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100 Jahre Edmond Kaiser – Gründer von terre des hommes

Am 2. Januar 2014 wäre Edmond Kaiser 100 Jahre alt geworden. Der Journalist gründete in der Schweiz das Kinderhilfswerk terre des hommes als Initiative von Bürgern, die Kinder aus Notlagen, wie zum Beispiel aus dem Vietnamkrieg, retteten. Lutz Beisel, Gründer des deutschen Kinderhilfswerks terre des hommes traf Kaiser im Frühsommer 1966, um mit ihm die Gründung des deutschen terre des hommes zu besprechen. Ein Erinnerungsbericht von Lutz Beisel zum hundertjährigen Geburtstag von Edmond Kaiser.

Ich musste mich in Lausanne zu seiner Adresse durchfragen und landete in einem einsam gelegenen Chalet in einer der hochgelegenen Waldinseln der Stadt, die früher über eine Zahnradbahn erreichbar war. Meine damaligen Französischkenntnisse tendierten übrigens gen Null, und ich hatte vorher, von der Wichtigkeit meiner Reise überzeugt, nicht lange überlegt, ob ich mich in Lausanne verständigen könnte. Edmond Kaiser sprach aber recht gut Deutsch. Er erzählte mir, dass um den Genfer See herum viele berühmte Künstler lebten oder wenigstens dort gerne auftraten. Er erwähnte eine Handvoll weltbekannter Dirigenten und bildende Künstler wie Marc Chagall, die alle schon Geld und Hilfestellungen für terre des hommes organisiert hatten, sei es durch Benefizkonzerte, Kunstauktionen oder dem Knüpfen von wichtigen Verbindungen, so auch zu Ärzten und Kliniken.

Das Startkapital

Nach einem kurzen Bericht über terre des hommes in einer anthroposophischen Zeitung waren etwa hundert Briefe von Lesern eingegangen, die die Arbeit lobten, die etwas spenden oder ein Waisenkind aufnehmen wollten oder alle möglichen und unmöglichen Fragen stellten. Alle Briefe wurden nach Lausanne weitergeleitet. Edmond Kaiser griff bei unserem Gespräch hinter sich in eine Schublade und holte diese hundert Briefe heraus, einige davon noch ungeöffnet, alle unbeantwortet, und gab sie mir. Wir waren uns einig, dass das eine Art Startkapital war, mit der terre des hommes-Arbeit auch in Deutschland zu beginnen. Ich war ja mit dieser festen Absicht schon nach Lausanne gefahren; es war mir aber wichtig und ein Glücksmoment für mich, dass das auch dem ausdrücklichen Wunsch von Edmond Kaiser entsprach. Scheinbar nebenbei hat mir Edmond Kaiser während unseres Gesprächs immer wieder ein wenig auf den Zahn gefühlt. So rechnete er sich an meinem Geburtsjahr 1937 aus, dass ich im und für das tausendjährige Reich noch keine aktive Rolle gespielt haben konnte. Er fragte auch nach meinem Elternhaus. Er kommentierte meine Antworten fast gar nicht, hörte aber sehr gut zu. Und ich spürte sein inneres Einverständnis, wenn ich zum Beispiel berichtete, dass mein Vater 1946 beim Wiederaufbau demokratischer Strukturen in Nordbaden eine wichtige Rolle gespielt hatte. Insgesamt war das Gespräch sehr offen, auf Augenhöhe und ermutigend, aber ohne jede Belehrung und ohne missionarischen Eifer.  

Die Mitstreiter

Später lud er mich in sein Auto, das schon bessere Tage gesehen hatte, wir fuhren in die Innenstadt, holten dort aus der Obhut einer Schweizer Familie zwei vietnamesische Mädchen von ungefähr zehn Jahren, die zu einem Krankenhaus in Monthey gebracht werden mussten. In Monthey hatte terre des hommes in einem Hospital ein hilfsbereites und fähiges Team von Ärzten und Pflegern, die sich über das übliche Maß hinaus und meist kostenlos auf die Behandlung von Kindern eingestellt hatten, die Kaiser und seine Leute irgendwo in der Welt aufgesammelt hatten. Wir fuhren mit den beiden Mädchen nach Monthey. Unter den jungen Patienten, die dort im Freien spielten, viele mit Behinderungen, war auch ein vielleicht 14-jähriger Junge afrikanischer Herkunft, der sein Fahrrad mit zwei Armen schob, denen die Hände fehlten: Elle und Speiche waren jeweils gespalten und gegeneinander beweglich, so dass die Unterarme auch greifen konnten. Kaiser stellte mir den Jungen vor und sagte: Das ist mein Sohn Amadou. Er kommt aus Afrika. Sein Lehrer hat ihn einmal zur Strafe so unglücklich an einen Pfosten gebunden, dass ihm die Hände abgestorben sind. Hier in der Schweiz gibt es einen Professor, der eine nach ihm benannte Operation erfunden hat, um bei fehlenden Händen den Unterarm zum Greifen zu befähigen. Also habe ich Amadou zu mir geholt und operieren lassen. Er will einmal Rechtsanwalt werden. Das wird ihm leicht fallen. Und er nahm ihn in den Arm.