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Michael Zeuske: Sklaverei

Eine Menschheitsgeschichte von der Steinzeit bis heute
Verlag: Reclam, Ditzingen, 2018
303 Seiten
Preis 28,00 €
ISBN-13: 9783150111550
ISBN-10: 3150111552

Schon der Untertitel des Buches weist auf die Erkenntnis des Autors hin: Die Geschichte des Menschen kann auch als Geschichte der Sklaverei beschrieben werden. In der historischen Entwicklung der Menschheit sei die Sklaverei immer dabei gewesen. »Man hat sie bei zahlreichen Namen genannt, und sie wird noch andere Namen geben; und Sie und ich und wir alle sollten besser abwarten, welche neue Form dieses Monster annehmen wird, in welcher neuen Haut diese alte Schlange daherkommen wird.«

Die Kontinuität des Zwangs
Mit Worten von Frederick Douglass‘ aus einer Rede von 1865 beginnt und endet das Buch von Michael Zeuske, Professor für Iberische und Lateinamerikanische Geschichte an der Universität Köln. Dass Sklaverei weder mit der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 noch mit der Auflösung der letzten Gulags zu Ende ist, das wird dem Leser deutlich vor Augen geführt. Wer sich bei terre des hommes engagiert, kennt die Berichte über Zwangsarbeit, über Zwangsrekrutierung, über Gewalt gegen Kinder und Frauen und trotz der Gesetze in den meisten Ländern, die das untersagen, und weiß, wie schwer es engagierten Organisationen fällt, dagegen anzugehen. Die historische Betrachtung des Autors hat mir geholfen, die Kontinuität des Zwangs und der gewalttätigen Aneignung der Arbeit von Menschen, deren Status mit unterschiedlichen Begründungen als tiefstehend angesehen wurde und wird, zu begreifen.

Sklaverei ist überall zu finden
Zeuske versteht Sklaverei anthropologisch-historisch. Damit trägt er der Tatsache, dass Sklaverei zeitlich und räumlich überall zu finden ist, Rechnung. Die anthropologische Universalie besteht aus seiner Sicht in der Herauslösung von Menschen aus ihrer sozialen Umgebung und der erzwungenen Unterordnung in niedrigem Status in einer anderen Gemeinschaft. Im Kern der Definition Zeuskes steht die Gewalt, mit der Männer, Frauen und Kinder ihrer Mobilität und Entscheidungsfreiheit beraubt und zu Leistungen des Körpers gezwungen werden oder gar das Leben selbst geben müssen. Damit sind die Menschen zugleich Kapital der Sklavenhalter, die auch Institutionen oder der Staat sein können.

Die globalhistorische Betrachtung hat Zeuske zur Einteilung in vier Sklavereiplateaus gebracht, die er auch chronologisch schichtet, beginnend vom Jahr 20 000 v. Chr. Da die für ein Plateau vorherrschende Sklaverei nie die einzige Form ist und jede einmal entwickelte Sklaverei auch in folgenden Plateaus wieder aufzufinden ist, also nicht verschwindet, spricht Zeuske von Sklaverei im Plural, also von Sklavereien, die jeweils unterschiedliche Ausprägungen haben. Diese globalhistorische Betrachtung war für mich ein großer Erkenntnisgewinn, denn auch ich habe Sklaverei im wesentlichen als Rechtsverhältnis nach dem römischen Recht aufgefasst und später mit der kolonialen und imperialen Ausdehnung Europas und dem damit verbundenen Menschenhandel assoziiert. Diese Sichtweise wird durch die Studie von Zeuske grundlegend verändert und damit auch der Blick geschärft für die Sklavereien, die es nach der Abolition weiterhin oder wieder gab. Mit neuen Begriffen versuchte man die Zuschreibung »Sklavenarbeit« zu vermeiden oder eine Unterscheidung zur Sklaverei nahezulegen, wie z.B. mit dem Begriff »Zwangsarbeit«, der immer stärker auch in der internationalen Rechtsdebatte aufgegriffen wurde. Formale Sklaverei im Sinne des römischen Rechts gibt es heute nicht mehr, das ändert aber nichts an der gewalttätigen Unterwerfung von Menschen im Sinne der Definition von Sklaverei. Schuldsklaverei, Sexsklaverei, Zwangsprostitution, Kinderzwangsarbeit, Zwangsehen, Zwangsrekrutierung von Kindern werden als die wichtigsten Formen von der zuständigen »working group« der UNO genannt.

Detailreiche Recherchearbeit
Das Buch enthält auch ein Kapitel über China, das historisch als eigener globaler Raum gesehen werden muss und auch andere Sklavereien hervorgebracht hat. Im Kapitel über die Zahlen und über die Verteilung der weltweit Versklavten kommt der Autor zu dem Schluss, dass es von 1500 – 1800 aus bzw. in Europa insgesamt ca. 5,5 Millionen Versklavte gegeben hat. Die Zahlen der von europäischen Staaten verschleppten Sklaven aus Afrika sind ebenfalls in einer Tabelle dargestellt, es sind insgesamt 12,5 Millionen Menschen. Zeuske hat für dieses Buch eine enorme Fülle von Material und Literatur zu Rate gezogen, die 14 Seiten Literaturangaben zeugen davon. Es ist für Leser außerhalb des wissenschaftlichen Interesses nicht immer leicht zu lesen, aber die Mühe lohnt sich auf jeden Fall.

Die Lektüre schärft den Blick für die heutigen Sklavereien. Man nimmt sich vor, sie nicht mehr durch beschönigende Wortwahl zu kaschieren. Durch die globalhistorische Betrachtung erhellt die Studie aber auch die Fortdauer und das Wiedererscheinen schon überwunden geglaubter Formen der Sklaverei. Der Autor weist selbst darauf hin, dass sein Buch kein Buch über Menschenrechte sei, sondern über Sklaverei aus der Perspektive der Versklavten. Und in der Tat, nach der Lektüre schien mir der Fortschritt in der Abschaffung oder wenigstens Einhegung der Sklaverei eher bescheiden, aber ohne Verrechtlichung und ohne weitere Bemühungen zur Durchsetzung von Rechtsverhältnissen lässt sich die Situation von heute noch Versklavten auch nicht verbessern.

Wer daran mitarbeiten will, wird nach der Lektüre des Buchs mit Argumenten und neuer Motivation gut versorgt sein.

Monika Huber

Ein Gesamtübersicht aller in dieser Rubrik besprochenen Bücher und Leseempfehlungen finden Sie auf unserer Seite »terre des hommes-Medientipps«.

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