Südsudan: Die Schwachen stärken
Mit Bildung und Sozialarbeit steht terre des hommes Kindern, Frauen und Behinderten zur Seite
Jahrzehntelang kämpfte der Südsudan gegen den Norden, bis er 2011 seine Unabhängigkeit erhielt. Doch der Frieden war kurz. Schon zwei Jahre später begann der Bürgerkrieg. Jetzt ging es nicht mehr um Freiheit, sondern um die Verteilung von Macht und Ressourcen, vor allem Öl. Systematisch griffen die bewaffneten Gruppen die Zivilbevölkerung an. Sie mordeten, entführten, rekrutierten Kindersoldat*innen und setzten Vergewaltigung gezielt als Kriegswaffe ein.
Es ist die größte Vertreibungskrise Afrikas: Drei Millionen Südsudanes*innen – fast ein Drittel der Bevölkerung – haben im Bürgerkrieg zwischen 2013 und 2018 ihre Heimat verloren. Es war der letzte traurige Höhepunkt in einer Geschichte voller Gewalt.
Seit 2018 herrscht Waffenstillstand im jüngsten Staat der Welt. Doch noch immer leiden die Menschen unter den Folgen von Gewalt und Zerstörung. Die Hälfte der elf Millionen Südsudanes*innen ist von humanitärer Hilfe abhängig. Besonders schwer ist die Situation für ehemalige Kindersoldat*innen, Menschen mit Behinderung, Senior*innen, Mädchen und Frauen.
Die terre des hommes-Partnerorganisation
Jesuit Refugee Service (JRS) setzt sich weltweit für Geflüchtete und intern Vertriebene ein. JRS arbeitet in den Bereichen Flüchtlingshilfe, Bildung, Gesundheit und Menschenrechte.
Maßnahmen und Wirkungen
Ziel des Projektes ist es, Menschen und Dorfgemeinschaften stark zu machen, damit sie mögliche künftige Krisen gut überstehen können. JRS unterstützt dabei die Schwächsten: Mädchen und Frauen, Menschen mit Behinderung, Senior*innen und ehemalige Kindersoldat*innen. Sie sollen ein selbstbestimmtes Leben in Würde führen können.
Das gemeinsame Projekt von terre des hommes und JRS wird vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt. Gearbeitet wird in vier Bereichen, die eng miteinander verknüpft sind:
Bildung
In außerschulischen Aktivitäten wie »Friedensclubs«, Sport- und Kunstangeboten erwerben die Schüler*innen in zwölf Projektschulen soziale und emotionale Kompetenzen, die sie stark machen für die Zukunft. Darüber hinaus versorgt JRS Mädchen und Jungen aus armen Familien mit Schulbüchern und -heften, organisiert Nachhilfe und die Unterstützung durch Sozialarbeiter*innen. Die terre des hommes-Partnerorganisation baut neue Klassenräume und barrierefreie Toiletten und stellt gemeinsam mit dem Lehrpersonal sowie Lehrer*innen-Eltern-Komitees sicher, dass Mädchen, Kinder mit Behinderung und ehemalige Kindersoldat*innen am Unterricht teilnehmen können.
Das ist auch das Ziel der Aus- und Fortbildungen, die JRS in Zusammenarbeit mit der Universität in Südsudans Hauptstadt Juba anbietet: 150 Lehrkräfte belegen zusätzliche Kurse in Friedenserziehung und psychosozialer Betreuung. Und in Medienkampagnen und öffentlichen Debatten beziehen JRS-Mitarbeitende unter anderem Lokalpolitiker*innen und Dorfälteste in die Diskussion um die Bedeutung von Bildung – gerade auch für Mädchen – ein.
Integration
Hilfe im Alltag: Nach einer Ausbildung durch JRS stehen 64 Sozialarbeiter*innen rund 3.000 Kindern und Erwachsene mit Behinderung, älteren und chronisch kranken Menschen sowie Alleinerziehenden im Alltag zur Seite.
JRS initiiert zudem Selbsthilfegruppen für fast 500 Betreuer*innen von Menschen mit Behinderung. Hier können sie sich austauschen und lernen, mithilfe positiver Bewältigungsstrategien mit Belastungen besser umzugehen.
Regelmäßig bieten JRS-Mitarbeiter*innen Schulungen für 180 Mitglieder von Frauen- und Jugendgruppen sowie anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen an. Die Teilnehmenden erwerben grundlegende psychosoziale Kompetenzen, darunter psychologische Erste Hilfe, aktives und empathisches Zuhören. Darüber hinaus erhalten sie Informationen über weitere Unterstützungsangebote von lokalen Stellen bis zu Programmen internationaler Organisationen. Ziel ist es, marginalisierte Gruppen zu unterstützen und dabei deren Würde, Kultur und Fähigkeiten zu respektieren.
