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Die tödliche Welle im Indischen Ozean

Bilanz der Tsunami-Katastrophe 2004 

Die Katastrophe
Die Bilder der Zerstörung, die vor zehn Jahren um die Welt gingen, sind vielen Menschen noch in Erinnerung. Es war der 26. Dezember 2004 gegen 1:00 Uhr Ortszeit, als sich von der Küste vor Indonesien riesige Wellen bildeten und die Küstenregionen zahlreicher Anrainerstaaten im Indischen Ozean zubewegten. Wenig später schlugen die durch ein Seebeben ausgelösten Wassermassen mit ungebremster Wucht auf Land.

Innerhalb kürzester Zeit ertranken 240.000 Menschen in den Fluten, hunderttausende Familien wurden getrennt, etwa 1,7 Millionen Bewohner in den betroffenen Regionen obdachlos. Heute, zehn Jahre nach der Katastrophe, gelten 50.000 Menschen noch immer als vermisst.

Der Tsunami war das drittstärkste jemals registrierte Seebeben. Die Bilder der Verwüstungen und des Leids sorgten für weltweites Aufsehen: Überall starteten in den Folgetagen Hilfsaktionen, politische Entscheidungsträger und internationale Organisationen riefen zur Hilfe auf. Viele Länder entsandten Expertenteams, um bei der Versorgung von Verletzten und der Suche nach Überlebenden zu helfen.

Auch in Deutschland wurden Rettungsteams zusammengestellt und Flugzeuge mit Lebensmitteln und Medikamenten beladen. Hilfsorganisationen veröffentlichten Spendenaufrufe; Millionen Menschen folgten den Aufrufen oder sammelten Spenden und Hilfsgüter für die Überlebenden der Katastrophe. Auch Medien riefen zur Hilfe auf. Überall entstanden Initiativen, die sich für die Opfer der Katastrophe engagierten. Viele Firmen und Unternehmen beteiligten sich mit Großspenden, Sachmittel oder Dienstleistungen zur Verfügung. Es entstand eine Hilfs- und Unterstützungsbereitschaft, wie sie Deutschland in dieser Form bis dahin kaum erlebt hatte.  

Nach dem Beben
Bereits wenige Stunden nach dem Beben gelang es terre des hommes, Kontakte zu Projektpartnern und Mitarbeitern in Indien, Thailand und Indonesien aufzunehmen. Schnell wurde deutlich, wie unterschiedlich die Ausgangssituation war: Während in Thailand bereits kurz nach dem Seebeben die Rettungsmaßnahmen auf Hochtouren liefen, waren weite Teile der betroffenen Küstenregionen in Indien nur sehr schwer zu erreichen.

Aus der indonesischen Krisenregion Aceh lagen zunächst nur spärliche Informationen vor, weil die Region durch die Welle fast komplett zerstört und von der Außenwelt abgeschnitten wurde. Der terre des hommes-Krisenstab entschied daraufhin, in Thailand drei Soforthilfemaßnahmen in der Höhe von knapp 430.000 Euro zu unterstützen und den Schwerpunkt der Hilfe auf Indien und Indonesien zu richten.

In Sri Lanka, wo der Tsunami ebenfalls große Zerstörungen hervorgerufen hatte, wurde terre des hommes nicht aktiv, da hier kein eigenes Netzwerk von Projektpartnern existierte. terre des hommes half aber über das neu entstandene Netzwerk Bündnis Entwicklung Hilft. terre des hommes gehört zu den Gründungsmitgliedern dieses im Januar 2005 gegründeten Zusammenschlusses mehrerer deutscher Hilfsorganisationen.  

Schwierige Ausgangslage
Obwohl der Tsunami in beiden Ländern verheerende Zerstörungen anrichtete, unterschied sich die Situation grundlegend: Während in Indien ein schmaler Küstenstreifen Tamil Nadus und Keralas im Südosten und Süden betroffen war, blieben die Transport- und Kommunikationswege im Hinterland weitgehend intakt.

