Interview zur aktuellen Lage in Myanmar
»Vielerorts ist die Verwaltung der Junta zusammengebrochen.«
Vier Jahre sind vergangen, seit sich in Myanmar eine Militärjunta an die Macht putschte und einen Bürgerkrieg auslöste. Im Interview berichtet Thayet,1 die in der Projektarbeit von Terre des Hommes in Myanmar und insbesondere entlang der Grenze zu Thailand aktiv ist, über aktuelle Entwicklungen und Hoffnungen für die Menschen im Land.

Thayet, the »People will win«. Das hast du uns im vergangenen Jahr einmal gesagt, mit fester Überzeugung: Die Putschregierung hat keine Zukunft, trotz militärischer Überlegenheit, Gefängnis und Folter. Woher nimmst du diese Gewissheit?
Was wir in den letzten Jahren erleben, unterscheidet sich von früheren Revolutionen in Myanmar: Fast 100 Prozent der Zivilbevölkerung sind betroffen oder auf die eine oder andere Weise involviert. Auch die Unterstützung aus dem Ausland ist insgesamt größer.
Offensichtlich ist, dass viele ethnische bewaffnete Gruppen und die People’s Defence Force2 dem Militär erfolgreich Widerstand leisten können. Beide kontrollieren nun mehr als 100 Städte. Sie bauen dort auch bereits Regierungs- und Verwaltungsstrukturen auf, etwa im Kachin-, im Karenni- und im Karen-Staat.
Die Junta scheint zunehmend repressiv und brutal vorzugehen. Trotzdem entgleitet ihr die Kontrolle. Wie?
Vielerorts ist die Verwaltung der Junta zusammengebrochen. Auch den Informationsfluss kann sie nicht kontrollieren: In mehr als 80 Städten hat sie versucht, Telefon- und Internetdienste abzuschneiden und großflächige Internetsperren durchzusetzen. Aber die Menschen nutzen eben satellitengestütztes Internet, das so zu einer Art Sicherheitsnetz für die Kommunikation geworden ist.
Medien und soziale Medien spielen insgesamt eine wichtige Rolle in diesem Krieg. Nachrichten verbreiten sich schnell, was oft gerade der Zivilbevölkerung hilft. Viele Menschenrechtsorganisationen sammeln auch Daten über Rechtsverletzungen – rechtswidrige Angriffe und Tötungen, willkürliche Inhaftierungen, unfaire Gerichtsverfahren. Sie werden versuchen, die Militärführer vor die internationalen Strafgerichte zu bringen.
Welche Rolle spielt die internationale Gemeinschaft?
Der Druck der internationalen Gemeinschaft, einschließlich Sanktionen, ist enorm wichtig. Gezielte Sanktionen sind ein entscheidender Mechanismus, um den Fluss von Geldern, Waffen, Ausrüstung, Technologie und Kerosin an die Junta zu stoppen – um gegen die Verantwortlichen vorzugehen, Korruption und Menschenrechtsverletzungen zu stoppen.
Die größte Bedrohung für die Menschen in Myanmar sind Luftangriffe der Militärjunta. Viele zivilgesellschaftliche Organisationen versuchen, dagegen etwas zu tun, in Zusammenarbeit mit der internationalen Gemeinschaft. 2025 wird es hoffentlich Erfolge geben.
Ebenso wichtig ist es, humanitärer Hilfe bereitzustellen und zu koordinieren – auch mit den Nachbarstaaten. In erster Linie für die Millionen von Vertriebenen, die Verletzten und Opfer der Gewalt.
Was können Organisationen wie Terre des Hommes dazu beitragen? Und wie können die Partnerorganisationen von Terre des Hommes in Myanmar und Thailand helfen?
Es gibt viele Wege: Da ist zum Beispiel der Einsatz für ein grenzüberschreitendes, humanitäres Hilfsprogramm der thailändischen Regierung für Flüchtlinge und Vertriebene. Auch der politische Einsatz auf internationaler Ebene ist wichtig.
Vor allem können sie vor Ort helfen, auch wenn das mit Gefahren für uns und unsere Organisationen verbunden ist. Viele der Partnerorganisationen von Terre des Hommes in Myanmar bringen lebenswichtige Hilfen wie Lebensmittel, Medikamente und Hygienesets. Oder sie unterstützen mit psychosozialer Hilfe und, soweit das möglich ist, mit Unterricht für die Kinder.
Sie versuchen auch, den Schutz der Zivilbevölkerung zu sichern und zu stärken, gerade im Einflussbereich der ethnischen bewaffneten Organisationen. Und sie weiten momentan die humanitäre Hilfe in Zusammenarbeit mit der gewählten Exilregierung und den regionalen, bundesstaatlichen Ebenen aus. Dazu zählen insbesondere der Interimexekutivrat des Karenni-Staates und andere, 2020 gewählte Abgeordnete. In den zum Teil selbstverwalteten Gebieten ist es jetzt wichtig, einen friedlichen Übergang zu ermöglichen, damit die Bevölkerung wieder eine systematische Verwaltung und lebenswichtige Dienstleistungen bekommt.
Helfen Sie Kindern im Krieg mit einer Spende
Terre des Hommes unterstützt zurzeit sechs Projekte für Kinder und Jugendliche innerhalb Myanmars sowie in den Flüchtlingscamps der thailändischen Grenzregion:
- Humanitäre Hilfe
- Nahrungsmittelpakete
- sauberes Wasser
- Medikamente
- Hygiene-Nothilfepakete
- Traumahilfe und psychosoziale Unterstützung für Kinder
- Improvisierter Unterricht
- Kindesschutz, insbesondere in Flüchtlingscamps (Verhalten in Notsituationen, Aufklärung über Missbrauchsverhalten)
Fünf weitere Projekte sind in Planung.
1Der Name wurde geändert. Der tatsächliche Name ist Terre des Hommes bekannt.
2Begriffserklärung:
- People’s Defence Force (PDF): Bewaffnete Einheiten, die im Namen der demokratisch Gewählten Exilregierung Myanmars kämpfen.
- Ethnische bewaffnete Gruppen (Ethnic Armed Organisations – EAOs): Milizen, die in der Regel im Namen einer bestimmten Volksgruppe kämpfen. Die weit überwiegende Mehrheit sind Verbündete der Exilregierung gegen die Militärjunta.