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Autokratische Regime verletzen Menschen- und Kinderrechte

Thailand: Auf der Flucht vor Myanmars Militärjunta

Als es kurz nach dem Putsch am 1. Februar 2021 früh morgens in Yangoon an ihrer Tür klopfte, wusste Thayet*, was passieren würde. Soldaten und bewaffnete Bedienstete verlangten Einlass und durchsuchten das Haus, allerdings ohne fündig zu werden – ihre Eltern und Brüder waren vorsorglich untergetaucht, ihre als »subversive Aktivistin« auf einer Liste des Militärs stehende Schwester war kurz vor dem Militärputsch aus Myanmar nach Thailand geflüchtet. Auch Thayet fühlte sich überall vom Militär überwacht und folgte ihrer Schwester nach Thailand.

Thayet ist eine von rund 300.000 Menschen, die seit dem Putsch die über 2000 Kilometer lange Grenze zwischen Myanmar und Thailand illegal passiert haben – eine Zahl, die das Forschungsteam »Equality Myanmar«, ein Projektpartner von Terre des Hommes, ermittelt hat und das auch die Lage der Flüchtlinge in Camps entlang des Grenzgebiets von Myanmar analysiert. Dort verstecken sich tausende interne Vertriebene vor den regelmäßigen Luftwaffenangriffen der Militärjunta. Die Flüchtlinge bewegen sich in »Temporary Safe Areas«, d.h. auf momentan sicherem Terrain, wo aber jederzeit Krieg ausbrechen und ihre provisorischen Unterkünfte zerstört werden können. Dann sind sie in einer schlimmen Lage, denn das Militär treibt sie immer enger in Richtung des Salween-Flusses, der Grenze zu Thailand. Die thailändischen Behörden lassen die Flüchtlinge zwar ins Land, verweigern ihnen aber jegliche Hilfe, die sie dringend brauchen. Die Regierung beruft sich darauf, die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 nicht unterzeichnet zu haben; Partnerorganisationen von Terre des Hommes halten dem entgegen, dass Thailand die UN-Kinderrechtskonvention ratifiziert hat, die in Artikel 22 die Schutz- und Rechtsstellung von Flüchtlingskindern verlangt.


»shrinking spaces«: In vielen Teilen der Welt werden Freiheitsrechte eingeschränkt

Die Lage der Flüchtlinge aus Myanmar zeigt wie mit einem Brennglas eine Tendenz auf, unter der Millionen Menschen in allen Teilen der Welt leiden: es sind die »shrinking spaces«, die immer enger werdenden Handlungsspielräume, in denen Menschen wie in Thailand und Myanmar nicht mehr auf sicherem Terrain leben und selbstbestimmt frei handeln können. Weltweit machen autokratische Regierungen, Überwachungsstaaten und Militärdiktaturen es ihrer Bevölkerung und der ihnen als Opposition gegenüberstehenden Zivilgesellschaft schwieriger und gefährlicher, Werte wie Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit oder die würdevolle Behandlung von Flüchtlingen einzufordern. Nur knapp 15 Prozent aller Menschen auf der Welt haben heute noch die Möglichkeit, weitgehend ungehindert ihre Meinung zu sagen, sich zu versammeln und gegen Missstände anzukämpfen, ohne dafür kriminalisiert zu werden. Autoritäre Regime praktizieren Einschüchterung, Verbote und Inhaftierung zivilgesellschaftlicher Gruppen und Akteur*innen, Hetze gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen, massive Polizeigewalt als »Krieg gegen Drogen« und eben die Vertreibung ganzer Bevölkerungsgruppen.

»People will win« – »Das Volk wird gewinnen.«

Oftmals werden bewusst Feindbilder und Sündenböcke geschaffen, um von strukturellen Problemen abzulenken und die eigene Machtstellung zu sichern. Besonders betroffen sind wie überall die Kinder, die in einem Klima von Einschüchterung und Angst aufwachsen. Ihnen werden Basisleistungen wie Ernährung, Gesundheit und Schulbildung gekürzt, für Mädchen werden sie oftmals ganz verboten. Bildungs-Curricula werden geändert, unliebsame Inhalte gestrichen oder wissenschaftliche Erkenntnisse geleugnet. Weitere Beispiele sind die Vernachlässigung der Registrierung von Geburten bei unerwünschten Bevölkerungsgruppen, um so die Zahl der Menschen in den offiziellen Statistiken und damit auch deren Bedarf an Schulplätzen und Gesundheitsversorgung klein zu halten. Zudem nimmt die Bedrohung jugendlicher Aktivist*innen zu, die angegriffen, eingesperrt oder ermordet werden, weil sie sich für den Schutz ihrer ökologischen Lebensbedingungen stark machen, die umweltzerstörenden Unternehmen in ihrem Land beim Namen nennen und verklagen. Hier ist es die Aufgabe der Nichtregierungsorganisationen in den demokratisch regierten Ländern, von ihren Regierungen zu verlangen, mit autoritären Regimen keine Wirtschaftspartnerschaften einzugehen, keine Waffen zu exportieren und gezielt die zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit zu fördern.

Thayet und die Mitarbeiter*innen von Equality Myanmar sind trotz all dieser gefährlichen Widrigkeiten guten Mutes. »People will win«, sagen sie in fester Überzeugung – die Putsch-Regierung hat auch mit militärischer Überlegenheit, Gefängnis und Folter keine Zukunft. Die gehört der jungen Generation, die sich für ihre Rechte stark macht und nicht lockerlässt, bis Menschen- und Kinderrechte in Myanmar kein Fremdwort mehr sind.

*Thayet ist ein aus Sicherheitsgründen gewählter Name. Ihr tatsächlicher Name ist Terre des Hommes bekannt.


Dieser Artikel erscheint am 18. November 2024 als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau. Der Autor Wolf-Christian Ramm ist Pressesprecher von Terre des Hommes Deutschland.