»Einfach mal Kind sein …«
Marija Kurtić (25) wurde in Hamburg als Kind serbischer Roma geboren. Als sie sieben Jahre alt war, ging die Familie auf Druck der Ausländerbehörde nach Serbien zurück. Mit 15 kam Marija wieder in die Elbmetropole und lernte das Wohnschiffprojekt Altona kennen. Heute ist sie dort als Jugendleiterin tätig.
Deutschland, Serbien und zurück: Wie war es für dich, als Teenager wieder nach Hamburg zu kommen?
Nachdem wir nach Serbien gehen mussten, habe ich meine Eltern ständig gefragt: Wann fahren wir wieder nach Hause? Ich konnte kein Serbisch sprechen und durfte nicht am Schulunterricht teilnehmen. Für mich ist Deutschland meine Heimat und ich war überglücklich, als ich nach Hamburg zurückkam. Dass wir hier wieder bei null anfangen mussten, hat mich damals aber auch traurig gemacht. Wir haben in Asylunterkünften gelebt und ich konnte in den ersten Monaten nicht zur Schule gehen. Mitarbeiter vom Wohnschiffprojekt haben mich dann bei der Schulanmeldung unterstützt.
Wie sahen deine ersten Begegnungen mit dem Wohnschiffprojekt aus?
Wir waren in der Unterkunft in Hamburg-Billstieg untergebracht und dort kam Marily* auf meine Geschwister und mich zu. Sie ist beim Wohnschiffprojekt ehrenamtlich tätig. Wir sind damals Schlittschuh laufen gegangen, daran erinnere ich mich noch sehr gut.
Welche Bedeutung hatte das Wohnschiffprojekt für dich als Kind?
Anfangs war das Wohnschiffprojekt für mich das einzig Schöne in Deutschland. Überall sonst hat man uns als Flüchtlinge und Asylbewerber betrachtet und verurteilt – aber dort habe ich mich wohlgefühlt. Ich habe gespürt: Hier gibt es Menschen, die dich nicht ablehnen. Dort konnte ich alle Probleme vergessen. Zu Hause habe ich dann gemerkt, dass meine Eltern sich Sorgen machten. Sie waren damals sehr in Angst, dass wir Deutschland wieder verlassen müssen. Auch ich dachte oft: Oh, jetzt müssen wir zur Ausländerbehörde und wir bekommen nur noch zwei Tage Verlängerung oder so was. Das Wohnschiffprojekt war zu der Zeit wirklich der einzige Ort, an dem ich einfach mal Kind sein durfte. Uns wurde die Stadt Hamburg gezeigt und wir haben Ausflüge gemacht. Solche Erlebnisse sind für Kinder aus Unterkünften absolute Highlights. Nach zehn Jahren erinnere ich mich zum Beispiel immer noch supergerne daran, wie ich zum ersten Mal an der Ostsee war und mich der Geschmack von Salzwasser überrascht hat.
Du arbeitest in Vollzeit als medizinische Fachangestellte in einem Impfzentrum. Am Wochenende bist du ehrenamtlich als ausgebildete Jugendleiterin für das Wohnschiffprojekt tätig. Das klingt anstrengend…
Ich weiß selbst, wie man sich als Kind fühlt, wenn man in einer Asylunterkunft wohnt: eingesperrt und ausgeschlossen. Weil man die Sprache nicht gut beherrscht und Angst hat, verlässt man die Unterkunft ohne Eltern nur selten, nur für Arzt- oder Behördentermine oder zum Einkaufen. Mir fällt es deshalb nicht schwer, etwas von meiner Freizeit für die Kinder zu geben. Samstags begleite ich einen gemischten Sportkurs und sonntags einen Kurs für Mädchen. Wir achten bei der Programmgestaltung auf die Wünsche der Kinder und Jugendlichen, gehen zum Beispiel in den Trampolinpark, fahren an den Boberger See. Und wenn ich miterlebe, wie sich Kinder freuen, die zum ersten Mal Schlittschuh laufen: Das ist einfach wunderschön!
Was gewinnen die Kinder und Jugendlichen in euren Gruppen?
Wer hier neu ankommt, hat meist Angst, ist verschlossen und redet nicht viel. Mit der Zeit bekommen die Kinder Vertrauen, der Kontakt wird enger und sie erzählen von sich, ihrer Familie und der Schule. Auch im Umgang mit anderen werden die Kinder und Jugendlichen immer lockerer und sie tauschen sich gegenseitig aus. Sie wissen, dass sie einen Ort haben, an dem sie sicher sind und wo man ihre Wünsche ernst nimmt. Dadurch gewinnen sie an Stärke.
Ein sicherer Ort für Flüchtlingskinder
Das »Wohnschiffprojekt Altona« arbeitet seit über 20 Jahren mit und für geflüchtete Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Hamburg. Fester Bestandteil des Konzeptes ist es, die Menschen zu stärken. »Integration« wird dabei als »gleiche Rechte für alle« verstanden und nicht als bloße Anpassung. In den 90er- Jahren waren Flüchtlingsfamilien in Hamburg-Altona auf Wohnschiffen untergebracht. Das Projekt startete 1992 als Inlandsprojekt von terre des hommes mit einem Kinderprogramm auf und rund um die Schiffe. Seitdem die Schiffe 2006 geschlossen wurden, werden Bildungs- und Freizeitangebote für Geflüchtete entwickelt, die mit ihren Familien in den lagerähnlichen Unterkünften im Hamburger Stadtgebiet leben.