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Für einen Nachmittag Kind sein

Die Aktiven vom Osnabrücker Arbeitskreis FreiZeit für Flüchtlingskinder bieten den Kindern in der Flüchtlingsunterkunft Bramsche-Hesepe Ablenkung durch regelmäßige Freizeitaktivitäten: von Basteln über Klettern bis hin zu Theaterbesuchen

Die Frau hat die Augen geschlossen, ihr Kopf ruht an der Wand und ihre Gesichtszüge entspannen sich. Ein Lächeln umspielt ihren Mund. Ihre Tochter Hiam und Sohn Hamsa knien auf den dunklen Theatersesseln neben ihr. Die Sieben- und der Fünfjährige brüllen vor Lachen und springen auf. »Charuf! Charuf!«, rufen sie, als das Tier oben auf der Bühne angesichts des Gastgeschenks, eines Regenwurms, angewidert das Gesicht verzieht.

Für Hiam und Hamsa ist »Wolle und Gack« in der Lagerhalle Osnabrück das erste Theaterstück ihres Lebens. Gebannt verfolgen sie jede Bewegung von Wolle, dem Schaf, und Gack, dem Huhn. Die Schauspieler des Musiktheaters Lupe zeigen ein Stück über neue Nachbarn, die sich zunächst gar nicht grün sind. Doch als sie sich kennen- und in ihrer Andersartigkeit akzeptieren lernen, sagt Gack, das Huhn: »So schlimm ist das Fremdsein gar nicht mehr, ich habe einen neuen Nachbarn, und der ist ganz nett.« Zwei Schauspieler übersetzen das ganze ins Arabische. Der Saal ist mit 240 Kindern und ihren Eltern bis auf den letzten Platz gefüllt. Unter ihnen sind 30 Kinder und ihre Eltern aus der Flüchtlingsunterkunft Hesepe.

Die Nachmittage und Abende sind lang

Erst vor kurzem haben Hamsa, Hiam und ihre Mutter nach einer langen und gefährlichen Flucht die deutsche Grenze überquert und wurden mit einem Bus in die ehemalige Kaserne nahe Osnabrück gebracht. Hier heißt es warten - auf einen Platz in einer Wohnunterkunft, irgendwo im Land. »Die Menschen leben hier bis zu sechs Monate in Schlafsälen, ohne Rückzugsraum«, sagt Swantje Decker vom Arbeitskreis FreiZeit für Flüchtlingskinder (FFF). »Ihr Leben spielt sich ausschließlich im Lager ab.« Hamsa ist für zwei Stunden täglich in der Kinderbetreuung, Hiam darf ab nächster Woche die kleine Schule auf dem Gelände besuchen. Doch die Nachmittage und Abende sind lang, nur unterbrochen durch die festen Essenszeiten in der Kantine. »Wir sind immer in unserem Zimmer«, erzählt das Mädchen mit den wachen, neugierigen Augen. »Wir haben Stifte und Papier und malen viel.« Viel mehr zu spielen gibt es nicht.

Ein Raum zum Spielen und Kind sein

»Für Kinder gibt es im Lager nichts zu tun, es herrscht Trostlosigkeit«, sagt Swantje Decker. Deshalb bietet FreiZeit für Flüchtlingskinder im wöchentlichen Rhythmus abwechslungsreiche Freizeitaktivitäten an. »Immer wenn ich hier bin, sehe ich wieder die Notwendigkeit«, sagt Swantje Decker. »Wir holen die Kinder für einen Nachmittag raus aus dem Alltag im Lager. Wir bedrucken gemeinsam T-Shirts, stellen Anstecker her oder machen eine Schnitzeljagd. Schön ist, wenn wir bei einer Aktion wie heute auch die Eltern mit dabei haben.«

Die Aktivitäten für geflüchtete Kinder und Jugendliche reichen in das Jahr 2003 zurück, als zwei pensionierte Lehrerinnen begannen, die Kinder in Hesepe, damals noch ein Abschiebelager, regelmäßig zu besuchen und mit ihnen zu basteln und zu spielen. In den vergangenen Jahren engagierten sich zunehmend Studierende in der Initiative und verliehen ihr mehr Struktur. Dazu gehören regelmäßige Vorbereitungstreffen und feste Ansprechpersonen für die einzelnen Aktionen. Die finanzielle Unterstützung von terre des hommes ermöglichte es, einem Teil der Aktiven ein kleines Honorar auszuzahlen. So sind sie in der Lage, die Öffentlichkeitsarbeit, aber auch die Organisationsstruktur weiter auszubauen und damit die Nachhaltigkeit zu sichern. Denn Kern der Initiative sind weiterhin das ehrenamtliche Engagement der 35 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und die Spenden. »Damit ehrenamtliches Engagement gut eingesetzt ist, braucht es einen guten Rahmen«, weiß Annika Hesselmann. »Sonst verpufft es sehr schnell – entweder durch unsinnige Aktionen oder weil die Ehrenamtlichen ständig wechseln.«

Den heutigen Theaterbesuch hat Annika Hesselmann mit vier weiteren Ehrenamtlichen organisiert. Eine von ihnen ist am Vormittag in das 30 Kilometer entfernte Lager hinausgefahren, um die Arabisch sprachigen Familien persönlich einzuladen. Am Nachmittag steht der angemietete Bus bereits vor den Toren, als die Aktiven die 30 Kinder und ihre Eltern abholen. Sie werden bereits ungeduldig erwartet. »Bus, Bus?«, fragen die Kinder aufgeregt und stürmen durch den Bus auf die Sitzplätze, um gemeinsam in die Osnabrücker Altstadt zu fahren.

Hoffentlich ein besseres Leben

Nach dem Theaterstück zieht die Besuchergruppe in ein nahegelegenes Café, wo sie bei Brause und Kuchen ihre Eindrücke austauschen. An einem der Tische sitzen die neunjährige Nadia und die drei jüngeren Geschwister bei ihrer Mutter Gazele. Mit leuchtenden Augen beschreibt Nadia ihre Lieblingsszene, in der Wolle Gack durch sein Haus führt, das doch viel zu klein für die beiden ist. »Das war so toll«, sagt Nadia. Seit drei Monaten, erzählt Gazele, eine Frau mit müden Augen, ist die Familie nun in Deutschland. »Ich weiß nicht, wann ich die Kinder das letzte Mal so fröhlich gesehen habe.« Sie sind Yesiden aus dem Nordirak. Ihre Heimatstadt Shengal wurde von den Kämpfern des IS eingenommen, viele Häuser wurden zerstört und Menschen ermordet. Darunter waren auch ihre Großeltern. Mutter und Kindern gelang die Flucht in die Türkei. »Aber da war das Leben auch nicht gut«, sagt sie. »Wir sind weitergegangen, nach Deutschland, weil meine Kinder hier hoffentlich ein besseres Leben haben werden.«

Nadia wischt sich den letzten Krümel aus dem Mundwinkel. Der Bus wartet draußen, um sie zurück nach Hesepe zu bringen. In einer halben Stunde gibt es dort Abendbrot.

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