In Aceh zerstörte der Tsunami hingegen den größten Teil der gesamten Infrastruktur. Auch die sozialen Voraussetzungen waren sehr verschieden: Während die terre des hommes-Projektpartner in Indien bereits seit vielen Jahren in den betroffenen Dörfern aktiv und mit den Verhältnissen gut vertraut waren, hatten die Partner in Aceh vor der Katastrophe einen drei Jahrzehnte andauernden Bürgerkrieg erlebt. Der bewaffnete Konflikt war für die Zivilbevölkerung mit großen wirtschaftlichen Problemen und sozialen Spannungen verbunden. Die mit dem Krieg verbundene Repression hatte zur Folge, dass es in Aceh nur wenige lokale Hilfs- und Menschenrechtsorganisationen gab. Auch terre des hommes hatte viele Jahre Schwierigkeiten, ungehindert in der Region zu arbeiten.

Durch den Tsunami wurden vielerorts die Büros der ohnehin schwachen Organisationen zerstört, teilweise wurden die Mitarbeiter Opfer der gewaltigen Flutwellen. Vor diesem Hintergrund war es besonders schwierig, die Hilfsmaßnahmen effektiv zu koordinieren. Erschwert wurde die Situation dadurch, dass nur wenige Flugzeuge zur Verfügung standen, um Hilfsgüter und Helfer in die abgelegene und fast völlig zerstörte Krisenregion zu bringen.

Während in Indien eine große Zahl an freiwilligen Helfern, Fachkräften und vor allem Projektpartner zur Verfügung standen, um die Soforthilfemaßnahmen schnell in Gang zu setzen, gab es in Aceh zunächst große Probleme, geeigneten Kooperationspartner und qualifiziertes Personal zu finden, so dass die Hilfsmaßnahmen dort erst mit einiger Verzögerung starten konnten.  

Indonesien hatte die meisten Opfer und die größten Schäden zu beklagen. Hier wurden durch den Tsunami mehr als 131.000 Menschen getötet, 76.700 verletzt, 514.150 Menschen obdachlos. In Indien kamen 12.400 Menschen ums Leben, 647.600 wurden obdachlos.


So half terre des hommes in Aceh/ Indonesien
terre des hommes unterstützte in Indonesien insgesamt 28 Projekte in Höhe von 5,1 Millionen Euro. Damit wurden folgende Maßnahmen finanziert: 

  • Soforthilfemaßnahmen: Decken, Medizin und sauberes Trinkwasser.
  • Betreuung und Versorgung: terre des hommes hat sich besonders auf die Versorgung von Kindern und Familien konzentriert.
  • Langfristige Maßnahmen: Bau von Häusern, vier Kinderschutzzentren mit  pädagogischen Angeboten für Kinder. Die Kinderschutzzentren sind noch immer in  Betrieb, eines wird mittlerweile als Schule genutzt.
  • Kreditprogramme: Mikrokreditprogramm vor allem für Frauen, mit denen sie in Saatgut oder Tiere investieren und damit ihre Selbstversorgungsfähigkeit stärken konnten. Dieses Angebot wird auch heute noch in Anspruch genommen.
  • Psychosoziale Betreuung: Da viele Überlebende psychologische und soziale Hilfe benötigten, wurde ein Team von 14 Psychologen und 90 Gesundheitshelfern qualifiziert und in Traumatherapie ausgebildet. Die Fachleute konnten insgesamt 3.200 Menschen, größtenteils Kinder und Frauen, helfen, ihre furchtbaren Erlebnisse, den Verlust von Angehörigen und den Anblick der Zerstörungen zu verarbeiten.
  • Langfristige Wirkung: Die positiven Erfahrungen, die die Helfer bei den Therapien machten, kommen heute anderen Opfern zugute. Die Trauma-Experten sind mittlerweile Teil eines Netzes von Fachkräften und vermitteln ihre Kenntnisse an Kollegen in Kambodscha, Burma und Thailand.
  • Nachhaltigkeit: Zwei langfristig angelegte Projekte haben in den ländlichen Dorfgemeinschaften Acehs bewirkt, dass die Bevölkerung heute sensibler auf die Belange von Kindern reagiert und mehr auf die Bildung und Gesundheit von Kindern geachtet wird. 

