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Abschied vom karibischen Strand – oder: Gentrifizierung auf kolumbianisch

Heute endet unsere Mitgliederreise durch Kolumbien. Und wo wir nun einmal in der Karibik sind, darf auch ein Strandbesuch nicht fehlen.

In der Bucht von La Boquilla, nördlich von Cartagena faulenzen wir in Hängematten, gehen schwimmen oder spazieren an der Wasserkante entlang.

Mit dabei ist auch heute unser Projektpartner FUNSAREP, der uns darüber informiert, wie es wirklich um den Ort La Boquilla und seinen Strand bestellt ist.  Dieser ist bei den Einheimischen zum Baden, Kite-Surfen und Relaxen sehr beliebt – dies merken auch wir, denn der Strand belebt sich am Freitag- nachmittag doch deutlich.

Die Menschen, die in La Boquilla wohnen, finden in den Strandbars oder als fliegende Händler ein einigermaßen ausreichendes Einkommen, dass sie teils durch den Fang von Fischen in der nahegelegenen Lagune aufbessern.

Hier gibt es keine Hochhäuser sondern kleinere, ein- oder zweistöckige Gebäude; und am Strand einige Wellblechkonstruktionen für Restaurants, Kaffeeausschänke oder ähnliches.

Ein größerer Kontrast zu Bocagrande im Süden von Cartagena ist kaum denkbar: Auch dort gibt es beliebte Strände – aber eben auch eine gewaltige Ansammlung von Wolkenkratzern. Doch das könnte sich ändern. Wohlhabende Kolumbianer und Investoren aus dem Ausland haben mittlerweile die Gegend von La Boquilla als Investitionsobjekt entdeckt – denn La Boquilla ist gut zu erreichen sowohl von der Altstadt als auch vom Flughafen aus. Und die Nachfrage nach Zweit- und Ferienwohnungen bei wohlsituierten Kolumbianern steigt ständig an.

Mittlerweile gibt es in La Boquilla auch das erste Hochhaus mit 5 Stockwerken. Dies ist zwar unbedeutend im Vergleich zur Skyline in Bocagrande, aber eben doch ein Einschnitt. Nicht nur der Ort, auch die Lagune soll perspektivisch für den Tourismus  entwickelt werden. Es ist sehr fraglich, ob dann noch Raum für Fischer und deren Lebenserwerb bleibt.

„Entwicklungsvorhaben“ dieser Art haben ihren Preis – und den zahlen die Menschen, deren Heimat La Boquilla bisher war. Nicht immer können sie alle notwendigen Besitznachweise erbringen, sodass sich Investoren immer mehr Grundstücke aneignen. Korruption verschlimmert das Problem. Viele Bewohner von La Boquilla mussten daher schon ihren Besitz verlassen und sind weiter nach Norden, die Küste entlang ausgewichen. Aber natürlich ist es auch nicht einfach, dort neue Besitztitel zu erwerben und sich eine neue Existenz aufzubauen.

Hinzu kommt: Bei den Investoren handelt es sich um ausländische Investoren (darunter eine bekannte Hotelkette) und um „weiße“ Kolumbianer, bei den Bewohnern vom La Boquilla hingegen um Afrokolumbianer (also Nachfahren von Sklaven). Diese sind in der Region von Cartagena generell weniger gut organisiert als beispielsweise in anderen kolumbianischen Regionen. Organisierten Widerstand gegen den touristischen Ausbau von La Boquilla gibt es bisher kaum.

„Weiße“ Kolumbianer und Afrokolumbianer

Eine gute Gelegenheit also, unsere Begleiter von FUNSAREP zu bitten, uns die Lage der Afrokolumbianer aus seiner Sicht zu erläutern.

Die Zahlen der letzten Volkszählung besagen, dass sich 25% der Kolumbianer der Gruppe der Afrokolumbianer zuordnen. In Cartagena sind es sogar mehr als 50%.

