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9. Februar: Gespräch zur Situation in Kolumbien und Lateinamerika & Projektbesuch bei Humanidad Vigente

Die Gruppe traf sich im tdh Büroraum mit den Büromitarbeitern Thomas und Julio.

Zuerst berichtet Thomas über eine Partnerplattform von tdh, den UN sowie dem Kolumbianischen Institut für Familien; es geht um den Prozess Hilfe und Eingliederung traumatisierter Jugendlicher. Im Rahmen von ORLA (Oficina Regional para Latinoamerica) gab es insgesamt 115 Projekte, z. Z. sind es 87, davon 17 in Kolumbien! Thomas beantwortet Fragen der Mitglieder: Die Regierung hat gute Ideen zur Verbesserung der sozialen Situation, es gibt jedoch nach wie vor große Probleme bei der Umsetzung.

Julio beantwortet weitere Fragen: Die Regierung konnte bislang eine Steuerreform umsetzen, aber wegen fehlender Mehrheiten seit den Parlamentswahlen 2022 noch keine Gesundheits- und Arbeitsrechtsreformen. Sie hat keinen großen Einfluss mit ihrem staatlichen Sender, die starken privaten Medien nutzen ihre Monopolstellung.

Man sucht den Dialog mit den Paramilitärs, ohne Gewalt propagiert Präsident Petro den „Totalen Frieden“. Es gibt die Kritik am kolumbianischen Präsidenten Petro, dass er die rechten Gruppen nicht mit Gewalt bekämpft. Die bewaffneten Konflikte bestehen seit ca. 60 Jahren, u. a. durch die FARC, auch z. Z. gibt es Kämpfe seitens der Paramilitärs, es gibt mehr rechte Gruppen als vorher, sie sind leider gut vernetzt.

2021, mitten in der Pandemie, die die Armut noch verstärkt hat, gab es die ersten großen Proteste von Jugendlichen, die keine Perspektiven mehr hatten. Die alte Regierung war sehr autoritär, es gab viele Menschenrechtsverletzungen, geschätzte Tote zwischen 80 und 200! Die Gewalt besteht weiter, der alten Staatsanwaltschaft wurden Beziehungen zum Drogenhandel vorgeworfen. Die neue Vizepräsidentin versucht Einigkeit und die Befriedung der Afrokolumbianerinnen durchzusetzen. Es existiert massiver Rassismus in Kolumbien.

El Salvador: Es regiert ein rechter Präsident, der sehr populär ist, weil die Kriminalitätsrate stark zurück gegangen ist.

Guatemala: Ein linker, aus der Opposition stammender Präsident wurde gewählt, dieser muss mit einem hohen Maß an Korruption kämpfen.

Es existiert eine hohe Kindersterblichkeit in Lateinamerika, die Indigenen Völker haben keinen Zugang zum Gesundheitssystem. Zu Schutzkonzepten von tdh und Partnern: Es müssen strenge Regeln eingehalten werden. Beim Verdacht auf Misshandlung/Missbrauch schaltet tdh die lokalen Behörden ein. Den Opfern wird psychotherapeutische Hilfe angeboten.

Anschließend haben wir gemeinsam in gewohnt herzlicher Atmosphäre mit den Mitarbeitern im Restaurant gegenüber vom Büro unser Mittagessen genossen.

Heidi

Besuch bei Humanidad Vigente

Nachmittags besuchten wir die Organisation Humanidad Vigente Corporacion Juridica (HVCJ)

Eine sensationelle Entwicklung im Friedensprozess mit dem ELN: Am 6. Februar 2024 vereinbarten alle Beteiligten ein Verbot, unter 15-Jährige zu rekrutieren. Mehr darüber erfahren wir bei Humanidad Vigente Corporacion Juridica. Humanidad Vigente Corporacion Juridica ist eine gemeinnützige Institution mit 27 Jahren Erfahrung in der Menschenrechtsarbeit, insbesondere im Engagement für die Rechte von Kindern und Jugendlichen. Der Arbeitsansatz von HVCJ stützt sich auf juristische Beratung und psychosoziale Unterstützung. Seit 1996 ist die Institution tdh-Partner, sie besteht aus einem interdisziplinären Team von 15 Fachleuten aus unterschiedlichen Wissensgebieten mit hohem sozialem Engagement, das sich für die Verteidigung und den Schutz von Menschenrechten einsetzt, mit Schwerpunkt auf den Rechten von Frauen, Kindern, Jugendlichen, jungen Menschen und Opfern des Konflikts in Kolumbien.