Die internationalen Hilfsmaßnahmen nach dem Tsunami hatten in Aceh teilweise auch negative Folgen. Nicht alle Organisationen konnten sich auf eine regional verankerte Projektpartnerstruktur verlassen. Rückblickend sagt der Südostasien-Koordinator von terre des hommes, Alberto Cacayan: »Es gab internationale Geldgeber, die beispielsweise Programme wie Bargeld für Arbeit einrichteten. Damit sollte den Menschen ein Einkommen garantiert und der Wiederaufbau der Dörfer in Angriff genommen werden. Doch die Basis der Dorfgemeinschaften beruhte auf gegenseitiger Hilfe und freiwilliger Zusammenarbeit. Als die Programme ausliefen, verweigerten viele Dorfbewohner ihren solidarischen Beitrag für die Gemeinschaft und forderten Geld für ihre Hilfe beim Wiederaufbau. Diese Praxis war vor allen dort festzustellen, wo Organisationen tätig waren, die mit den regionalen und kulturellen Hintergründen in Aceh nicht vertraut waren«.

So half terre des hommes in Indien

Der indische Bundesstaat Tamil Nadu war der zweite Schwerpunkt der Tsunami-Hilfe von terre des hommes. In der ersten Phase unterstützte terre des hommes die Überlebenden mit Lebensmitteln, Medikamenten und sauberem Wasser. Es wurden provisorische Küchen eingerichtet und Möglichkeiten zur Betreuung von Kindern eingerichtet.

Die Hilfe galt vor allem den Mädchen und Jungen, die durch die Katastrophe ihre Eltern verloren hatten oder die von ihren Familien getrennt wurden. Es begann die Suche nach Angehörigen, die den Tsunami überlebt hatten. Einige Kinder, die ihre Eltern verloren hatten, konnten bei Angehörigen untergebracht werden. Die schnelle Hilfe war möglich, weil sich terre des hommes bei der Umsetzung auf die lokalen Projektpartner verlassen konnte, die seit vielen Jahren in den betroffenen Dörfern tätig waren.

Die zweite Phase des Engagements von terre des hommes in Tamil Nadu konzentrierte sich auf die Beseitigung der Schäden und den Wiederaufbau. Die Menschen in den Küstenregionen der Region leben vor allem vom Fischfang und von der Landwirtschaft. Der Tsunami hatte innerhalb weniger Stunden viele Familien um ihre Existenzgrundlage gebracht: Die meisten Fischerboote waren zerstört, die Netze wurden von der Flut mitgerissen. Durch das Meerwasser wurden im Hinterland die fruchtbaren Böden der Bauernfamilien versalzen. 

Die terre des hommes-Hilfe konzentrierte sich nun darauf, die Menschen wieder in die Lage zu versetzen, sich selbst zu ernähren und die Dörfer wieder aufzubauen. Für die Fischer wurden Boote und Netze angeschafft, die Böden mit technischer Unterstützung der Landwirtschaftlichen Universität von Tamil Nadu entsalzt und die Äcker wieder in einen fruchtbaren Zustand gebracht. Mehrere tausend Bauern profitierten von dieser Maßnahme. Zusätzlich wurden Ziegen und Rinder angeschafft und an Kleinbauern verteilt. Dieses Programm hat erfolgreich die landwirtschaftliche Produktion der armen Gemeinden gestärkt.

Das Seebeben hat zudem verdeutlicht, dass der Prävention von Katastrophen mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden muss. Schnell war klar, dass die flachen Küstenlinien keinen ausreichenden Schutz vor Flutwellen bieten. Daher begann man gemeinsam mit den Fischergemeinden, natürliche Barrieren aus Sanddünen, Palmen- und Mangrovenanpflanzungen aufzubauen.

