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Zum Tode Nelson Mandelas

Ein Kommentar von Claudia Berker, Afrikareferentin bei terre des hommes

Heute morgen sind wir mit der traurigen Nachricht aufgewacht, dass unser ehemaliger Präsident Nelson Mandela verstorben ist. Er hat unsere Nation in Freiheit und Demokratie geführt und ist in diesem Prozess zu einer internationalen Symbolfigur für Frieden, Vergebung und Versöhnung geworden. Seine unerschütterliche Liebe und Hingabe gegenüber Kindern hat unzählige Menschen weltweit inspiriert. Möge sein Erbe für immer weiterleuchten.

Mit diesen Gedanken spricht Länderkoordinator Mafata Mogodi seinen Kolleginnen und Kollegen aus dem terre des hommes-Büro in Südafrika aus dem Herzen, die ihren Arbeitstag in gedrückter Stimmung begannen. Bongi Diamond arbeitet dort als Reinigungskraft und hat Tränen in den Augen, als sie von Nelson Mandela spricht, dem es zu verdanken ist, dass wir nun finanzielle Hilfen für unsere Kinder erhalten und der uns gezeigt hat, wie wir in Einigkeit leben können.

Millionen Menschen weltweit trauern

Als die Nachricht vom Tod Nelson Rolihlahla Mandelas am Donnerstagabend die Südafrikaner erreichte, versammelten sich spontan hunderte Menschen vor seinem Haus in Johannesburg – Menschen unterschiedlichster Herkunft, Hautfarben und Altersgruppen. Mit Millionen Menschen weltweit betrauern sie einen Mann, der Unbeschreibliches bewirkt hat – und feiern gleichzeitig dessen Lebensleistung.  

Bereits als Südafrikas Ex-Präsident vor einigen Monaten schwerkrank in einem Krankenhaus in Pretoria lag, hielten rund um die Uhr unzählige Menschen am Zaun des Krankenhauses Wache, brachten Blumen oder hefteten Grüße und Genesungswünsche an die Gitter. Als Tata, Vater, wird Mandela angesprochen, Wir lieben Dich, hieß es auf den Plakaten ebenso wie jetzt in der Rede von Präsident Jacob Zuma, in der er seine Landsleute über den Tod des bedeutendsten Sohnes der Nation informierte.

Wie seinerzeit vor dem Krankenhaus wird auch in diesen Tagen immer wieder die Nationalhymne Nkosi Sikelel‘ iAfrica angestimmt: Sie besteht aus fünf Sprachen, eine davon ist Afrikaans, die Sprache der ehemaligen Unterdrücker aus den dunklen Apartheid-Zeiten. Es war der Wunsch Mandelas als erster Präsident des dann demokratischen Südafrikas, dass alle Bevölkerungsgruppen sich mit der Hymne identifizieren können. Und so wurde neben afrikanischen Sprachen und Englisch auch eine Strophe in Afrikaans aufgenommen. Diese wird auch von schwarzen Südafrikanern so inbrünstig gesungen wie alle anderen Verse. Es sind solche, scheinbar nebensächliche, Details, in denen aufblitzt, was Mandela für Südafrika war, ist und hinterlässt.

Mandela war eine Symbolfigur

Mit seinem Tod betrauert die Welt einen ihrer größten Staatsmänner, der durch seinen Kampf gegen das Apartheidregime und gelebten Weg der Versöhnung auch international zu einer Ikone geworden ist. Doch über Mandelas konkrete Lebensleistung hinaus verliert Südafrika vor allem eine Symbolfigur, die die Menschen über Rassengrenzen hinweg inspiriert hat, Vorbild war, innere Größe, Integrität und Güte ausstrahlte. Das hat Madiba, wie ihn die Südafrikaner liebevoll beim Namen seines Clans nennen, solch hohe Bedeutung gegeben. Nicht, dass er keine Fehler beim Aufbau des »Neuen Südafrika« gemacht hätte. Dies ist bereits Gegenstand zahlreicher historisch-politischer Analysen und wird es weiter sein. Doch das Land braucht(e) Mandela, weil er, auch als er sich schon längst aus dem politischen Leben zurückgezogen hatte, ein moralischer Referenzrahmen blieb, die Erinnerung an eine große Hoffnung, die man nicht begraben will, selbst wenn alles gegen ihre Erfüllung spricht. Die Verehrung – und nun Trauer – für ihn ist das Wenige, was ein Land aktuell eint, für dessen Einheit in Vielfalt, umschrieben mit dem bekannten Begriff der Regenbogennation, Nelson Mandela zeitlebens gekämpft hatte. Dies setzt ihn ab von seinen Nachfolgern im Amt und unzähligen anderen Politikern, die heute im Namen der einstigen Befreiungsbewegung und dann Regierungspartei ANC die Geschicke des Landes verantworten. Mandela wird umso mehr idealisiert, je größer der Kontrast zu denen, die sich zwar auf die gemeinsamen Wurzeln und Ideale berufen, aber ihre Ämter zur persönlichen Bereicherung benutzen.