 

Wir wurden sehr freundlich empfangen im 24. Stockwerk eines modernen Bürogebäudes mitten in Bogotá. In einer Präsentation erhielten wir sehr viele Informationen über die Organisation und die bisherigen Ergebnisse der gemeinsamen Projekte mit tdh. In der folgenden Diskussionsrunde wurde klar, dass mit einer solchen Organisation die Möglichkeit besteht, die politischen Voraussetzungen zu ändern, damit die Situation für die Opfer des komplexen problembehafteten kolumbianischen Systems verbessert werden kann. Genau solche Opfer, wie die Kinder und Jugendlichen, die wir in den vorherigen Projektbesuchen kennenlernen durften. Vielleicht ein Tropfen auf dem heißen Stein, wie das Logo von tdh zeigt. Die Leidenschaft, das Engagement und die Entschlossenheit der jungen Rechtsanwälte lassen jedoch hoffen, insbesondere unter der jetzigen linken Regierung. Bei den vielen Informationen und Sprachbarrieren hoffe ich, die wertvolle Arbeit von HVCJ richtig darzustellen.

Die Vision ist, Menschenrechte zu fördern und zu verteidigen, um eine Gesellschaft mit Geschlechter- und Generationengerechtigkeit aufzubauen, die radikal demokratisch ist und in Frieden mit sozialer Gerechtigkeit lebt.

Folgende Handlungsschwerpunkte wurden hierzu definiert:

  • Integrale juristische Arbeit und strategisch wichtige Rechtsstreitigkeiten
  • Volksbildung und soziale Forschung
  • Kommunikation und Lobbyarbeit
  • Netzwerk Arbeit
  • Organisationsstärkung

Die folgenden Ziele werden von HVCJ verfolgt:

  • Aufbau von Frieden mit sozialer Gerechtigkeit (Menschenrechte und Kampf gegen Sprachlosigkeit):

Es werden Dialoge mit Opfern und Politik im Rahmen von juristischen Prozessen geführt für eine soziale und politische Verbesserung. Wir sprachen von drei Arten des Friedensprozesses. Zum einen von der Anerkennung als politische Gruppe mit dem Ziel eines Übereinkommens mit der FARC und dem ELN, zum anderen mit paramilitärischen und sonstigen Gruppen sowie den Dialog mit Drogenhändlern, die sich der Justiz unterwerfen sollten. Was verwundert: die Generalstaatsanwaltschaft ist eine Opposition im Friedensprozess. Wichtig wäre, die Beteiligung der Zivilgesellschaft in diesen Prozess und die Entwicklung einer sozialen Infrastruktur. Es braucht internationale Organisationen als Kontrollorgan für das Einhalten der Vereinbarungen und Unterstützung der NGO’s in Absprache (Unicef, tdh, CBF und Kirche).

Zum ersten Mal sind auch Kinder und Jugendliche an diesem Prozess beteiligt. Vorschläge von Kindern und Jugendlichen werden gesammelt und HVCJ setzt sich für den Schutz der Kinder in bewaffneten Konflikten ein. Bewaffnete Gruppen bedrohen Aktivist: innen, HVCJ verschafft ihnen Zugang zu sicheren Orten – auch Mitarbeiter: innen werden bedroht. Bei den Aufständen von 2019 bis 2021 wurden durch die Verhaftungen vieler Jugendlicher Exempel statuiert. Dies sind dokumentierte Fälle von Rechtsverletzungen gegen Kinder und Jugendliche im Rahmen sozialer Proteste, und die Organisation hat zur Freilassung vieler Jugendlicher beigetragen sowie betroffene Jugendliche psychosozial begleitet.

  • Verteidigung des Territoriums (Verteidigung von Landrechten und Umweltgerechtigkeit):
    9 Mio. von insgesamt 52 Mio. Menschen wurden innerhalb von Kolumbien vertrieben. Diese Familien begleitet HVCJ, damit sie ihr Recht auf Land wiedererlangen.
     
