Kommentar: Menschenrechte und Umweltschutz? Aber ohne Deutschland
Wirtschaftsverbände und FDP haben sich durchgesetzt: Deutschland wird nicht für ein EU-Lieferkettengesetz stimmen. terre des hommes ist bestürzt über diese Kehrtwende in letzter Minute. Die Bundesregierung hatte mitverhandelt, alle Interessengruppen wurden mehrfach angehört und einbezogen. Justizminister Buschmann (FDP) hatte Abschwächungen verlangt und bekommen. Am Ende des demokratischen Aushandlungsprozesses stand ein politischer Kompromiss zwischen Kommission, Rat und Parlament. Die liberale Fraktion im EU-Parlament, zu der auch die FDP gehört, hatte den Kompromiss enthusiastisch als Erfolg gefeiert.
Der Kompromiss sieht vor, dass Unternehmen ihre Lieferkette im Hinblick auf Risiken für Menschenrechte und Umwelt analysieren, Vorbeugemaßnahmen treffen und sich um Abhilfe bemühen. Unternehmen, die sich drücken oder fahrlässig handeln, müssten Bußgelder fürchten. Wenn sie Schäden verursachen, könnten Betroffene vor Zivilgerichten in EU-Mitgliedstaaten Schadensersatz einklagen.
Das ist längst überfällig. Sei es bei der Ausbeutung von Kindern in Bergwerken und Textilfabriken, sei es beim Dammbruch einer Eisenerzmine im brasilianischen Brumadinho mit 272 Toten oder beim Brand der Textilfabrik Ali Enterprises in Pakistan mit 259 Toten Der Zugang zu Recht blieb den Betroffenen und Hinterbliebenen – darunter viele Kinder, die ihre Eltern verloren haben – verwehrt. Obwohl auch deutsche Unternehmen ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten grob missachtet und damit zum Schaden beigetragen hatten und beitragen. Auf Druck der Union hatte die letzte Bundesregierung im Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz auf eine zivilrechtliche Haftungsregel verzichtet. Nun blockiert die FDP diese auch, obwohl sie maßgeblich aus der Feder des Bundesjustizministeriums von Marco Buschmann stammt.
Die Kehrtwende der Bundesregierung schädigt nicht nur das Ansehen Deutschlands als verlässlicher politischer und wirtschaftlicher Partner in Europa. Sie zeigt, dass die Bundesregierung Menschenrechten und Umweltschutz keine Priorität einräumt.
Es reicht, dass ein Koalitionspartner in letzter Sekunde »Bürokratie« schreit, und der Kanzler knickt ein. Dabei folgen diesem Einwand nicht einmal Unternehmen. Mehrere Umfragen aus den letzten Wochen ergaben, dass die übergroße Mehrheit der Unternehmen keine oder nur geringe Belastung durch ein EU-Lieferkettengesetz sieht.
Jetzt verlieren viele, vor allem die betroffenen Menschen weltweit: Arbeitende Kinder, die in Bergwerken Rohstoffe für Handys und Autos schürfen. Arbeiterinnen und Arbeiter, die zu Hungerlöhnen in Textilfabriken schuften. Gewerkschafter, die schikaniert und bedroht werden. Dorfgemeinschaften, die ihre Lebensgrundlagen verlieren, weil verantwortungslose Unternehmen Flüsse und Böden verseuchen. In Deutschland werden Verbraucherinnen und Verbraucher enttäuscht sein, die sich mehr Engagement von der Politik gegen Produkte aus Ausbeutung erhofft hatten. Gewerkschafter*innen, Engagierte in Menschenrechtsorganisationen, Hilfswerken und Kirchen werden sich fragen, wie ernst die Bundesregierung ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag »Mehr Fortschritt wagen« meint.
Zu denen, die verlieren, gehören auch viele Unternehmen, die sich für Menschenrechte in ihren Lieferketten interessieren und Klima- und Umweltschutz ehrgeizig umsetzen. Die Methoden entwickelt haben, sich mit anderen zusammen engagieren und an Standorten in Produktionsländern konkrete Verbesserungen anregen und begleiten. Große Konzerne ebenso wie Mittelständler hatten sich öffentlich für das EU-Lieferkettengesetz engagiert. Sie betonen, dass das EU-Lieferkettengesetz sich an Richtlinien der Vereinten Nationen und der OECD anlehne, an denen sie sich schon seit Jahren orientieren. Sie wollen endlich gleiche Wettbewerbschancen denen gegenüber, die Profite auf Kosten von Menschen und Umwelt erzielen.
Das alles scheint der Bundesregierung egal zu sein. Der Bundeskanzler hätte ein Machtwort gegen die Sabotage der FDP sprechen können, die Minister*innen von SPD und Grünen hätten sich ernsthafter für ein solches Machtwort einsetzen können – und müssen.
Wir hoffen, dass die anderen EU-Mitgliedsstaaten dem EU-Lieferkettengesetz zustimmen und es trotz der deutschen Ablehnung in Kraft treten kann. Die Chancen stehen nicht gut. Die rechte Regierung Italiens könnte das Zünglein an der Waage sein. Scheitert die Abstimmung am kommenden Freitag, könnte die belgische Ratspräsidentschaft nochmals in Verhandlung mit den Mitgliedstaaten treten. Doch die Zeit drängt: Bis zur Europawahl im Juni müsste das EU-Lieferkettengesetz verabschiedet sein. Europaweit wird mit einem Rechtsruck gerechnet. Die Chancen für einen erneuten Versuch, ein Lieferkettengesetz zu verhandeln, stünden dann noch schlechter.
07.02.2024