Die Armut muss bekämpft werden

Es bleibt viel zu tun in Südafrika, auch für Nichtregierungsorganisationen wie terre des hommes, um diese und andere Träume des Friedensnobelpreisträgers fast ein Vierteljahrhundert nach dessen Freilassung aus dem Gefängnis Wirklichkeit werden zu lassen. Das gilt insbesondere für die Bekämpfung der Armut, die die Bevölkerung teilt und sogar noch weiter auseinanderzureißen droht. Nie gab es so viele Demonstrationen wie heute, vor allem gegen unwürdige Bezahlung und miserable staatliche Dienstleistungen. Traurigster Höhepunkt war im vergangenen Jahr der Streik der Arbeiter der Marikana-Mine: 34 von ihnen wurden durch die Polizei erschossen – dies gab es zuletzt zu Apartheid-Zeiten.

Südafrika ist außerdem das Land mit der weltweit höchsten Zahl an HIV-positiven Menschen, rund 5,6 Millionen sind betroffen. Es ist ein Verdienst Mandelas dazu beigetragen zu haben, das Schweigen über Aids im Land zu brechen: 2005 hat er nach dem Tod seines Sohnes Makgatho offen erklärt, dieser sei an Aids gestorben und Südafrika müsse endlich aufhören, diese Realität zu verdrängen und zu verstecken. Hier war er Politikern wie Jacob Zuma weit voraus, der noch auf dem Höhepunkt der Aids-Krise erklärte, Duschen nach Sex mit einer HIV-Infizierten schütze vor Ansteckung, während eine ehemalige südafrikanische Gesundheitsministerin den Genuss von Roter Beete als Mittel zur Behandlung von Aids empfahl. Auch Mandela selbst hatte das Ausmaß der Pandemie zunächst unterschätzt, engagierte sich aber später stark im Kampf gegen die Immunschwäche und ihre sozialen Folgen. Diese beeinflussen auch heute noch die Lebenssituation von Kindern besonders negativ: Ein Fünftel von ihnen hat mindestens ein Elternteil durch Aids verloren.

Schlechtes Bildungssystem

Mandelas Visionen und Mahnungen bezogen sich immer wieder auf die Jüngsten im Land: Man erkenne die Seele einer Gesellschaft daran, wie sie ihre Kinder behandele, hat er einmal gesagt. In diesem Falle wäre sich um die Seele Südafrikas sehr zu sorgen: Zur Bevölkerung von rund 51 Millionen Menschen gehören etwa 19 Millionen Kinder. Zwei Drittel von ihnen gelten statistisch als arm. Obwohl wirtschaftlich stärkstes Land in Subsahara-Afrika blicken südafrikanische Kinder in ein Leben ohne Perspektive. Dies ist zu einem großen Teil einem schlechten Bildungssystem geschuldet, das die Mehrheit seiner seine Absolventen nicht für Beruf oder Studium qualifiziert. Mandela wusste um die immense Bedeutung von Bildung, hat diese immer wieder hervorgehoben: Bildung ist der starke Motor persönlicher Entwicklung. Durch Bildung kann die Tochter eines Kleinbauern Ärztin werden, der Sohn eines Minenarbeiters Besitzer dieser Mine und das Kind eines Landarbeiters Präsident. Es gibt Beispiele von Biographien, in denen diese Vision Wirklichkeit geworden ist. Doch es sind noch viel zu wenige.

Maßstab der politischen Arbeit

Vor einigen Jahren haben die Vereinten Nationen den 18. Juli zum Mandela Day erklärt: Alljährlich zu seinem Geburtstag ist weltweit jeder aufgerufen, sich sozial zu engagieren, etwas Gutes zu tun, Verantwortung zu übernehmen. Auch Südafrikaner aus allen gesellschaftlichen Bereichen schließen sich der Aktion an, es wird Geld gesammelt, praktische Hilfe geleistet oder ein Kulturprogramm organisiert. Natürlich ist klar, dass es mehr braucht als einen solchen Tag, um die Gesellschaft grundlegend positiv zu verändern. Dennoch steckt darin eine Ahnung davon, wie Nelson Mandela für Südafrika lebendig bleiben kann: Nicht als verklärte Lichtgestalt oder über seine weisen Worte auf Kalendern und Postkarten erinnert, sondern indem seine Ansätze und Überzeugungen tatsächlich (wieder) mehr zum Maßstab auch der politischen Arbeit werden. Es liegt nun in unserer Hand, war auf einem Plakat einer Trauernden vor dem Haus Mandelas zu lesen. In der Tat – wenn seine Nachfolger dessen Erbe ernsthaft anträten – die Regenbogennation würde wieder deutlich heller strahlen. Und Nelson Mandelas Kampf für eine gerechtere Gesellschaft damit so gewürdigt, wie er es sich gewünscht hätte.

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