Brasilien: »Die Pandemie hat die Armen ärmer gemacht und die Reichen reicher«
Mehr als 515.000 Tote, über 17 Millionen Infektionen und ein Gesundheitssystem am Rande des Zusammenbruchs – in Brasilien hat die »kleine Grippe«, wie Präsident Bolsonaro die Corona-Pandemie bezeichnete, dramatische Folgen. Die Patient*innen auf den Intensivstationen werden immer jünger, auch Kinder und Babys sterben.
Es fehlen nicht nur Intensiv-Betten und Sauerstoff, sondern vielerorts auch Schmerzmittel: Patient*innen werden ohne Betäubung intubiert und mit Gurten an ihre Betten gefesselt. Viele der Toten hätten unter besseren Umständen gerettet werden können. Die Impfkampagne verläuft schleppend und Nachrichten von sich vordrängelnden Politikern und Geschäftsleuten machen die Runde.
Einer ganzen Generation droht der Bildungsnotstand
Die Bevölkerung leidet aber nicht nur am Virus direkt, sondern auch an seinen wirtschaftlichen Folgen: Mehr als 19 Millionen Brasilianer*innen hungern. Denn wer keinen festen Arbeitsvertrag hat und nichts sparen konnte, steht meist vor dem Nichts. Einigen wenigen Brasilianer*innen geht es dagegen besser als je zuvor: In den 14 Monaten der Pandemie hat das Land 20 neue Milliardäre registriert. »Die Pandemie hat die Armen ärmer gemacht und die Reichen reicher«, resümiert die Brasilien-Koordinatorin von terre des hommes, Bruna Leite, bitter.
In den Armenvierteln der Städte, wo terre des hommes Projekte für Kinder und Jugendliche fördert, ist der Druck auf die Familien enorm. Die Kinder leiden unter der Enge und oft auch unter häuslicher Gewalt. Zwar haben einige Schulen wieder geöffnet, doch können dort nur 35 Prozent der Schüler*innen unterreichtet werden. In manchen Bundesländern findet weiterhin kein Unterreicht statt.
»Ich möchte lernen und spielen, aber ich kann nirgendwo hingehen«, sagt ein 13-jähriges Mädchen aus einem terre des hommes-Projekt. Sie spricht für die meisten Kinder in ihrem Viertel: Sie haben keine Computer, kein Internet, keinen Platz zum Lernen… Einer ganzen Generation droht der Bildungsnotstand.
Auch gesundheitlich trifft die Pandemie den ärmsten Teil der Bevölkerung am schwersten: Bezirke mit den meisten Favelas und Mietskasernen haben die höchsten Sterberaten. Da die Bewohner*innen oft im informellen Sektor arbeiten, können sie nicht zu Hause bleiben, um sich zu schützen. Und sie haben in der Regel einen schlechteren Zugang zu Gesundheitsleistungen – Intensivbetten gibt es hauptsächlich in den Privatkliniken der reichen Stadtteile.
Der am Rande von São Paulo gelegene Stadtteil Sapopemba, in dem terre des hommes ein Jugendzentrum unterstützt, hat die meisten Toten in ganz São Paulo zu beklagen. Unter den Toten sind sehr viele junge Menschen, die vergeblich auf ein Bett in einer Intensivstation gewartet hatten.
Was tut terre des hommes?
terre des hommes unterstützt Kinder und ihre Familien in den armen Stadtteilen von São Paulo, Limeira und Resende. »Unsere zehn Partnerorganisationen verteilen Nahrungsmittelkörbe mit Bohnen, Trockenfisch und Reis, aber auch Gesichtsmasken, Seife und Desinfektionsmittel an Bedürftige, vor allem an alleinerziehende Frauen«, so Bruna Leite.
»Um den Druck aus schwierigen familiären Situationen zu nehmen, sind aber auch Freizeitangebote wichtig. terre des hommes-Partnerorganisationen versorgen Kinder mit Spielzeug und Bastelmaterialien, organisieren Zugang zum Internet für sie, bieten online Tanz- und Musikkurse an und laden zu virtuellen Gesprächsrunden ein. Damit niemand zurückgelassen wird, gibt es in bestimmten Fällen auch finanzielle Unterstützung für Internetverbindungen und Hilfe beim Umgang damit.«
Familien in einer besonders schwierigen Situation werden durch Sozialarbeiter*innen betreut, momentan vor allem per Telefon. In den Gesprächen wird Kindern und ihren Eltern geholfen, mit der stark belastenden Situation umzugehen und gewaltfreie Lösungen für Konflikte zu finden.
»Wir stehen in engem Austausch mit denen, die am meisten unter dem Virus und seinen Folgen leiden«, so Bruna Leite. »Wir kennen ihre Nöte und reagieren flexibel darauf.«
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05.07.2021