt verschlagen hat – oder eigentlich weniger in die Stadt, sondern in die Außenbezirke. In einzelnen Vierteln haben sich Indigenas angesiedelt, die von militärischen Gruppen von ihrem Land vertrieben wurden, in anderen Vierteln Menschen mit afrikanischen Wurzeln. Auch Menschen, die ursprünglich aus der Region stammen, während des militärischen Konfliktes aber in die Hauptstadt Bogota ausgewichen waren, haben hier kleine Landstücke erhalten, die sie zur Rückkehr bewegt haben. Wurzeln konnte hier bisher kaum jemand schlagen. Weder physisch, noch mental. Bei Konflikten ist Gewalt hier noch immer das Mittel der Wahl.
Die Häuser dort sind schnell hochgezogen und klein, manchmal auch nur aus Wellblech zusammengefügt, offene Abwasserkanäle sind die Regel. Die Jugendlichen aus dem Projekt begleiten uns durch ihre jeweiligen Nachbarschaften. Dabei wird uns schnell klar, dass sie trotz allem in »ihrer« Nachbarschaft angekommen sind und keine Vorbehalte haben, über negatives wie positives zu berichten: über den Gesundheitsposten und den öffentlichen Internetzugang ins Remanso beispielsweise oder über die kleinen Gärten in den afrikanisch geprägten Nachbarschaften. Auch Rosa führt uns durch ihr Viertel. Sie berichtet, dass sie bis vor einigen Monaten mit ihren Eltern und zwei Geschwistern in einer kleinen Hütte gelebt hat – die wir aber nicht besuchen können, da ihr Zuhause vor einigen Monaten einem Hangrutsch zum Opfer gefallen ist. Nun wohnt sie mit ihren Eltern und den zwei Geschwistern in einer anderen Hütte, für die die Familie eine hohe Miete zahlen muss.
So herausfordernd die Lebensumstände in den Ansiedlungen sind, umso klingender sind oft deren Namen. Und so landen wir völlig unerwartet auch in »Tokio«. Hier gibt es nur wenige gut ausgebaute Häuser, aber viele Wellblechhütten, die sich immer weiter ausbreiten. So entstanden unter anderem auch auf dem Schulhof der staatlichen Schule neue Behausungen. In der Schule finden auch am Samstag Kurse statt: Wir besuchen einen Computerkurs und einen Kurs für Erwachsene, die hier für ihren Grundschulabschluss lernen. Geführt werden wir dabei von dem sehr engagierten Schulleiter, dem es – gemeinsam mit dem Projekt Enredarte – gelungen ist, die Schule in eine ruhige »Blase« inmitten von Gewalt zu verwandeln.
Der Schulleiter ist auch gleich bereit, anlässlich des Red-Hand Days am 12. Februar ein klares Signal gegen Krieg und Gewalt zu setzen. »Para la Guerra – Nada!« schallt es daher mehrmals hintereinander über den Schulhof, wobei sich auch die Akteure des Projektes und wir lautstark beteiligen.
Auch in den Räumlichkeiten des Projektes geht es an diesem Tag um »manos rojas«, also die roten Hände, mit denen weltweit gegen den Missbrauch von Kindern in Kriegen demonstriert wird. Eine am Morgen noch weiße Wand ist am Nachmittag übersät mit Abdrücken kleiner und großer Hände und Slogans, die sich gegen den Krieg aussprechen. Auch unsere Abdrücke sind mit dabei. Sie sind ein kleines Zeichen der weltweiten Verbundenheit, die durch diese Aktion deutlich wird.
Die Kinder, die mit ihren Handabdrücken auch dem Wunsch nach Frieden Ausdruck geben, erleben die Folgen, die Krieg und Gewalt auch noch Jahre nach dem offiziellen Friedenschluss haben. Noch immer versuchen bewaffnete Gruppen ihre Sichtweise durchzusetzen – gerade auch gegenüber den Indigenas. So berichtet ein Junge davon, dass sein Großvater erschossen wurde.
Das Projekt Enredarte gibt Kindern und Jugendlichen in einer von Gewalt und Unsicherheiten geprägten Umwelt psychologische Unterstützung und begleitet sie auf dem Weg in die Selbständigkeit. Ziel ist es, junge Menschen zu starken Persönlichkeiten zu machen, die ihre Bedürfnisse offen artikulieren und ihre Rechte aktiv einfordern.
Damit gibt das Projekt jungen Menschen sowohl Wurzeln als auch Flügel.
Kerstin