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Aussteuer statt Ausbeutung: Auch Hausangestellte haben Rechte

Kadiatou war 15 Jahre alt, als sie ein paar Kleidungsstücke zusammenpackte, in einen klapprigen Kleinbus stieg und damit nach Bamako fuhr. In der malischen Hauptstadt, etwa 80 Kilometer entfernt von ihrem Heimatdorf, wollte sie sich eine Stelle als Hausmädchen suchen. So, wie es viele andere Mädchen auf ihrer Schule machen, so, wie es seit langem üblich ist in der Gemeinde Ouélessebougou und in tausenden anderer Dörfern in Mali.

Es gilt, Geld für die Aussteuer zu verdienen – so hieß es lange. Doch inzwischen sind längst andere Bedürfnisse hinzugekommen, denn große Armut kennzeichnen den Alltag aller Aufbruchswilligen. In den Dörfern prägen Lehmhäuser, Eselkarren, Ziegen, Hühner und unter harter körperlicher Arbeit bestellte Felder das Bild. Strom gibt es sporadisch, über ein Auto verfügt fast niemand, bestenfalls erleichtert ein Moped den Transport in den nächstgrößeren Ort.

Umso größer der Kontrast zur lärmenden Hauptstadt Bamako mit seinem verzweigten Netz von Straßen, die häufig verstopft sind von Fahrzeugen aller Art, ein Gewusel von Menschen, die Handel aller Art treiben. Nach ihrer Ankunft dort wurde Kadiatou über eine entfernte Verwandte in einen Haushalt vermittelt, wo sie für die Küche und das Hüten des Kindes verantwortlich war. Außerdem musste sie in den Straßen Eiswasser verkaufen. Doch ihre Arbeitgeberin wusste ihre Leistung wenig zu schätzen: Oft wurde das junge Mädchen beschimpft und verdächtigt, Einkäufe nicht richtig abgerechnet zu haben, schließlich jagte man Kadiatou sogar aus dem Haus. »Mädchen, die vom Dorf in die Stadt kommen, haben keine Ahnung, was sie in Bamako erwartet. Sie sind völlig unvorbereitet auf das Leben hier«, erklärt Virginie Koné, Direktorin der Organisation APSEF, die sich für die Rechte der jungen Hausangestellten einsetzt.

Vielen ergeht es noch schlimmer als Kadiatou: »Sie erhalten nicht genug zu essen, haben keinen Rückzugsraum, sind körperlichen Misshandlungen und sexuellem Missbrauch ausgesetzt«, berichtet Virginie Koné weiter. Die häufig unzumutbaren Arbeitsverhältnisse sind zwar bekannt und sogar hin und wieder Gegenstand von Medienberichten – schließlich haben rund 80 Prozent der Haushalte eine sogenannte »Aide Familiale«, eine Familienhilfe. Doch ihre prekäre Situation scheint vielfach als unvermeidlich akzeptiert zu werden.

Die Organisation APSEF tut dies nicht. In Bamako haben die Mitarbeiterinnen begonnen, in zwei Stadtbezirken die Schutzmechanismen für Mädchen zu verstärken. APSEF lädt sie zu regelmäßigen Treffen ein, bei denen über die Rechte, aber auch Pflichten der Hausangestellten gesprochen wird: »Wir erklären ihnen, was ihre Aufgaben sind, aber auch, welche Ansprüche sie haben – zum Beispiel auf ein eigenes Bett, ausreichend zu essen, ein regelmäßiges Gehalt und einen freien Tag«, erläutert Tina Sini, die die Treffen moderiert.

