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»Die Kinder erzählen, dass sie Angst haben«

Johanna Kistner von unserer Partnerorganisation »Sophiatown Community Psychological Services« in Johannesburg/Südafrika hat die Gewalt der letzten Wochen miterlebt. Im Interview mit Tobias Klaus spricht sie über die Situation vor Ort.

Aus Südafrika erreichen uns seit einigen Tagen chaotische Bilder. Warum eskaliert die Gewalt?

Die Gewalt brach am 7. Juli nach der Verhaftung von Ex-Präsident Jacob Zuma wegen Missachtung des Gerichts aus. Jacob Zuma wird die weitreichende Plünderung des Landes während seiner neunjährigen Amtszeit als Präsident vorgeworfen. Auch viele andere hochrangige Funktionäre der Partei ANC sind darin verwickelt, vor allem ihr Generalsekretär Ace Magashule. Unter dem derzeitigen Präsidenten Cyril Ramaphosa wird nun versucht, zumindest einige der Schuldigen zur Rechenschaft zu ziehen.

Und Jacob Zuma wird direkt beschuldigt?

Die von Jacob Zuma selbst eingesetzte Zondo-Untersuchungskommission deckt Diebstahl von Staatsgeldern in unvorstellbarem Ausmaß auf. Nun gibt es deutliche Hinweise darauf, dass Zuma auf die Loyalität der Sicherheitsorgane und der Veteranenvereinigung zurückgreift, um sich und seine engsten Verbündeten vor Strafverfolgung zu schützen. Offenbar wurden diese Kräfte mobilisiert, um unter dem Deckmantel eines Volksaufstandes wichtige Einrichtungen anzugreifen. Allerdings ist nicht klar, inwieweit die massive Plünderung von Geschäften und Lagerhäusern vorher geplant war.

Wie wirkt sich die Situation auf die Arbeit in Ihrem Projekt aus?

Als die Gewalt in Johannesburg begann, wurde zeitgleich – angesichts der rapide steigenden Zahl von COVID-Infektionen – ein strenger Lockdown verhängt. Wir stoppten für zwei Wochen jeden persönlichen Umgang mit den Familien. Ein Kontakt während dieser Zeit war schwierig, da viele Familien kein Telefon oder Internet haben. Inzwischen versuchen wir wieder, einige der Kinder in das Zentrum zu holen, um ihnen zu helfen, ihre Erfahrungen mit der Gewalt zu verarbeiten.

Was erleben die Kinder?

In unserem Projekt betreuen wir viele Flüchtlingsfamilien, zum Beispiel aus dem Kongo. Die Schüsse, die in der ganzen Stadt zu hören waren, lösten bei vielen älteren Kindern Erinnerungen an vergangene traumatische Erlebnisse von Krieg, Massakern und Vertreibung aus. Sie erzählen, dass sie Angst hätten, weil jede Nacht Leute schrien, Schüsse fielen und Feuer zu sehen sei. Die Kinder, mit denen wir sprechen konnten, klagen über Hunger. Alle unsere Familien leben von der Hand in den Mund, und wenn sie nicht in der Lage sind, irgendetwas zu verkaufen und ein bisschen Geld zu verdienen, haben sie nichts zu essen im Haus. Am Ende des Monats wird die Miete zu einem großen Problem.

Inwiefern spielt Covid eine Rolle?

Zurzeit trifft die Pandemie das Land am stärksten. Es gibt viel zu wenig Impfstoff, so dass erst rund fünf Prozent der Bevölkerung Südafrikas eine erste oder zweite Impfung bekommen haben. Gleichzeitig gibt es Skepsis und Zurückhaltung gegenüber Impfungen, die aus dem weitverbreiteten Misstrauen gegenüber der Regierung und den Behörden resultiert. Doch schon vor COVID19 befand sich Südafrikas Wirtschaft in einer Abwärtsspirale. Für viele Menschen hier hängt das Überleben am seidenen Faden.

Was muss sich in Südafrika ändern?

Ich halte die ersten zaghaften Schritte zur Rechtsstaatlichkeit für sehr wichtig, also dass diejenigen, die sich gnadenlos bereichert haben, vor Gericht gestellt werden. Wir brauchen menschenwürdige Lebensbedingungen für alle Menschen in Südafrika. Dies wird einen politischen Preis haben, aber er muss gezahlt werden. Gerechtigkeit, Menschenrechte und sozialer Wandel müssen mehr sein als Worte, die in Wahlkampfzeiten in den Mund genommen und dann vergessen werden.

Gibt es Hoffnung, dass sich etwas ändert?

Ich glaube, dass es immer Hoffnung gibt. Ohne Hoffnung können wir diese Arbeit nicht machen. Sie beginnt bei den Kindern und bei denen, die sich um sie kümmern. Wenn wir eine bessere Gesellschaft schaffen wollen, müssen wir uns darum kümmern, was das Beste für die Kleinsten ist, nicht für die Größten oder Lautesten. Es gibt viele Menschen, die ihr Bestes geben, ob Eltern, Lehrkräfte und Gemeindearbeiter*innen, die niemals aufgeben. Unsere Arbeit hat kein Ende, aber sie muss getan werden. Denn es ist das, was uns menschlich macht.

 

05.08.2021

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