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Kein Freund und Helfer

Brasilien: Immer mehr Tote durch Polizeigewalt

terre des hommes sorgt in Brasilien dafür, dass Kinder in Armenvierteln lernen und spielen können, eine berufliche Perspektive entwickeln und Konflikte friedlich lösen. Diese Arbeit wird zunehmend schwerer, denn die Gewalt geht seit der Wahl des Präsidenten Bolsonaro nicht nur von kriminellen Banden aus, sondern immer stärker auch von der Polizei. Mit mehr als 42.000 Mordopfern pro Jahr steht Brasilien weltweit an der Spitze der Gewaltstatistik.

Die meisten der Opfer hatten das 30. Lebensjahr noch nicht erreicht. Durch Polizisten sind in Rio de Janeiro und São Paulo zuletzt mehr Menschen ums Leben gekommen als je zuvor. Allein 2019 starben 6.000 Menschen durch Polizeigewalt, 75 Prozent waren Afrobrasilianer*innen. Darunter sind viele Jugendliche. »Unter den Opfern war kürzlich auch ein 16-jähriger Jugendlicher, der in einem Projekt einer unserer Partnerorganisationen in einem Armenviertel von São Paulo mitarbeitet«, berichtet Bruna Leite, die für terre des hommes die Brasilien-Projekte koordiniert. Der Gewalt gehen stets Brandreden von Politikern voraus. Sie stempeln Jugendliche aus Armenvierteln pauschal zu Kriminellen. Dabei sind viele Kinder und Jugendliche selbst Opfer von Armut und Gewalt.

Die Bolsonaro-Krise

Gleichzeitig entwickelt sich Brasilien mit aktuell mehr als 40.000 Toten zu einem Hotspot der Corona-Krise. Obwohl allein fünf Millionen Menschen durch die Pandemie ihre Arbeit verloren und die Arbeitslosenquote auf 12,5 Prozent deutlich anstieg, leugnet die Regierung das Problem. Beide Krisenphänomene, die sprunghaft anwachsende Zahl an Infizierten und die drastische Zunahme der Gewalt, sind eng mit dem Namen Bolsonaro verbunden. Der populistische Präsident Brasiliens liebt Waffen. Das hat er schon während seines Wahlkampfes im vergangenen Jahr gestenreich gezeigt. Vor seinen Anhängern formte er seine Finger zur Pistole, sein Publikum tat es ihm gleich. Kriminelle, so seine Botschaft, könne man nur bekämpfen, wenn jeder eine Waffe trägt. Seine wichtigste Waffe zur »Wiederherstellung der inneren Sicherheit« ist dabei die Polizei. Doch Opfer dieser Politik sind immer häufiger unschuldige Menschen. »Durch Polizisten sind in Rio de Janeiro und São Paulo zuletzt mehr Menschen ums Leben gekommen als je zuvor«, sagte Pablo Nunez, Wissenschaftler an der Universität in Rio. Allein in Rio sterben jeden Tag fünf Menschen durch Polizeikugeln.

Bittere Quittung für eine Wahl

Bolsonaro verdankt seinen Sieg auch vielen Wähler*innen aus den Armenviertel, die hofften, dass der neue Präsident die Herrschaft verbrecherischer Banden beenden würde. Stattdessen geraten die Bewohner*innen selbst immer häufiger ins Fadenkreuz der Polizei. Aufsehen erregten die Bilder von Wilson Witzel, Gouverneur von Rio de Janeiro. Sie zeigen, wie er mit bewaffneten Polizisten in einem Helikopter über eine Favela der Stadt Angra dos Reis fliegt und die Uniformierten wahllos auf Häuser und Bewohner*innen im Viertel schießen. Das Video veröffentlichte Witzel anschließend auf seinem Twitterkanal.

Der Widerstand wächst

Trotz der harten Repression protestieren viele Menschen weiter gegen Polizeigewalt. »Im heutigen Brasilien sind wir Menschen in den Favelas nichts mehr wert«, sagt eine junge Frau, deren Mann von Polizisten erschossen wurde. Sie beteiligt sich an den Demonstrationen, bei denen die Fotos von Kindern, Eltern oder Ehemännern getragen werden, die unschuldig Opfer der Polizei wurden. Ende Mai organisierten sogar rivalisierende Fußballfans in São Paulo eine gemeinsame Demonstration gegen Rassismus, Faschismus und die Regierung Bolsonaro. Auch in diesem Fall beendete die Polizei den Protestmarsch mit Gewalt.

Mittlerweile kommen kritische Stimmen auch aus Polizeikreisen. So sagt Marcio Garcia Lineares, Präsident der Zivilpolizei, die Zahl der Toten und Verletzten sei auch in den eigenen Reihen stark angestiegen. Seine Forderung: »Man sollte die Beamten besser bei den Ermittlungen unterstützen, statt auf eine gewaltsame Eskalation zu setzen.«

Für die Kinder in den Elendsvierteln hat die Krise Brasiliens mehrere Gesichter: Sie erleben die Eskalation der Gewalt, den Überlebenskampf ihrer Familien und nun noch die Folgen der Corona-Pandemie. Passend dazu hat ein zehnjähriger Junge aus der Stadt Sao Bernardo do Campo einen guten Rat an Präsident Bolsonaro: »Sorgen Sie sich lieber ein bisschen mehr um unser Leben. Und hören Sie auf, so viel Mist zu machen.«

 

19.06.2020

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