  • Kampf gegen Straflosigkeit und Wiederherstellung der Wahrheit, des historischen Gedächtnisses (Erinnerung an die Opfer):
    Eine Kampagne „Wer gab den Befehl?“ wurde durchgeführt
    .
  • Durchsetzbarkeit von Rechten und die Lösung von Konflikten (soziale Gerechtigkeit und Demokratiearbeit):
    Ein Sondergerichtshof entscheidet im Friedensprozess in solchen Fällen. Zum Beispiel haben Militärpolizisten „Kampagnen“ durchgeführt, indem sie Geschenke verteilten, allerdings immer bewaffnet (Rekrutierung von Kindersoldaten oder Anwerbung von Spionen). Der oberste Gerichtshof überprüfte diese „Kampagnen“, welche daraufhin eingestellt wurden.

Die Partnerorganisation ist Mitglied der kolumbianischen Plattform der Sozialen und Volksorganisationen für den Protagonismus von Kindern und Jugendlichen. Die Plattform schafft Möglichkeiten für den Austausch von Wissen, Erfahrung und Methoden und stärkt ihre Mitgliedorganisationen. Gemeinsam mit anderen sozialen Bewegungen nimmt sie Einfluss auf die Transformation von lokalen Realitäten und bringt dabei ihren Rechts-, Gender- und interkulturellen Ansatz mit speziellem Fokus auf Kinder und Jugendliche ein. Ziel der Plattform ist es, den Organisationsprozess für die Förderung von Kinder- und Jugendprotagonismus und -partizipation auf politischer Ebene und die Artikulierung und Koordination von sozialen Bewegungen zu konsolidieren. Sie ist als bedeutender sozialer Akteur und für ihre wichtige Rolle in der Promotion von Räumen für Dialog, Mitentscheidung und Interessensvertretung anerkannt

Das Projekt leistet einen Beitrag zur Positionierung der Partizipation von Kindern und Jugendlichen in den Verhandlungen mit dem ELN. Es stellt sicher, dass sie Einfluss nehmen können auf humanitäre Aktionen und Maßnahmen, wenn sie von Rekrutierung und anderen Formen von Gewalt betroffen sind. Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien hat Kinder und Jugendliche zu Opfern der verschiedensten Formen von Gewalt gemacht: Vertreibung, Gefangenschaft, Rekrutierung, Verschwinden, Mord, Drohungen, Freiheitsberaubung, sexuelle Gewalt, Entführung, Folter, etc.

Neben dem Gesetz zur Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration in die Gesellschaft von ehemaligen Kämpferinnen und Kämpfern — auch Kinder und Jugendliche - haben verschiedentlich Verhandlungen zwischen dem kolumbianischen Staat und irregulären bewaffneten Gruppen stattgefunden. Betroffene Kinder und Jugendliche waren jedoch lediglich konsultativ und nicht aktiv in die Prozesse involviert, sodass sie bei den Entscheidungen weder realen Einfluss noch eine Stimme hatten. Die Plattform für den Protagonismus von Kindern und Jugendlichen hat sich dafür eingesetzt, dass Hindernisse für eine aktivere Partizipation ausgeräumt werden.

Der neue Präsident Gustavo Petro hat die Agenda mit dem ELN im November 2022 in Caracas aufgenommen zur Verhandlung der folgenden Punkte:

  1. Partizipation der Gesellschaft im Friedensprozess
  2. Demokratie für den Frieden
  3. Wandel und Veränderungen für den Frieden
  4. Opfer
  5. Ende des bewaffneten Konflikts
  6. Implementierung Interessenvertretung zur Einforderung der Kinder- und Jugendrechte

Olga Silva, Direktorin von HVCJ, ist vom kolumbianischen Präsidenten Petro in das Verhandlungsteams der Regierung für die Gespräche mit dem ELN berufen worden und ist seit Beginn der Wiederaufnahme des Prozesses (November 2022) in den Dialog involviert. Die Berufung ist eine Anerkennung ihrer beruflichen Karriere und auch des kollektiven Engagements von der gesamten Organisation im Kampf für Menschenrechte allgemein und die Rechte von Kindern und Jugendlichen im Rahmen des Konfliktes im Besonderen. HVCJ und die Plattform haben nun die Chance, die Stimme von Kindern und Jugendlichen in die Verhandlungen einzubringen. Sie sollen mitreden können bei den Bedingungen für das Friedensabkommen und die Wiedergutmachungen für die (minderjährigen) Opfer.

