»Es gibt so viele gute Menschen«
Ehrenamtliche Initiativen und das Mutter-Kind-Haus in Uzhhorod bieten Schutz und Hilfe in der Not
»Ich kann nicht klagen«, sagt Viktoria – nicht einmal, sondern immer wieder, und es klingt, als ob sie sich selbst noch davon überzeugen muss. Die junge Frau und ihre beiden Kinder kommen aus Sjewjerodonezk nahe der Grenze zu Russland und seit fast einem Jahr haben sie kein Zuhause mehr: »Alle Fenster in meiner Wohnung sind von der Schallwelle einer Rakete zerborsten, da habe ich beschlossen mit meinen beiden Töchtern zu flüchten«, erzählt sie und kuschelt sich an die siebenjährige Darina auf ihrem Schoß. »Als wir gerade die Stadt verlassen hatten, bekam ich eine SMS, dass unsere Wohnung vollständig verbrannt ist. Nun sind wir obdachlos.« Als Viktoria ihre Tränen nur noch mit Mühe zurückhalten kann, streichelt Darina ihr Gesicht und umarmt sie. Wo die Kraft der Erwachsenen nicht mehr ausreicht, werden Kinder zu Tröstern.
Dabei hatte Viktoria noch Glück im Unglück: »Nimm deine Kinder und komm her«, riet ihr eine Freundin aus Uzhhorod und half, für sie eine vorläufige Bleibe zu finden. Uzhhorod liegt in der Nähe der Grenze zur Slowakei und ist vergleichsweise sicher. In Friedenszeiten lebten hier rund 110.000 Menschen, mittlerweile sind es geschätzte 300.000. Wohnraum ist knapp, aber zahlreiche ehrenamtliche Initiativen helfen den Vertriebenen: Sie sammeln Sach- und Geldspenden oder organisieren Notunterkünfte. Viktoria und ihre Kinder sind - wie zahlreiche andere Mütter und Kinder - in einem stillgelegten Industriegebiet mit zahlreichen Bürogebäuden untergebracht. terre des hommes und seine Partnerorganisation MACZ (Medical Aid Committee Zakarpattya) unterstützen die Arbeit der engagierten Basisgruppen, die sich unter dem Namen Sila Uzhhorodu (Kraft von Uzhhorod) zusammengetan haben - zum Beispiel mit Möbeln, Matratzen, Spielzeug oder Nahrungsmitteln. Was gebraucht wird, wird als Sachspende besorgt oder, wo dies nicht möglich ist, gekauft.
Das Leben in den Griff bekommen – trotz widriger Umstände
Das MACZ-Team besteht nur aus Frauen, ist eng mit den kleinen und großen Initiativen in Uzhhorod vernetzt und arbeitet seit März 2022 mit terre des hommes zusammen: Nicht nur die ehrenamtlich helfenden Gruppen werden unterstützt, es wurde auch ein altes Hotel gekauft und eingerichtet. Acht Frauen und ihre Kinder können hier gleichzeitig wohnen, zur Ruhe kommen und lernen, ihr Leben trotz der widrigen Umstände wieder in den Griff zu bekommen. Die Familien können für sechs Monate bleiben, dann wird der Platz wird für Neuankömmlinge benötigt.
Im Haus gibt es ein Spielzimmer und eine Gemeinschaftsküche. Die Mütter und Kinder werden durch Sozialassistentinnen begleitet, welche sie bei der Schul- oder Kindergarten-Anmeldung, bei Bewerbungen oder Erziehungsfragen unterstützen. Weil die Familien durch die Kriegserlebnisse und die Flucht mindestens verunsichert, häufig auch traumatisiert sind, gibt es regelmäßig psychologische Unterstützung. Die Beratungsangebote werden auch von Frauen und Kindern genutzt, die nicht im Haus wohnen.
Auch Viktoria bekam Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Sorgen: Ihr Brustkrebs wurde operiert, und ihre Tochter Darina, die halbseitig leicht gelähmt ist, wurde behandelt. »Sie konnte nur auf Zehenspitzen laufen, aber jetzt geht es viel besser«, sagt Viktoria und ist dankbar. Das Geld für die Operation kam durch eine Ad-hoc-Spendenaktion in Uzhhorod zusammen.
»Wir fühlen uns gut aufgehoben«
»Die Unterstützung ist großartig«, sagt Viktoria. »Wir bekommen Essen, Wasser, es gibt einen Platz, um Essen zuzubereiten. Jeder hat ein eigenes Bett. Wir bekommen alles, selbst die Kleidung, die wir auf der Haut tragen, wurde uns geschenkt. Alle versuchen, uns zu helfen. Alle Länder, alle Menschen in der Ukraine. Wir fühlen uns gut aufgehoben. Wir sind im richtigen Moment am richtigen Ort gelandet.«
Aber eine Sorge bleibt: »Wenn wir hier nicht mehr sein können, müssen wir weitersuchen«, weiß sie. »Wir haben keinen Ort mehr, wohin wir zurückkehren könnten. Alles ist zerstört und verbrannt. »Früher hatte ich viele Träume. Aber nun ist mir nur ein Traum geblieben: zu überleben. Für meine Kinder.«