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»Unsere Erwartungen sind nicht übertrieben«

Schwersand-Abbau in Mosambik

Wo heute noch Kokospalmen und Apfelsinenbäume wachsen, Häuser stehen und Friedhöfe liegen, will eine Tochter des Rohstoff-Giganten Rio Tinto schwermineralische Sande abbaggern. Die Bevölkerung stellt Bedingungen – und wird dabei von terre des hommes unterstützt.

Luisa Joaquim aus Nhalicocoane glaubt an eine bessere Zukunft: »Unsere Kinder werden Arbeitsplätze haben, wir werden Schulen und Gesundheitsstationen bekommen, fließend Wasser und Strom«, verkündet die 53-jährige Bäuerin auf dem Versammlungsplatz des Dorfes unter einem großen Cashewnuss-Baum.

Dafür sorgen wird, so hat sie gehört, das Unternehmen Mutamba Mineral Sands (MMS). MMS ist eine Tochter des britisch-australischen Rohstoff-Giganten Rio Tinto und will dort, wo bis jetzt noch das Dorf Nhalicocoane steht, schwermineralische Sande abbauen. Konkret: Zirkon, Rutil und Ilmenit, auch bekannt als Titaneisen.

 

Mit Schwerlastern soll das Extrakt in den Hafen der Hauptstadt Maputo und dann über Richards Bay in Südafrika nach China verschifft werden. Dort werden die Mineralien vor allem bei der Herstellung hochwertiger Farben und Porzellanglasuren verwendet. Rund 500 Kilometer nördlich der Hauptstadt Maputo – an der fischreichen und bei Touristen beliebten Küste von Inhambane – hat MMS eine Konzession für 25.000 Hektar Land. In der ersten Phase will das Unternehmen auf 261 Hektar die Rentabilität des Vorhabens prüfen.

Tausende Menschen sind betroffen, denn dort, wo der Sand abgebaggert werden soll, liegen ihre Felder, ihre Friedhöfe und ihre Dörfer. Fast alle leben von kleinbäuerlicher Landwirtschaft. Sie ernten Maniok, Bohnen, Mais, Salat, Kokosnüsse, Mangos oder Apfelsinen und halten sich ein paar Hühner. Die Gegend ist arm. Entsprechend hoch sind die Erwartungen an den wirtschaftlichen Aufschwung durch den Schwersandabbau. In Nhalicocoane haben die Familien klare Vorstellungen von dem neuen Dorf, in das sie umgesiedelt werden sollen.

»Wir verlangen, dass es dort Strom gibt, fließend Wasser, eine Schule und einen Markt«

»Wir verlangen, dass es dort Strom gibt, fließend Wasser, eine Schule und einen Markt«, sagt Dercia Castro. »Wenn es das alles nicht gibt, dann ziehen wir auch nicht um.« Auch die Friedhöfe mit den toten Familienangehörigen sollen mitgenommen werden, das ist den Menschen aus Nhalicocoane wichtig. »Das, was ich hier habe, müssen sie mir dort auch geben«, sagt Dercia.

Die 24-Jährige gehört zum Umweltclub von Nhalicocoane. Er wurde von der Organisation Kuwuka JDA ins Leben gerufen und wird – wie sechs weitere Umweltclubs in ebenfalls betroffenen Dörfern – von terre des hommes und dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) unterstützt. In den Umweltclubs diskutieren die jungen Menschen über positive und negative Aspekte des Schwersand-Abbaus, informieren sich über ihre Rechte, vernetzen sich und bereiten sich auf die öffentlichen Anhörungen vor, die nach internationalen Standards vorgeschrieben sind und regelmäßig stattfinden.

»Vertreter der betroffenen Dorfgemeinschaften nehmen zwar an den Anhörungen teil«, sagt Zito Covane, der das terre des hommes-Projekt und die Umweltclubs koordiniert, »aber sie werden nicht ausreichend informiert und können nicht wirklich mitreden. Es wird ein technisches Fachvokabular verwendet, das sie nicht verstehen können. Außerdem ist die Atmosphäre sehr einschüchternd: Es sind Leute von der Regierung dort, Polizei, und verschiedene Experten. Deshalb ist es unwahrscheinlich, dass sie sich kritisch zu Wort melden.« Zito Covane erklärt insbesondere den Jugendlichen in den Umweltclubs, worum es geht bei den Anhörungen, welche Risiken der Schwersandabbau mit sich bringt und welche Rechte sie haben. Er macht ihnen Mut, sich zu beteiligen und für ihre Interessen und die des Dorfes zu kämpfen. Wenn das Projekt startet, sollen sie MMS an seine Versprechen erinnern können.