Diese Zahlen liegen höher als zuvor, was auf ein deutlich gewachsenes Selbstwertgefühl der Gruppe hinweist – aber auch etwas damit zu tun haben könnte, dass es (zum Beispiel im Bereich von Hochschulzulassungen) separate Quoten für Angehörige der afrokolumbianischen Gemeinschaft gibt.

Immer deutlicher pochen Afrokolumbianer auch auf ihr Recht auf bessere Bildung und Ausbildung. Zugleich geht es darum, auch das Wissen über die Afrokolumbianer selbst zu verbessern. Hierzu wurde an der Universidad Pública von Cartagena der Studiengang „Afrokolumbianische Studien“ eingerichtet, der stark dazu beigetragen hat, die afrokolumbianische Gemeinschaft, ihre Kultur und ihren Beitrag für die kolumbianische Gesellschaft insgesamt sichtbarer zu machen.

Dass sich das Bild der Afrokolumbianer geändert hat, hat auch etwas mit politischen Kampagnen und politischem Personal zu tun, etwa mit der derzeitigen afrokolumbianischen Vizepräsidentin Francia Márquez oder mit Piedad Córdoba, einer kürzlich verstorbenen, sehr bekannte Senatorin. Diese hatte sich vorwiegend für die Umsetzung der Menschenrechte und gegen Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, sexueller Orientierung und ethnischer Herkunft eingesetzt und um Verhandlungen mit der Guerilla bemüht.

Selbst in den Medien erhalten Afrokolumbianer und afrokolumbianische Kultur mehr Raum – Was aber auch daran liegen könnte, dass sie von den Werbetreibenden (die die Medien finanzieren) zunehmend als interessante Zielgruppe entdeckt werden.

Die verbesserte Außenwahrnehmung ist das eine, die Stärkung der afrokolumbianischen Community selbst die andere Seite derselben Medaille. Konkrete Angebote für Kinder, Jugendliche und Frauen in afrokolumbianischen Nachbarschaften vor Ort dürften auch weiterhin notwendig sein um die Lage der afrokolumbianischen Gemeinschaften dauerhaft zu verbessern. FUNSAREP und seine Bündnispartner sind hier seit vielen Jahren erfolgreich aktiv – eine stärkere ideelle und finanzielle Wertschätzung dieser Arbeit durch die zuständigen Stellen des kolumbianischen Staates und der kolumbianischen Mehrheitsgesellschaft wäre allerdings dringend notwendig.

Das war es nun also…

Unsere Reise hat uns viele interessante Einblicke in ein vielfältiges Land gegeben und uns einen Eindruck vermittelt, vor welchen Herausforderungen die kolumbianische Gesellschaft auch acht Jahre nach dem Friedensschluss mit der FARC steht. Wir sind beeindruckenden Persönlichkeiten begegnet; einige Lebensgeschichten haben uns sehr berührt. Aber wir haben auch erleben dürfen, mit wie viel Mut und guten Ideen sich unsere Projektpartner für die Verwirklichung der Kinderrechte und eine Kultur des Friedens einsetzen.

Diese positiven Eindrücke und Erkenntnisse wollen wir weitergeben – in diesem Blog und darüber hinaus. Wir stehen gerne für Vorträge, Veranstaltungen und Aktionen zum Thema Kolumbien zur Verfügung. Sprechen Sie uns an!

Wir bedanken uns unsererseits bei allen, die diese Reise möglich gemacht haben:

  • Bei allen Projektpartnern, die uns ihre Türen geöffnet und unsere Fragen beantwortet haben
  • Beim Team des ORLA-Büros, das uns sehr herzlich aufgenommen und umsorgt  hat und alle logistischen Fragen bravourös gelöst hat
  • Bei Bastian, Ana und Laura für Begleitung und Übersetzung

Und natürlich bedanken wir uns auch bei den Leserinnen und Lesern dieses Blogs und bei  allen, die die Projektarbeit von terre des hommes in Kolumbien durch ihre Spende unterstützen

Kerstin und Angelika