Da viele der Mädchen nicht lesen können, arbeitet sie dazu mit leicht verständlichen Schaubildern, die Alltagssituationen in einem Haushalt darstellen. Da viele Arbeitgeber die Löhne drücken mit dem Argument, es fehle den Hausmädchen an Erfahrung, organisiert APSEF Fortbildungen, beispielsweise im Zubereiten schmackhafter Mahlzeiten, die in der Stadt beliebt sind. An acht solcher Kurse nahmen in den vergangenen zehn Monaten fast 180 junge Frauen teil, und die meisten von ihnen können die neuerworbenen Kochkünste bereits anwenden. »Wir erleben, dass die Hausmädchen im Laufe der Zeit an Selbstbewusstsein gewinnen und sich zunehmend trauen, ihre Rechte auch einzufordern«, berichtet Direktorin Virginie Koné.

Mehr Lohn und eine Mittagspause: APSEF hat schon viel erreicht

Diejenigen, die dennoch in eine echte Notlage geraten, werden in ein Schutzzentrum vermittelt oder erhalten mit Hilfe von APSEF rechtlichen Beistand. Bei sechs jungen Frauen war dies im vergangenen Jahr der Fall. Um die Situation von jungen Hausangestellten grundsätzlich zu verbessern, müssen alle Beteiligten in dem Prozess – also auch Vermieter von Unterkünften, Arbeitsvermittlerinnen, Arbeitgeber, lokale Behörden und Medien – einbezogen werden. Hier stoßen die Mitarbeiterinnen von APSEF auf unterschiedlich weit geöffnete Türen: »Manche Arbeitgeber weigern sich, mit uns zu reden, andere wiederum sind interessiert und kommen zu unseren Informationsveranstaltungen – sie sehen dies als Chance, spätere Konflikte zu vermeiden«, so Tina Sini.

Der Einsatz zahlt sich jedenfalls aus: Fast alle der betreuten Mädchen erhalten inzwischen eine angemessene Mittagspause; mehr als hundert Hausangestellte konnten dank der Unterstützung durch APSEF höhere Löhne durchsetzen. Noch erreicht APSEF nur eine kleine Gruppe von Familien, Hausangestellten und Arbeitgebern - schwieriger ist es, dort heranzukommen, wo die Missstände am größten sind. Doch ein Anfang ist gemacht, und im Verbund mit anderen Organisationen will APSEF das Sicherheitsnetz für Hausangestellte zunehmend enger knüpfen.

Stetige Erfolge sind auch in den Herkunftsdörfern zu verzeichnen, wo APSEF ebenfalls aktiv ist. In regelmäßigen Zusammenkünften mit Müttern, Lehrern, kommunalen Beamten, Dorfältesten und Jugendlichen werden die Risiken diskutiert werden, mit denen junge Mädchen konfrontiert sind. Dabei kommen auch sensible Themen zur Sprache, wie etwa das Verständnis der Rolle von Frauen und Mädchen und wie sich traditionelle Praktiken negativ auf ihre Rechte auswirken. Hunderte von Dorfbewohnern von Jung bis Alt haben schon an thematischen Workshops und Diskussionsrunden teilgenommen. In Schulen berichten ehemalige Hausangestellte selbst über ihre Erfahrungen. Dies soll nicht allein der Abschreckung, sondern auch der besseren Vorbereitung dienen, denn es wäre unrealistisch, die Abwanderung völlig verhindern zu wollen.

Wo es möglich ist, versucht APSEF jedoch, Alternativen vor Ort zu schaffen, etwa durch Alphabetisierungskurse und Kleinsparerprogramme, die Frauen und Mädchen dabei helfen, sich zusätzliche Einkommensmöglichkeiten aufzubauen. Dies führt außerdem dazu, dass Mädchen nicht mehr viel zu früh die Schule abbrechen, um ihr Glück in der Stadt zu versuchen. Die bisherigen Erfahrungen sind positiv, weiß Projektkoordinatorin Fatoumata Barry: »Der Sparfonds wächst jedes Jahr an, und die Frauengruppen berichten voll Stolz davon, wie sie durch Hühnerzucht oder Verkauf von Handarbeiten den Schulbesuch ihrer Kinder finanzieren können.«

Claudia Berker, Afrika-Referentin bei terre des hommes

 

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