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2.6. Was man mit Wasser bewirken kann

  Heute geht es eigentlich schon vor dem Aufwachen los. Um sechs steht der Bus unseres Projektpartners ABA vor der Tür, der uns in halsbrecherischerFahrt ins Andenhochland bringen will. Unser Projektpartner ABA will uns zeigen, wie sich altes und neues Wissen zu einer gelungenen Mischung vereinen lässt.

ABA wurde 1992 von zwei Agraringenieurinnen gegründet, die in ihre Heimatregion zurückgekehrt sind. Dabei haben sie ihr erlerntes Wissen kombiniert mit dem traditionellen Wissen ihrer indigenen Herkunft. Und wie wir sehen werden, gibt der nachhaltige Erfolg ihnen Recht. Doch zunächst kehren wir nach mehr als einer Stunde steiler Fahrt zum langersehnten Frühstück nach Indioart ein: gebratene Forelle mit Kartoffeln und Salat, dazu ein Kokatee.

Als wir dann im Dorf Chuschi auf rund 4.000 m Höhe ankommen, ist die Kartoffel-Ernte in vollem Gang. Wir dürfen auch mithelfen, die rund vier verschiedenen Sorten dieses Feldes (von insgesamt 531 in der Gemeinde) zu ernten. Es sind Sorten dabei, die wir bei uns noch nie gesehen haben, wie die Schwiegermutter-Kartoffel. Eine junge Frau, die diese Kartoffel schälen kann, ohne dass die Schale abreisst, ist die richtige Braut für einen jungen Mann.

Nach der Ernte werden die Kartoffeln mit einem Ritual gesegnet: sie werden mit bunten Blumen, Kokablättern und gefriergetrockneten Kartoffeln aus dem letzte Jahr bekrönt. Den Indios gelten sie als besonders wertvolle Frucht, stammen sie doch aus dem Leib der Mutter Erde. Sie werden auf kleinen Feldern ausschließlich für dem Eigenverbrauch angebaut. Gibt es einen Überschuss, werden sie gegen andere nützliche Dinge getauscht, aber keinesfalls verkauft. Dazu ist die Verbindung von Bauer und Frucht zu eng.

Beim anschließenden Pacha Manga, dem rituellen gemeinschaftlichen Essen von im Feuer gegarten Kartoffeln mit Frischkäse nach der Ernte, erfahren wir mehr über die Arbeit von ABA in dieser Region. Bevor die Schwestern Maricela und Maddalena ihre Arbeit aufnahmen, fristeten die Indiofamilien im Hochland der Gemeinde ein karges Leben in ärmlichen Hütten. Nahrung war knapp, die Frauen erzählen uns von den »Früchten auf dem Stock«, Kartoffeln, die sehr hoch an Stöcken aufgehängt wurden, damit die Kinder sie nicht erreichen und in ihrem Hunger vorzeitig verzehren konnten. Auch heute gibt es noch solche Anden-Dörfer: Überweidung und Verlust an Vegetation hat zu massiven Erdrutschen geführt. Die Bauern haben jede Existenzmöglichkeit verloren, viele sind als Arbeitsmigranten in die Slums von Lima, im Dorf leben nur noch Frauen und kleine Kinder.

In Chuschi und anderen Siedlungen hat dagegen die gut zwanzig jährige Arbeit von ABA Früchte getragen. Die Familien haben vergleichsweise geräumige Häuser mit separaten Küchen, Lagern und Ställen. Es gibt Gemüse- und Getreidefelder sowie Schafe, Kühe, Alpakas, deren Fleisch, Wolle und Milch verkauft werden. Kinder wachsen ausreichend und gesund ernährt auf und besuchen die Schule, statt wie früher das Vieh zu hüten.

Die Dorfbewohner sind stolz auf das, was sie erreicht haben. Dafür brauchte es viel harte Arbeit der Dorfgemeinschaft, mit Gemeinschaftssinn und mit Unterstützung wie von terre des hommes. Aber vor allem ist es dem Engagement der beiden Frauen zu danken, die sich, gestützt auf ihre technisch orientierte Ausbildung als Agraringenieurinnen daran gemacht haben, altes Wissen zu sammeln, es neu zu bewerten und zu integrierten Ansätzen zu führen: Ein sorgfältig an die Bodenverhältnisse und den Bedarf der Familie angepasster Anbau von alten und neuen Feldfrüchten, Einfassungen für Felder und Weiden, Aufforstung mit heimischen Bäumen, gezielte Bewässerung und vor allem anderen: eine kluge Wasserwirtschaft basierend auf traditionellem Wissen und ohne großen technologischen Aufwand.

In einem Land mit eigentlich ausreichenden Regenfällen (mit 1000 l/qm und Jahr etwa in gleicher Höhe wie bei uns), das aber nur ein halbes Jahr Regenzeit und ein halbes Jahr Trockenzeit kennt, ist die Speicherung und unkomplizierte Erschließung des Regenzeit-Überschusses der Schlüssel zum Erfolg. Wie genau das passiert, werden die geneigten Leser dieses Blogs morgen erfahren.

Am Nachmittag steht noch der Besuch beim traditionellen Heiler der Dorfgemeinschaft auf dem Programm. Er ist eine durchaus interessante Erscheinung, der eine große Rolle auch im spirituellen Leben der Dorfgemeinschaft spielt und, so stellen wir erstaunt fest, sogar über einen offiziellen Heiler-Ausweis der Regierung verfügt. Er schildert uns, welche Krankheiten er heilen kann, und demonstriert uns an Maddalena von ABA, wie er einen ausgerenkten Knochen wieder an die richtige Stelle schiebt. Offensichtlich steht er auch in einem Austausch mit dem staatlichen Gesundheitszentrum. Für diesen Bereich plant Maddalena offensichtlich ihr nächstes Projekt: Das traditionelle Wissen zu sammeln, neu zu bewerten, und es für die Gemeinschaft stärker nutzbar zu machen. Nicht nur dafür wünschen wir ihr viel Erfolg!

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