»Veränderungen werden Zeit brauchen«
Interview mit Bert Cacayan, Leiter des terre des hommes-Büros Südostasien
Herr Cacayan, seit die burmesische Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi nicht mehr unter Hausarrest steht und ihre Partei zu Nachwahlen zugelassen wurde, schreiben viele westliche Medien, Burma öffne sich. Ist das so?
Bei den Parlamentswahlen im April 2012 konnten Aung San Suu Kyi und ihre Partei National League for Democracy (NLD) einen freien Wahlkampf führen. Im Ergebnis konnte die NLD 43 von 45 möglichen Sitzen gewinnen. Aung Saan Suu Kyi und die anderen NLD-Kandidaten sind nun offizielle Mitglieder des Parlaments.
Die Freiheit der Medien hat sich vergleichsweise verbessert, obwohl es immer noch einen Presserat gibt, der die Pressefreiheit einschränken kann. So wurde beispielsweise die Berichterstattung über gewaltsame Ausschreitungen zwischen der Mehrheit der Buddhisten und der Minderheit der muslimischen Rohingas im westlichen Staat Rakhine streng zensiert.
Im Burma gibt es 20 Presseagenturen, davon vier ausländische: Agence France Press, Associated Press, Reuters und Xinhua. Vor kurzem haben Medien, die bisher im Exil tätig waren, wie Mizzima, Irrawaddy, VOA Burmese Service und RFA Burmese Service in Rangun Büros geöffnet. Die Zahl der Agenturen, einschließlich westlicher Medien, könnte sich erhöhen, da die Reformen für größere Pressefreiheit und Demokratie in Gang sind.
Die Gesundheitslage der Bevölkerung ist teilweise katastrophal, die Kindersterblichkeit hoch. Erwarten Sie in diesen Punkten jetzt rasche Veränderungen?
Die burmesischen Gesundheitsbehörden haben im April 2012 einen Plan zur Reduzierung der Kindersterblichkeit gemäß den Millenniumsentwicklungszielen vorgelegt.
Für 2012 bis 2013 hat die Regierung vier Prozent des Bruttoinlandsprodukts für den Gesundheitsbereich eingeplant. Wie viel von diesem kleinen Budget gegen die Kindersterblichkeit eingesetzt werden soll, ist unklar. Dass es definitiv unzureichend ist, ist hingegen absolut klar.
Mit der Zulassung verschiedener Nichtregierungsorganisationen, die sich auf die Unterstützung von Kindern konzentrieren, sowie weiteren Organisationen ausländischer Regierungen, werden Gelder und technische Expertise die Kindersterblichkeit senken. Veränderungen und Wirkung werden trotzdem Zeit brauchen.
Durch die scheinbare Öffnung wird jetzt ein wirtschaftlicher Boom erwartet. Das Land wirbt derzeit um ausländische Investoren. Was sind mögliche Folgen? Ist das Land ein künftiger Billiglohn-Standort?
Es gab vor kurzem einen "New Myanmar Investment Summit", einen Investitionsgipfel, an dem über 100 ausländische Firmen aus mehr als 20 Ländern und Regionen teilnahmen, um Investitionsmöglichkeiten in Burma zu sondieren. Geschäftsleute erwarten die baldige Verkündigung des neuen Gesetzes für ausländische Investitionen, und in der Zwischenzeit suchen sie nach Möglichkeiten.
Nach mehreren Streiks im Juni 2012 bestimmte die Regierung einen Tagelohn in Höhe von einem Euro für Textilarbeiter. Die Arbeiter, die die Streiks begonnen hatten, fordern einen Mindesttagelohn von anderthalb bis zwei Euro. Trotzdem wird Arbeit in Burma billig bleiben, und ausländische Investoren werden ihre Vorteile aus dieser Niedriglohnwirtschaft ziehen.
Infolgedessen wird die Schere zwischen Arm und Reich weiter auseinandergehen. Die Arbeiterklasse wird unruhig bleiben. Wenn es der Regierung gelingt, diesen Ärger und diese Unzufriedenheit unter Kontrolle zu bekommen, wird Burma ein Paradies fürs Big Business.
Die Unruhen im Land, die Konflikte um ethnische Minderheiten, nehmen besorgniserregende Ausmaße an. Wie könnte eine Lösung der Probleme aussehen?
Der Friedensprozess, den die Regierung initiierte, geht weiter und das Friedenskomitee unter der Leitung des Präsidenten führt Verhandlungen mit verschiedenen bewaffneten ethnischen Gruppen.
In den letzten Monaten klangen die Kämpfe zwischen der Kachin-Gruppe und der burmesischen Armee ab, obwohl grundlegende Probleme noch nicht gelöst sind. Auf der anderen Seite - wie bereits oben erwähnt - flammten gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen buddhistischen Rakhines und muslimischen Rhingyas auf, hier werden kurz- und langfristige Lösungen vonnöten sein.
Wenn demokratische Reformen durchgeführt werden, die Menschenrechte respektiert und den ethnischen Gruppen ernst gemeinte Autonomie zugestanden werden, können die Konflikte minimiert und durch Dialog und Verhandlungen unter Kontrolle gebracht werden.
terre des hommes engagiert sich in verschiedenen Bereichen für die Einhaltung von Kinderrechten in Burma. Haben sich die Arbeitsmöglichkeiten mittlerweile verbessert? Und: Was ist jetzt am vordringlichsten?
Die Menschen sind verhalten optimistisch über die Veränderungen, die die Regierung begonnen hat, und die Atmosphäre hat sich zum Besseren gewandelt. Unsere Partner, obwohl immer noch vorsichtig, haben den Mut zurückgewonnen, das Thema Menschen- und Kinderrechte in ihre Programme mit aufzunehmen.
Die Herausforderungen in der nahen Zukunft liegen in drei Punkten: Verbot des Einsatzes von Kindersoldaten, Sicherung des Zugangs für Kinder zu angemessener Ernährung und Bildung und Entwicklung von Schutzmaßnahmen für diejenigen, die von den bewaffneten Konflikten betroffen waren.
Mittel- und langfristig müssen folgende Probleme behandelt werden: zum einen sind das Bildungsmaßnahmen und die Förderung des Schutzes der Kinderrechte, besonders der ökologischen Kinderrechte. Zum zweiten muss der Friedensprozess fortgeführt und in die Curricula der Schulen aufgenommen werden und zum dritten müssen Gesetze und Bestimmungen dazu führen, dass die Kinderrechte für alle erfüllt werden.
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