HVCJ implementiert aktuell das Projekt "Incidencias para exigir la garantia de los derechos de NNJ" (Interessenvertretung zur Einforderung der Kinder- und Jugendrechte). 90 Jugendliche werden in Bogota in Menschenrechtsthemen geschult und ausgebildet. Das Projekt leistet außerdem einen führenden Beitrag zum Alternativbericht des UNO-Kinderrechtsausschusses. In dessen nächster Sitzung wird die Kinderrechtssituation in Kolumbien behandelt.

Projekt "Rechtsberatung für im Rahmen sozialer Proteste und im Kontext des Generalstreiks stigmatisierte und kriminalisierte Kinder und Jugendliche“: Das Projekt bot juristische und psychosoziale Unterstützungen für Jugendliche, die im Rahmen von Protesten und Streiks kriminalisiert wurden. Gemeinsam mit der Plattform hat das Projekt den Bericht "Für das Recht zu kämpfen und auf ein Leben ohne Gewalt für Kinder und Jugendliche" hervorgebracht. Auf internationaler Ebene wurden mehrere Fälle von Gewalt und Verfolgung gegen bzw. von Jugendlichen, die nichts weiter taten, als ihre politischen Rechte auszuüben, bei der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (CIDH) angezeigt.

HVCJ ist Teil der tdh-Plattform "3 Stimmen", unterstützt die Administration des Projekts "3-Stimmen-Plattform für den Frieden und die Sicherstellung der Kinder- und Jugendrechte in Kolumbien" und begleitet die Plattformkoordination in politischen Themen. Die Plattform hat sich als eine regionale, nationale und internationale Instanz für die Interessenvertretung positioniert und ist als Gremium für Artikulation und die Stärkung von Organisation und des sozialen Netzwerkes anerkannt.

Wichtigste Meilensteine der Plattform:

  • Kinder- und Jugendtreffen. Das nächste Treffen ist für März 2024 geplant mit 130 Kindern, die von den Delegierten geschult werden, damit eine Friedensagenda von den Kindern erstellt werden kann, die Einfluss auf die Politik haben soll. Dieses Protokoll soll von der Regierung anerkannt werden.
  • Gemeinsam mit weiteren Netzwerken, diverse Berichte und Antrage bei der interamerikanischen Kommission für Menschenrechte CIDH (2019, 2020)
  • Kampagnen für die Umweltrechte von Kindern und Jugendlichen (im Kontext von Polizei- und Gendergewalt
  • Teilnahme an Sitzungen des Menschenrechtrats über die Rekrutierung von Kindersoldaten
  • Nach dem Friedensvertrag mit der FARC wurden 1.300 Menschenrechtsaktivist:innen von paramilitärischen Gruppen getötet, darunter waren 400 ehemalige Guerillas. Schutzmaßnahmen werden in Kooperation mit internationalen Organisationen entwickelt. Ein Diskussionsforum zum Schutz von Menschenrechtsaktivist:innen existiert und teilweise gibt es auch Personenschutz.
  • Nun gibt es ein nationales Komitee zur Beteiligung von Kindern, insbesondere von Gewaltopfern. Die tdh-Delegierte Ani, die beim Gespräch dabei war, repräsentiert in diesem Komitee die Stimmen der von Kindern und Jugendlichen.
  • Die jüngste Errungenschaft ist ein Vertrag, der am 6.2.24 beschlossen wurde. Eine konkrete Maßnahme zum Schutz und zur Gewährleistung der Rechte von Mädchen, Jungen, Jugendlichen und jungen Menschen. Dort wurde vereinbart, „Minderjährige unter 15 Jahren in keinem Fall im bewaffneten Konflikt einzusetzen, im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht, einschließlich Geheimdienst- und Kriegseinsätzen“, wobei ihr Einsatz durch die bewaffnete Gruppe und die Streitkräfte strengstens verboten ist.

Shanti

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