Mechanismen zum Schutz vor sexueller und genderbasierter Gewalt
Frauen stärken Frauen: Sozialarbeiterinnen stehen 1.200 Frauen und älteren Mädchen zur Seite, leisten psychologische Erste Hilfe und bringen ihnen »life skills« bei, indem sie sie über Problemlösungs- und Kommunikationsstrategien informieren und das Selbstbewusstsein der Teilnehmerinnen stärken, so dass sie selbst für ihre Belange eintreten können. Weil der Bedarf groß ist, bildet JRS in achtwöchigen Schulungen 200 Beraterinnen für Frauen in Not aus.
Einmal im Monat diskutieren Schülerinnen der zwölf Projektschulen über sexuelle und reproduktive Gesundheit. Rund 3.500 Mädchen erhalten zudem ein »Dignity Kit«. Das besteht unter anderem aus Binden und Slipeinlagen, Unterwäsche, Zahncreme und einer Taschenlampe.
Keine Gleichberechtigung ohne die Männer: Viele Männer können ihre traditionelle Rolle als Beschützer und Versorger nicht mehr erfüllen. Dieser Kontrollverlust verändert die Strukturen innerhalb der Familie und führt immer wieder zu häuslicher Gewalt. Gemeinsam mit Lokalpolitikern und religiösen Autoritäten organisiert JRS Debatten mit insgesamt 1.000 erwachsenen und heranwachsenden Männern. Sie diskutieren die Rolle des Mannes in der Gesellschaft und identifizieren gewaltfreie Lösungen für die Probleme, die mit dem Verlust des traditionellen Männerbildes einhergehen. Gleichzeitig erhalten fast 400 Gemeindepolizist*innen Fortbildungen über Menschen-, Frauen - und Kinderrechte und die Bekämpfung genderbasierter Gewalt.
Mehr Wirkung durch Multiplikator*innen: JRS bildet 510 Mitglieder von Gemeindenetzwerken – darunter vor allem Frauen- und Jugendgruppen –, traditionelle und religiöse Autoritäten sowie Mitarbeiter*innen von Behörden zum Thema genderbasierte Gewalt fort.
Friedensbildung und Versöhnungsarbeit
Frieden kann langfristig nur durch gegenseitiges Verständnis und die gesellschaftliche Integration der ehemaligen Kindersoldat*innen bestehen . Deshalb organisiert JRS regelmäßig mit traditionellen und religiösen Führungspersonen Kampagnen für Frieden und die Rechte von Frauen und gesellschaftlichen Randgruppen.
An den Projektschulen gründen speziell ausgebildete Lehrer*innen Friedensclubs. Kinder und Jugendliche treiben gemeinsam Sport, machen Musik, veranstalten Malwettbewerbe und diskutieren über Toleranz, gewaltfreie Konfliktlösungen, Inklusion sowie Kinder- und Menschenrechte.
In den Dörfern bildet JRS 60 Männer und Frauen zu Friedensbotschafter*innen aus. Sie begleiten Versöhnungsprozesse durch Hausbesuche, Einzelgespräche und Gruppensitzungen. Dabei arbeiten sie eng mit traditionellen Führungspersonen, Kirchengemeinden und Jugendgruppen zusammen. Und sie helfen rund 100 ehemaligen Kindersoldat*innen, den Weg zurück in ihre Familien und Dorfgemeinschaften zu finden.
Frieden durch Recht: Das südsudanesische Justizsystem ist schwach ausgebildet. Umso wichtiger sind traditionelle Instanzen auf Dorfebene. Ihnen vertrauen die Menschen in der Regel mehr als den staatlichen Gerichten. Es kommt jedoch immer wieder vor, dass das Gewohnheitsrecht Frauen, Jugendliche und Angehörige von Minderheiten diskriminiert. Deshalb sensibilisiert JRS 200 traditionelle Führer*innen für die Rechte von Frauen, Kindern und Minderheitengruppen und informiert sie über bestehende Menschenrechtsstandards. JRS achtet darauf, traditionelle Werte mit einzubeziehen, denn oft erleben die lokalen Führer*innen das Konzept der Menschenrechte als fremd und von außen auferlegt.
Herausforderungen und Planungen
Südsudan steht vor immensen politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen. JRS arbeitet eng mit den Dorfgemeinschaften zusammen und setzt auf die Stärkung von lokalen Initiativen. So stellt die terre des hommes-Partnerorganisation sicher, dass sich die Jugendlichen, Frauen und Männer auch nach Projekteende für eine gerechte Gesellschaft einsetzen können, in der die Bedürfnisse aller berücksichtigt werden.
Das kann jedoch langfristig nur gelingen, wenn Kinder Zugang zu Bildung erhalten. Je höher der Bildungsstandard, desto geringer die Zahl der Frühverheiratungen und Kinderarbeiter*innen, desto größer die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die zu »Agenten des Wandels« werden und etablierte Normen und Rollenverteilungen hinterfragen. Nur wenn die Kinder Südsudans zur Schule gehen können, hat das Land eine Chance auf Stabilität und Entwicklung.
Bitte helfen Sie! Unterstützen Sie unsere Projektarbeit für Kinder in Not mit Ihrer Spende.