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Polizeigewalt in Brasilien

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Neue Studie: »Hört auf uns zu töten!« Polizeigewalt gegen Kinder und Jugendliche in Brasilien und Waffenhandel

Die Polizeigewalt in Brasilien hat dramatische Ausmaße angenommen. Viele der Opfer sind Kinder und Jugendliche aus ärmeren Stadtvierteln, vor allem schwarze Jungen und junge Männer.

Die im Juni 2021 veröffentlichte Studie von terre des hommes Deutschland und terre des hommes Schweiz in Zusammenarbeit mit dem Instituto Sou da Paz (Brasilien) belegt anhand von Fallbeispielen und der Auswertung von zum Teil unveröffentlichten Daten, dass die von Polizei und Militär eingesetzten Schusswaffen, Panzerfahrzeuge und Hubschrauber oft aus deutscher oder Schweizer Herstellung stammen.

Wegen der kriegsähnlichen Zustände in bestimmten Stadtvierteln und der gravierenden Menschenrechtsverletzungen fordert terre des hommes von Regierungen und Unternehmen einen sofortigen Exportstopp sämtlicher Rüstungsgüter nach Brasilien.

Pressemitteilung zur Vorstellung der Studie

»Hört auf uns zu töten!« Polizeigewalt gegen Kinder und Jugendliche in Brasilien und Waffenhandel (Studie deutsch, PDF-Dokument)

Infografik Polizeigewalt und Waffenhandel (PDF-Dokument)

Menos armas, mais jovens! Violência armada, violência policial e comércio de armas (Estudo em português, documento PDF)

Ihr Ansprechpartner

Ralf Willinger
Referat Programme und Politik
Tel. 05 41 / 71 01 - 108
r.willinger@remove-this.tdh.de

Daten und Fakten

In den Armenvierteln vieler brasilianischer Städte herrschen kriegsähnliche Zustände. Für Kinder und Jugendliche, die dort leben, gehört die tödliche Gewalt zum Alltag. Alle kennen Mordfälle in ihrem näheren Umfeld. Laut offiziellen Zahlen wurden im Jahr 2020 in Brasilien 50.000 Menschen ermordet. Die Mordrate an Minderjährigen ist eine der höchsten weltweit, ein erheblicher Teil geht auf das Konto der Polizei.

2020 töteten brasilianische Sicherheitskräfte 6.416 Menschen, ein erneuter Rekordwert und Anstieg gegenüber dem Vorjahr. Davon waren ein Viertel unter 19 Jahre alt. Das heißt: Jeden Tag werden in Brasilien im Schnitt vier Kinder und Jugendliche von Polizisten oder Militärs erschossen.

Einen großen Anteil an der Welle staatlicher Gewalt hat der rechte Präsident Jair Bolsonaro: Mit seinen Hetzreden legitimiert er das brutale Vorgehen und stachelt die Polizei an, sämtliche »Banditen abzuknallen«. Ähnlich agieren einige Gouverneure von brasilianischen Bundesstaaten wie João Doria aus São Paulo. Die meisten Opfer von Polizeigewalt sind Schwarz, männlich und arm.

»Polizeigewalt hat seit der Corona-Pandemie stark zugenommen«

Mit hochpotenten Kriegswaffen, die auch aus Deutschland, der Schweiz und anderen europäischen Ländern kommen, führen Polizisten auf staatliches Geheiß einen »Krieg gegen Drogen und Kriminelle«, nehmen das Gesetz oft in die eigene Hand und sind auch direkt in kriminelle Aktivitäten involviert. Bei ihren Einsätzen in den Favelas gefährden sie häufig unbeteiligte Passantinnen und Passanten, oftmals auch Kinder und Jugendliche, oder attackieren diese ganz direkt.

Im Mai 2020 wurde der Fall des 14-jährigen João Pedro Martins aus São Gonçalo im Großraum von Rio publik: Er hatte mit seinen Cousins gespielt, als Polizeibeamte 72-mal auf das Haus seiner Familie schossen und zwei Granaten warfen. In São Paulo drang im selben Monat im Jardim Elba im Stadtviertel Sapopemba, in dem terre des hommes Projekte für Kinder und Jugendliche fördert (s.u.), ein Zivilpolizist in das Haus der Familie des 16-jährigen Juan ein und erschoss ihn vor seiner Mutter und den fünf jüngeren Geschwistern. Der Mörder hielt sich noch eine Stunde nach der Tat im Haus auf und wurde von ankommenden Militärpolizisten nicht etwa zur Verantwortung gezogen, sondern beglückwünscht, wie die unter Schock stehende Mutter berichtete.