»Wir sollen nicht alles akzeptieren, was man mit uns macht«

»Kuwuka JDA ist an der Seite der Dorfgemeinschaft«, sagt Julião Sikisse, der Dorfchef von Nhalicocoane. »Sie helfen uns zu sehen, was gut ist und was nicht gut ist. Wir sollen nicht alles akzeptieren, was man mit uns macht und nicht zu allem JA sagen. Das, was kommt, muss sogar besser sein als das, was wir jetzt haben.«

Dass die Dorfgemeinschaften und allen voran die Jugendlichen die Bedeutung einer gesunden Umwelt erkennen und wertschätzen, ist auch Ziel der Radiospots, die Kuwuka JDA im Kommunalradio platziert und die regelmäßig in der lokalen Sprache Bitonga und in Portugiesisch gesendet werden. Die Jugendlichen sollen lernen, sich für die Natur und für ihre Rechte einzusetzen – sowohl gegenüber dem Unternehmen MMS als auch gegenüber staatlichen Institutionen.

Denn wenn es um den Abbau von Rohstoffen geht, werden Versprechen oft nicht gehalten und die lokale Bevölkerung muss allzu häufig die negativen Folgen wie ökologische Schäden hinnehmen, während die Gewinne von anderen gemacht werden. Auch in Mosambik, das beim Korruptions-Index von Transparency International auf Platz 142 von 180 steht, gibt es dafür zahlreiche Beispiele. Einflussreiche Politiker der Regierungspartei FRELIMO (Frente de Libertação de Moçambique) haben Unternehmensanteile und sehen gern darüber hinweg, wenn Steuern nicht bezahlt werden. Der Beitrag der wachsenden Rohstoffindustrie zu den Staatseinnahmen in Mosambik bleibt deshalb weit unter seinen Möglichkeiten.

»Was nützt mir ein Job, wenn die Umwelt zerstört wird?«

»Ich war ziemlich nervös, als ich mich bei der Anhörung in Inhambane zu Wort gemeldet habe«, gibt der 20-jährige Artur zu. Auch er gehört zu einem der Umweltclubs, sein Dorf heißt Madonga. Es soll zwar - zumindest in der ersten Phase – nicht umgesiedelt werden, ist aber durch die absehbaren Umweltbelastungen betroffen. Artur befürchtet Staub, Schwerlastverkehr, Unfälle und Vibrationen, die die Häuser beschädigen und Schlangen in Richtung Dorf vertreiben könnten.

Was genau mit ihrem Dorf und ihren Feldern passieren wird, hat den Menschen aus Madonga bisher niemand gesagt. Sie haben lediglich beobachtet, dass an vielen Stellen Bodenproben entnommen wurden. Artur macht sich Sorgen: »Niemand weiß, ob sich die Natur wieder erholt, wenn das Gebiet renaturiert wird«, gibt er zu bedenken. Das Hauptargument der Sandabbau-Befürworter, die etwa hundert zu erwartenden Arbeitsplätze, lässt er nicht gelten: »Was nützt mir ein Job, wenn die Umwelt zerstört wird? Dann komme ich nach Hause und die Luft ist schlecht. Und wenn ich das Fenster aufmache, kommen Abgase herein, Qualm und Lärm. Die Umwelt ist für mich wichtiger als ein Arbeitsplatz im Bergbau. Ich habe vielleicht weniger Geld, aber ich lebe gesund.«

Noch hat MMS keine Förderlizenz. Das Umweltverträglichkeitsgutachten, das von der Firma selbst bezahlt wurde, hat selbst für die FRELIMO-Regierung zu viele Schwächen und Unklarheiten, um das Projekt durchzuwinken. Zahlreiche Risiken werden zwar genannt, aber das Fazit ist dennoch: Die Sandförderung könne starten, sie hätte mehr positive als negative Auswirkungen. Dass dieses Ergebnis eine Gefälligkeit an den Auftraggeber sei, weist der Gutachter von sich: Es sei immerhin möglich, den größten Teil der Schäden wieder zu beheben. Der fruchtbare Oberboden werde zum Beispiel eingelagert, um wieder ausgebracht zu werden, wenn MMS nach 25 Jahren abzieht.

Wohin werden die über 300 Menschen aus Nhalicocoane, die bereits in der ersten Phase umgesiedelt werden sollen, gehen können? Wie hoch wird die Kompensation für die zerstörten Felder und Fruchtbäume sein? Werden die Friedhöfe trotz der Kosten mit umgesiedelt werden? Wird eine vollständige Renaturierung möglich sein? Sehr vieles ist unklar, aber die Vorbereitungen für den Schwersandabbau sind bereits in vollem Gange: Bäume wurden gefällt, es gibt Unterkünfte für die Arbeiter, einen Arzt und den sogenannten Wendelscheider, eine spiralförmige Rutsche, die durch Schwerkraft die Mineralsande vom restlichen Sand trennt.

Inwieweit sich die Hoffnungen von Luisa Joaquim, Dercia Castro und den anderen Dorfbewohnern auf Arbeitsplätze und ein besseres Leben erfüllen und inwieweit sie – wie so viele vor ihnen – nur die Nachteile des Sandabbaus zu spüren bekommen, während die Gewinne von anderen eingesteckt werden, hängt auch davon ab, wie gut sie verhandeln und MMS an seine Versprechen erinnern können. Die Bäuerin Luisa Joaquim wirkt entschlossen: »Unsere Erwartungen sind nicht übertrieben hoch«, sagt sie. »Sie sind unser Recht. Wenn MMS NEIN dazu sagt, sagen wir auch NEIN.«

21.07.2023