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»Dieser Stadtteil gehört uns!«
Bei FUNSAREP in Cartagena machen Kinder Politik

Samstagvormittag in Santa Rita, einem Stadtteil der Karibikmetropole Cartagena. Rund 30 Kinder und Jugendliche begutachten eine Kreuzung und rümpfen die Nase: kein Rüberkommen. Und das, obwohl hier eine Schule ist. Sie beschließen: Das kann so nicht bleiben. Wenige Minuten später versammeln sie sich in einem der Räume von FUNSAREP, der Asociación Santa Rita para la Educación y Promoción. »Was muss getan werden, damit Kinder die Straße gefahrlos überqueren können?«, fragt eine Betreuerin. Es hagelt Vorschläge: »Eine Fußgängerbrücke.« »Eine Ampel.« »Ein Zebrastreifen.« »Ein Verkehrspolizist.«

Heute werden die Ideen nur andiskutiert und kurz auf Machbarkeit geprüft. Nächsten Samstag geht es dann weiter – so lange, bis ein Vorschlag reif ist, um ihn den zuständigen Behörden der Stadt und den Medien zu präsentieren. Die Mädchen und Jungen der Samstagsgruppe machen Politik. »Una Ciudad Un Metro Diez« heißt ihr Ziel – eine Stadt aus der Perspektive von 1,10 Meter, eine Stadt also, die die Interessen und die Rechte der Kinder respektiert.

»Man muss den Kindern gut zuhören und ihnen dann helfen, ihre Anliegen in Aktionen und Erfolge zu verwandeln«, sagt Edilberto Noguera, heute Direktor von FUNSAREP und vor über 30 Jahren selbst hier sozialisiert. »Wenn sie die Erfahrung machen, dass sie ernst genommen werden und etwas erreichen können, sind sie nicht mehr zu bremsen.«

Bildung, Umweltschutz, Gesundheit: Die FUNSAREP-Gruppen sorgen für Lebensqualität in Santa Rita

Santa Rita ist ein Stadtteil mit etwa 15.000 meist einkommensschwachen, afrokolumbianischen Einwohnern und vielen Problemen: Es gibt Kriminalität, Prostitution, Drogenhandel und Gewalt – auf der Straße, in den Schulen und in den Familien. Die Statistiken zeigen aber auch: Im Einzugsgebiet von FUNSAREP gibt es erheblich weniger Kriminalität und Mord als in Stadtgebieten, die nicht solche Einrichtungen haben.

»Wenn die Kinder und Jugendlichen zu uns kommen, erweitern sie ihren Horizont und sehen eine andere Welt«, sagt Edilberto. »Sie fangen an, ihre Zukunft zu gestalten und entwerfen Lebenspläne. Viele studieren, reisen und lernen einen Beruf.« Edilberto selbst ist dafür das beste Beispiel: »Zur Schule bin ich gegangen, weil es FUNSAREP gab«, sagt er. »Wir hatten wenig Geld, weil mein Vater gestorben war. Wir konnten nicht mal die Schulgebühr bezahlen, denn in meiner Jugend war die Schule nicht kostenlos. Außerdem gab es in meiner Siedlung auch kein Vorbild für mich. Auch nicht in der Schule. Aber durch FUNSAREP kam das Studium trotzdem in mein Leben.«

Die Basis von FUNSAREP sind etwa zwölf selbstorganisierte Kinder- und Jugendgruppen in den Siedlungen von Santa Rita. Begleitet werden sie von jungen Leuten, die meist selbst in einer solchen Gruppe groß geworden sind. Jede Gruppe hat ihre eigene Planung: Manche kümmern sich um die schlechte Bildungsqualität an den Schulen, manche um den Umweltschutz, andere um das Gesundheitssystem und wieder andere um die Eindämmung von Gewalt. Bei FUNSAREP treffen sie sich, tauschen sich aus und planen gemeinsame Aktivitäten.

Kinder ohne Angst, Kinder mit eigener Stimme

Beispielsweise die Aktion »Kinder ohne Angst, Kinder mit eigener Stimme«: »Dabei geht es um Gewalt«, erklärt Edilberto. »Die Kinder entwickeln Strategien, wie sie sich vor der Gewalt in den Familien und auf der Straße schützen können. Die Mädchen sind beispielsweise mit den öffentlichen Verkehrsmitteln gefahren und haben Risiken identifiziert. Sie lernen, sich zu wehren und formulieren Forderungen an die Politik.«

Eine andere Initiative heißt »Por un barrio seguro y protector de niños y niñas« – für eine Viertel, das sicher ist und Kinder schützt. 200 Erwachsene und 200 Kinder überlegen gemeinsam, wie sie ihr Viertel sicherer machen: Kinder sollen auf der Straße spielen können, und Jugendliche auch nachts gefahrlos nach Hause kommen. »Friedensverträge sind wichtig, aber nicht genug«, so Edilberto. »Wir müssen eine Kultur des Friedens schaffen. Wir müssen all diese Vorstellungen zerstören, die dem Frieden entgegenstehen.«

Kinderrechte – ein Element der Würde

FUNSAREP und terre des hommes arbeiten bereits seit den 70er Jahren zusammen – damals gehörte die Initiative noch zur Kirchengemeinde. Als FUNSAREP sich selbstständig machte, blieb terre des hommes ein treuer Unterstützer. »Das erkennen wir hoch an«, sagt Edilberto. »terre des hommes hat uns gezeigt, dass nicht nur das Wort des Pfarrers zählt, sondern auch das Wort des einfachen Volkes. Das war gut für unser Selbstbewusstsein. Wir haben sehr viel durch terre des hommes gelernt. Zum Beispiel auch, dass es um Rechte geht. Wir haben mit den Kindern die Kinderrechtskonvention studiert und bis heute machen wir unsere Arbeit aus dieser Perspektive. Aber: Die Rechte müssen ein Gesicht bekommen, sonst bleiben sie nur ein Diskurs.«

Was er damit meint, erklärt er am Beispiel eines Kindes, das von seinem Vater geschlagen wird: »Wenn das Kind bei FUNSAREP ist, weiß es: Es ist falsch. Gewalt ist ein Verbrechen. Mein Vater verletzt mein Recht. Und dieses Kind hat Freunde und erklärt anderen Kindern, dass man Gewalt nicht als etwas Natürliches hinnehmen muss.«

Für Edilberto sind die Kinderrechte vor allem ein Element ihrer Würde. »Wir berühren Gefühle«, sagt er. »Wir korrigieren krankmachende Vorstellungen, die uns anerzogen wurden durch eine gewalttätige Erziehung. Wir berühren das Leben der Kinder und das kann sehr entscheidend für ihren ganzen Weg sein.«

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