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Moria: Desaster mit Ankündigung

Mit dem Brand von Moria ist das Scheitern der europäischen Flüchtlingspolitik dramatisch sichtbar geworden. Thomas Berthold ist terre des hommes-Experte zum Thema Flucht. Im Interview spricht er über die Situation der Kinder und was die Politik machen muss, um den Menschen auf Lesbos zu helfen.

terre des hommes prangert die menschenverachtende europäische Flüchtlingspolitik schon lange an. Es war ein Desaster mit Ankündigung. Wo genau liegen die Ursachen?

Die Ursachen liegen in der europäischen Flüchtlingspolitik der letzten 30 Jahre. Es war und ist erklärtes Ziel, die europäischen Grenzen immer weiter an den Rand Europas zu verlagern. Das führt dazu, dass seit vielen Jahren Griechenland und Italien die zentralen Einreisestaaten sind. Aufgrund der Konstruktion der europäischen Flüchtlingspolitik, sind diese Länder für die Aufnahme, Versorgung und Asylverfahren zuständig. Perspektivisch gehen die Vorstellungen sogar dahin, dass die Verfahren in Drittstaaten rund um die EU verlagert werden.

Die EU betreibt seit Jahrzehnten eine Politik, um Flucht- und Migrationsbewegungen zu steuern, zu kontrollieren und zu minimieren. Demgegenüber steht die steigende Zahl von flüchtenden Menschen und die erleichterte Mobilität vieler. Grenzen, Zäune, Meere halten die Menschen nicht auf, sie machen den Weg nur schwerer und tödlicher.

Die jetzige Situation ist der Kulminationspunkt vieler weiterer Prozesse: Griechenland ist überfordert mit der Situation, es gibt keine ausreichenden Versorgungsmöglichkeiten, die Bereitschaft anderer EU-Staaten, tatsächlich mit der Übernahme von Geflüchteten zu helfen, ist extrem begrenzt, und auch die Uneinigkeit innerhalb der EU in Flucht- und Migrationsfragen spielt eine Rolle. Hinzukommen rassistische und populistische Haltungen in vielen Ländern, die entweder Angst bei den Regierenden auslösen im Sinne flüchtender Menschen zu agieren oder sich als Teil der Programme regierender Parteien wiederfinden.

Wichtig ist aus meiner Sicht festzustellen, dass die EU-Politik krachend gescheitert ist – auf Kosten von flüchtenden Menschen.

Kannst Du das Leid der Kinder beschreiben, die von der jetzigen Situation betroffen sind?

Ich würde mit einer Gegenfrage antworten: Wie wird es Kindern gehen, die monatelang unter erbärmlichen Bedingungen leben mussten und denen nun auch noch der letzte kleine Raum weggenommen wurde? Die Kinder befinden sich gegenwärtig in einem rechtlosen Zustand ohne jeglichen Schutz, auch ihre Eltern können diesen nur rudimentär bieten. Ich glaube nicht, dass Worte dafür ausreichen, diesen Zustand zu beschreiben.

Bei all dem Leid finde ich aber auch wichtig zu betonen, dass wir in unseren Projekten und im persönlichen Kontakt immer wieder viele starke Kinder und Jugendliche kennenlernen, die trotz dieser erlittenen Situationen ihren Weg ins Leben gehen. Und genau da können wir als terre des hommes agieren.

Unsere Kolleg*innen von terre des hommes Hellas sind seit vielen Jahren vor Ort aktiv. Die Schwerpunkte sind dabei rechtliche Beratung, die Fort- und Weiterbildung von Mitarbeiter*innen, die Durchführung von Freizeitaktivitäten und die Etablierung von Kindesschutzmaßnahmen.

Es ist endlich Zeit zu handeln. Was muss die Politik jetzt dringend machen?

Zunächst einmal sollte sich die die Politik daran erinnern, dass die Menschenrechte universell sind, sie gelten für alle. Das heißt auch für Menschen auf der Flucht.

Die jetzt notwendigen Schritte sind ganz einfach: humanitäre Hilfe leisten und Flugzeuge schicken, um die Menschen auf andere EU-Staaten zu verteilen. Gemeinsam mit elf anderen Organisationen haben wir das in einem offenen Brief gefordert, der heute an die Bundeskanzlerin verschickt wurde. Die Aussage von Horst Seehofer, 150 Minderjährige aufzunehmen, zeigt wieder nur einmal, dass die Bundesregierung keine Verantwortung für eine Situation übernimmt, die sie mit zu verantworten hat.

Und dann geht es an die Ursachen: Das sogenannte Gemeinsame Europäische Asylsystem braucht dringend eine Reform. Allerdings ist das Problem, dass alle bekannten Reformvorschläge, beispielsweise von der EU-Kommission oder dem Bundesinnenministerium in die völlig falsche Richtung weisen. Es sollen Außengrenzverfahren installiert werden, das bedeutet, dass riesige Flüchtlingslager an den europäischen Außengrenzen zum gesetzlichen Standard werden sollen, die Entrechtung geflüchteter Menschen wird hier auf die Spitze getrieben.

Wir brauchen also nicht weniger als wirklichen Wandel in der europäischen Flüchtlingspolitik, dieser ist aber gegenwärtig nicht erkennbar, im Gegenteil.

 

11.09.2020

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