»Die Polizeigewalt hat seit Beginn der Corona-Pandemie stark zugenommen. Offenbar nutzen die Täter aus, dass sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf die Pandemie konzentriert und sehen das als Freibrief, um noch brutaler vorzugehen«, sagt Bruna Leite, Länderkoordinatorin von terre des hommes.

Verfehlte Drogenpolitik und Straflosigkeit

Ein Grund für die Gewalteskalation ist die verfehlte Drogen- und Kriminalitätsbekämpfung, die auf Gewalt setzt. »Ein guter Bandit ist ein toter Bandit«, lautet ein weit verbreiteter Leitsatz.

Wer im Armenviertel lebt und männlich ist, steht unter Generalverdacht, ins illegale Drogengeschäft oder andere kriminelle Aktivitäten verwickelt zu sein. Bei Gewalttaten von Polizisten hingegen werden meist beide Augen zugedrückt, es herrscht fast komplette Straflosigkeit.

Forderungen

Angesichts der hohen Gefährdung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen infolge von massiver Polizeigewalt, fehlender oder mangelhafter Strafverfolgung, kriegsähnlichen Zuständen in Wohnvierteln und gravierenden Mängeln in der Kontrolle der staatlichen Bestände von Munition und Waffen fordern terre des hommes Deutschland und terre des hommes Schweiz von den verantwortlichen staatlichen Stellen, Regierungen und Unternehmen in Deutschland, Schweiz und der EU:

  •  sofortiger Stopp aller Rüstungsexporte nach Brasilien
  • Stopp des Transfers von Rüstungstechnologie und -fachwissen nach Brasilien
  • Stopp des Verkaufs von Waffen und Rüstungsgütern durch europäische Unternehmen in Brasilien
  • umfassende und systematische Kontrollen des Endverbleibs schon gelieferter Rüstungsgüter
  • konsequentes Einfordern der Einhaltung von Menschenrechten und Völkerrecht und Sanktionen bei Nichteinhaltung

Projektbeispiel

Jugendliche Streitschlichter

Gewalt und Rassismus sind Teil der Lebensrealität vieler junger Menschen in São Paulo. Besonders marginalisierte Kinder und Jugendliche in den »Favelas«, den ärmeren Stadtvierteln, müssen Polizeigewalt und Rassismus erleben.

Hier unterstützt terre des hommes zivilgesellschaftliche Initiativen wie CEDECA Sapopemba: Jugendliche werden zu Mediator*innen ausgebildet und geben ihr Wissen in speziellen Straßenfußballprogrammen an Kinder und Jugendliche in den Favelas weiter. »Die Kinder lernen, wie sie Konflikte ohne Gewalt lösen können und gewinnen Vertrauen zueinander und zu uns «, erzählt Mariana Andrade, eine der jungen Mediatorinnen. »Viele berichten schon bald von ihren Problemen zu Hause, mit Freunden oder in der Schule. Unser Training trägt dazu bei, dass es weniger Streit und Gewalt gibt.«

Außerdem werden Verletzungen der Rechte von Kindern und Jugendlichen identifiziert. Junge Menschen, die teilweise selbst von Polizeigewalt betroffen sind, organisieren Aktionen auf politischer, juristischer und sozialer Ebene, um Kindern und Jugendlichen eine Stimme zu geben. Dazu gehören Proteste gegen Polizeigewalt und Rassismus an öffentlichen Plätzen, Workshops und Kurse zu gewaltfreier Konfliktlösung an Schulen, Musikkurse und Sportaktivitäten, wie der Straßenfußball. CEDECA berät und begleitet außerdem juristisch Fälle von Rechtsverletzungen betroffener Kinder und Jugendlicher.

Interview mit Mariana Andrade, Mediatorin bei CEDECA Sapopemba

 

 

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