8. Februar: Projektbesuch bei Benposta
Erfahrungen im bewaffneten Konflikt, sexualisierte Gewalt, Mord - zu diesen Themen durften wir uns mit betroffenen Jugendlichen und einer Mutter austauschen. Das ist nicht einfach. Ihre Erfahrungen machen uns fassungs- und sprachlos. Aber: unsere Projektpartner geben Hoffnung. Die Jugendlichen bei Benposta gestalten ihre Zukunft und haben endlich Träume, die sie leben möchten. Das ist beeindruckend. Und stimmt auch uns hoffnungsvoll.
Benposta allgemein
Benposta ist ein Ort in Bogota, in dem 80-90 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 9 und 23 Jahren mit Erfahrungen in bewaffneten Konflikten ein neues Zuhause gefunden haben. Die Kinder leben je nach Alter in verschieden Häusern. Auf dem großen, grün bewachsenen Gelände am Randes des Berges Monsarate mit einem beeindruckenden Blick auf Bogota gibt es verschiedene Gebäude u.a. ein Schulgebäude, ein Theater, eine Küche mit Essensraum, ein Haus für Ausbildung und für Aktivitäten am Nachmittag und einen Versammlungraum. Das besondere in Benposta: Es ist eine Kinderrepublik, in der sich die Kinder und Jugendlichen selber verwalten. Um das zu ermöglichen gibt es eine demokratische Struktur mit einem sogenannten „Alcalde“ (Bürgermeister), „Minister“ und „Delegierten“. Konflikte werden von den Kindern und Jugendlichen in einem definierten demokratischen Prozess selber gelöst. Zehn Erwachsene agieren in Benposta für das Zusammenleben der Kinder als Mediatoren. Der Alltag der Kinder beginnt früh. Um 4 Uhr stehen sie auf, um 6:30 Uhr beginnt die Schule, am Nachmittag gibt es Angebote wie Theater, Karate, Nähen, Kunst, Musik u.v.m. Zwischen der Schule und den Nachmittagsangeboten kochen, backen, putzen, gärtnern sie selbständig. Die Aufgaben sind rollierend verteilt.
Warum kommen die Kinder nach Benposta?
Um zu verstehen, warum die Kinder weit weg ihrer Heimat und ihrer Familien leben, teile ich mit euch ein paar meiner Notizen aus unserem Austausch mit den Jugendlichen:
Talianda: Talianda, ein 17 jähriges Mädchen, lebt seit drei Jahren in Benposta. Sie ist in Arauca aufgewachsen und sie berichtet, dass es dort keine Polizei und nur wenig Schulangebote gibt. Bewaffnete Gruppen bestimmen das Leben, zu denen auch ihr Freund gehörte. Sie ist ihrem Freund für zwei Monate in eine dieser Gruppen gefolgt. Das Leben dort war sehr schwierig, denn es gab viel sexualisierte Gewalt. Die Gruppe bestand aus 200 Personen, davon nur 30 Frauen. Ihre 11 jährige Freundin war plötzlich verschwunden. Sie hat herausgefunden, dass sie getötet wurde. Deshalb hat sie die Gruppe verlassen und ist zurück nach Hause gegangen. Ihr Freund wurde daraufhin in der Gruppe ermordet und auch Adriana sollte getötet werden. Daher mußte sie Arauca verlassen und hat einen Platz in Benposta bekommen. Sie sagt, dass sie sich hier verändert hat. Sie möchte eine bessere Zukunft haben, aber es sei auch schwierig, nicht bei ihrer Familie zu sein.
Felipe: Felipe kommt aus dem Gebiet „Norte de Santander“. Dort gibt es noch immer Guerillagruppen z.B. die Farc und die ELN, die Kindersoldaten rekrutieren und direkt an die Front stellen. Kinder ab dem Alter von 10 Jahren werden angeworben. In seiner Heimat gibt es wenige Schulangebote. Zwei Bomben wurden von bewaffneten Gruppen in seiner Schule gezündet um Druck aufzubauen. Die Kinder werden mit Aussicht auf schnelles Geld angeworben, erhalten dann aber sofort eine paramilitärische Ausbildung und kämpfen an der Front. Hier in Benposta genießt er die Schule, die außerschulischen Angebote und die Gemeinschaft. Er baut sich eine Zukunft auf, die er vorher nicht kannte.
Rolle von terre des hommes
Tdh finanziert das Projekt „Cultura par la Vida“/„Kultur für das Leben – Prävention und Schutz durch Partizipation von vom Konflikt betroffenen Kindern“. Kinder aus den bewaffneten Konflikten können sich selber aufgrund der Erlebnisse schwer ausdrücken. In diesem Projekt werden die Kinder ausschulisch gefördert (Kampfsport, Tanz, Musik, Gesang, Basteln, Kommunikation/PR, Schneiderei, Sport). Gleichzeitig soll das Potential der Kinder im öffentlichen Raum sichtbar gemacht werden (z.B. Auftritte) und werden sie psychosomatisch begleitet.
Wie haben wir Benposta erlebt?
Wir wurden bei Benposta von den Jugendlichen sehr warm empfangen. Die Offenheit und Freundlichkeit der Jugendlichen haben es uns leicht gemacht mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Im Gespräch mit Leopoldo habe ich eine große Begeisterung und Zuversicht gespürt. Für ihn sind die Nachmittagsangebote rund um Kunst besonders wichtig. Er möchte sich in Kunst ausbilden lassen, denn er hat die Liebe zu künstlerischen Aktivitäten entdeckt. Leopoldo sagte, dass er nicht wußte, dass es soetwas überhaupt gibt und schaut mit Zuversicht in seine Zukunft.
Begegnung mit Blanca
Eine weitere ganz besondere Begegnung hatten wir in unsrem Regionalbüro für Lateinamerika (ORLA). Dort haben wir Dona Blanquita getroffen. Sie kommt aus La Guajira aus dem indigenen Volk der Wayuu. Die paramilitärische Gruppe Jorge 40 hat ihre Tochter 2001 vergewaltigt und ermordet. Sie hat uns erzählt, unter welchen Umständen ihre 15 jährige Tochter getötet wurde. Das ist so grausam, dass ich es nicht berichten möchte. Nur soviel, dass die Tochter vorher die Mutter anrufen durfte und um Hilfe gebeten hat. Aber die Mutter hat sie nicht finden können. Nach der Ermordung wurde Blanca bedroht und musste nach Bogota fliehen. Sie sagt, dass es für sie keine Justiz gibt. Gerne möchte sie die Täter anklagen, dann könnte sie vergeben. Unvorstellbare 1200 Kolumbianer:innen wurden von diesem Täter und seiner Gruppe getötet.
Austausch mit den Mitarbeitenden des ORLA Büros
Wir hatten auch Gelegenheit uns mit den Mitarbeitenden des ORLA Büros über unsere ehrenamtliche Arbeit für tdh auszutauschen. Sie waren beeindruckt, was die Gruppen alles unternehmen, um Spenden zu sammeln, um die Bekanntheit von tdh zu steigern und mit welchen politischen Themen wir präsent sind. Teilweise war das unbekannt und sie senden einen herzlichen Dank an alle Mitglieder, die u.a. die Arbeit von ORLA überhaupt ermöglichen.
Alles in allem war es ein Tag geprägt von ganz besonderen Begegnungen.
Iris