Mosambik: Gewalt gegen Mädchen und Frauen
Interview mit Benilde Nhalevilo, Direktorin des Forums für Kinderrechte in Mosambik
Benilde Nhalevilo ist Direktorin des Forums der Zivilgesellschaft für Kinderrechte (ROSC), einem Dachverband von rund hundert Organisationen. Mit Unterstützung von terre des hommes und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) setzt sie sich gegen häusliche Gewalt, Teenager-Schwangerschaften und Frühehen ein. Wir sprachen mit ihr in Mosambiks Hauptstadt Maputo.
Benilde, welche Formen von Gewalt gegen Frauen und Mädchen sind in Mosambik besonders häufig?
Es gibt sehr viele Formen von Gewalt, jede dritte Frau leidet darunter. Manchmal werden pro Quartal mehr als tausend Vergewaltigungen registriert. Fast 40 Prozent aller Mädchen sind vor ihrem 18. Lebensjahr schwanger. Wir haben auch viele Frühehen von Minderjährigen. An den Schulen gibt es sehr viel sexuelle Belästigung. Manche Lehrer missbrauchen ihre Schülerinnen. Aber den Mädchen wird oft nicht geglaubt. Anstatt bestraft zu werden, wird der Lehrer an eine andere Schule versetzt.
Werden die Täter bestraft?
Oft nicht. Zum Beispiel wurde vor drei Monaten bekannt, dass ein Lehrer ein zehnjähriges Mädchen missbraucht hatte. Es ist ihm nichts passiert, er ist frei. Er hat die Mutter des Mädchens wegen Verleumdung angezeigt. Das Opfer wird zum Täter gemacht und der Täter wird zum Opfer. Das ist leider eine verbreitete Praxis in Mosambik.
Da trauen sich die Opfer nicht, zur Polizei zu gehen…
Manche erstatten trotzdem Anzeige. Da hat sich schon etwas geändert. Aber zu einer wirklichen Verfolgung der Täter ist es noch sehr weit. Oft gehen die Opfer nicht gleich zur Polizei, sondern erstmal zu Hilfsorganisationen, zum Beispiel zu uns. Es vergeht keine Woche, ohne dass wir von über 30 Fällen erfahren. Erst gestern haben wir den Fall eines 15-jährigen Mädchens erhalten, das von seinem Vater regelmäßig sexuell missbraucht wird.
»Hier muss das Kind gehorchen«
Steigt die Zahl der Fälle?
Wir haben kaum Studien, aber mein Eindruck ist: ja. Allerdings kommt auch mehr ans Licht. Wir kennen die Zahl der Missbrauchsfälle aus den Krankenhäusern oder aus den Schulen. Denn wenn ein Mädchen missbraucht wurde und verletzt ist, denkt es zuerst daran, ins Krankenhaus zu gehen. Und in der Schule vertrauen sie sich manchmal den Lehrkräften oder den Mitschüler*innen an. Fest steht: Wir brauchen mehr Prävention. Denn wenn wir die Kinder sehen, waren sie schon Opfer. Die Haupttäter sind diejenigen, die die Kinder eigentlich schützen sollen: Väter, Stiefväter, Onkel, Nachbarn, Lehrer. Die Kinder müssen lernen, NEIN zu sagen zu gewaltsamen Situationen oder Beziehungen.
Die Bildung hier bringt den Kindern kaum bei, NEIN zu sagen…
Nicht nur die Schulen, auch die Familien, die Nachbarschaft, alle sind der Meinung: Ein Kind muss gehorchen. Deshalb sind Projekte, die Kinder über ihre Rechte informieren, so wichtig. Den Kindern muss beigebracht werden: Du kannst NEIN sagen! Du bist eine Person mit Rechten. Du bist ein Mensch. Du hast das Recht, glücklich zu sein. Diese Projekte machen uns Hoffnung und geben Kraft.
Was sind die Ursachen der Gewalt?
Der Machismo ist hier sehr stark. Die Frau wird in Mosambik nicht besonders wertgeschätzt. Sie soll zuhause bleiben, den Haushalt machen und sich um die Kinder kümmern. Nicht nur auf dem Lande, auch in den Städten ist es so, und auch unter gebildeten Personen sind solche Diskurse gängig. Eine andere Ursache ist die Armut. Sie bringt die Menschen dazu, an ihre Kinder nur als zusätzliche Esser zu denken. Wenn sie sie weggeben, muss ein Mund weniger gefüttert werden. Und wenn jemand verkauft werden soll, dann trifft es nicht die Jungen, sondern die Mädchen. Denn die Mädchen haben keinen Wert. Drittens herrscht ein Mangel an Bildung: Wir haben zwar Einschulungskampagnen und die Kinder gehen zunächst zur Schule. Aber viele brechen sie wieder ab, denn die Qualität ist sehr schlecht. Nur wenige Kinder beenden die Schule, und das sind in aller Regel nicht die Mädchen.
»Die Mädchen sollen begreifen, dass sie Rechte haben und NEIN sagen können«
Ist Abtreibung in Mosambik legal?
Ja, seit 2015 wird sie nicht mehr kriminalisiert. Ärzte hatten die Initiative für die Legalisierung ergriffen. Denn sie hatten die Frauen mit schlimmen Komplikationen wegen verpfuschter illegaler Abtreibungen im Krankenhaus.
Sind Väter unterhaltspflichtig?
Ja, aber meistens tauchen sie unter. Und wenn man sie doch findet, sagen sie, sie haben kein Geld.
Gibt es viel Prostitution?
Sehr viel. Wenn du abends in die Baixa gehst, in das Hafenviertel von Maputo, siehst du sie auf der Straße. Es gibt auch viele Häuser, in denen Prostituierte arbeiten. Es wird nicht versteckt.
Worum geht es in dem Projekt, das von terre des hommes und dem BMZ gefördert wird?
Zum einen wollen wir die Mentalität verändern. Die Mädchen sollen begreifen, dass sie Rechte haben und NEIN sagen können. Das macht einen großen Unterschied: Die Mädchen, die du heute im Projekt siehst, haben sich noch vor wenigen Monaten nicht getraut, ein Wort zu sagen. Sie senkten ihren Kopf, hatten Angst, jemanden anzusehen. Manche haben sich völlig ihrem Schicksal überlassen. Heute sind sie aktiv. Sie beobachten ihre Nachbarschaft und denunzieren Gewalt. Sie helfen Gleichaltrigen. Sie erklären ihnen zum Beispiel, wie man eine Anzeige machen kann. Sie gehen auch an Schulen und reden mit den Jugendlichen über Männer- und Frauenbilder, über Frühehen, Teenager-Schwangerschaften und Sexualität. Die Zahl der Mädchen, die durch das Projekt betreut werden, ist auf diese Weise enorm gestiegen.
Wir arbeiten aber nicht nur mit den Mädchen, sondern auch mit den Gemeindevorstehern. Denn sie haben sehr viel Macht. Wir wollen, dass sie Veränderungen einleiten. Dass sie NEIN sagen zu einer Kultur, die Kindern Gewalt antut.
Drittens helfen wir Mädchen in schwierigen Situationen, unabhängig und selbständig zu werden, indem sie zum Beispiel ein kleines Startup gründen. Sie sollen etwas machen können, was ihnen Spaß macht. Es ist wunderbar zu sehen, wie sich die Mädchen ändern, wenn sie diese Chance bekommen.
24.11.2023