In vielen Gegenden steht inzwischen der Schutz der künstlichen Dünen und der  angepflanzten Vegetation auf der Tagesordnung vieler Schulklassen. Die Kinder werden darin fortgebildet und machen sich den Umweltschutz zu eigen. Viele damals von terre des hommes eingerichtete Kinderzentren, in denen Nachhilfe und Freizeitprogramme angeboten werden, sind mittlerweile in die Trägerschaft der Gemeinden übergegangen.

Überblick über die Maßnahmen in Indien

  • Soforthilfe: Verteilung von Nahrungsmitteln und Medikamenten
  • Grundversorgung: Basisgesundheitsversorgung, Erstversorgung und Betreuung der Kinder, Grundausstattung mit Utensilien, Werkzeugen, Kleidung
  • Baumaßnahmen: Bau/Reparatur/Ausstattung von Häusern, Brunnen, Aufbereitung von Regenwasser, Räumen von Schutt, Bau sanitärer Anlagen
  • Landwirtschaftliche Programme: Entsalzung von Böden (rund 80 Prozent der Böden konnten bis 2007 komplett entsalzt werden), Verteilung von Kühen zur Milchproduktion, Impfung von Tieren
  • Grundausstattung: Verteilung/Reparatur von Booten, Motoren und Netzen
  • Langfristige Maßnahmen: Bau von Schulen, Ausbildungszentren und Kindergärten, Grundausstattung für Schulkinder, Betreuung der Schüler, Ausbildung von Lehrern, spezielle Kurse für die psychosoziale Betreuung von traumatisierten Kindern, Teilnahme an Trainingsmaßnahmen, Förderung von Selbsthilfegruppe von Frauen, Sommer-Camps für Kinder

Die terre des hommes Hilfsmaßnahmen wurden von 29 Partnerorganisationen in Indien unterstützt. Insgesamt unterstütze terre des hommes Projekte und Hilfsmaßnahmen mit Spendenmitteln in Höhe von rund 7,2 Millionen Euro. Die geförderten Projekte konzentrierten sich - nach der Implementierung der Soforthilfemaßnahmen - auf den Wiederaufbau der sozialen Infrastruktur und Maßnahmen zur langfristigen Verbesserung der Lebensqualität.

Die langfristige Wirkung besteht darin, dass die Organisationsfähigkeit der Betroffenen verbessert werden konnte. Dies drückt sich in den vielen neuen Frauen- und Gewerkschaftsgruppen sowie in Vereinigungen aus, die sich um die bessere Vermarktung ihrer Produkte, aber auch um die Vertretung ihrer Interessen gegenüber den Behörden und lokalen Autoritäten kümmern.

Kinder partizipieren heute stärker am öffentlichen Leben in den Dörfern und sind vor allem über die Schulen an Maßnahmen zum Küstenschutz beteiligt. Dabei lernen sie, wie sie ihre Umwelt schützen und bewahren und wie sie sich künftig bei ähnlichen Katastrophen verhalten müssen. Wichtig war es den Partnern von terre des hommes, in die verschiedenen Programme auch gesellschaftliche Gruppen wie die Dalits einzubeziehen, die in Indien stark diskriminiert werden.

Fazit
terre des hommes achtet darauf, humanitäre Soforthilfe und langfristige entwicklungspolitische Programmarbeit miteinander zu verbinden. Beide Ansätze realisiert terre des hommes mit qualifizierten Partnern vor Ort, die kulturell eingebunden sind, Zugang zu den Menschen haben und am besten wissen, was vor Ort benötigt wird.

Obwohl schnell zu erkennen war, dass wegen der extremen Zerstörungen und der langjährigen Bürgerkriegssituation in Aceh diese Voraussetzungen anfänglich in Frage standen, hat sich terre des hommes aufgrund der dringenden Bitten der lokalen Partner für ein rasches Engagement auch in dieser Region entscheiden. Die vielfältige Hilfe, die für Tausende von betroffenen Menschen geleistet werden konnte, hat diese Entscheidung im Nachhinein gerechtfertigt.

In Indien konnten sich die Maßnahmen von Beginn an auf etablierte lokale Projektpartnerstrukturen stützen. Auch hier hat die Unterstützung zum Wiederaufbau zur Stärkung der lokalen Bevölkerung, zum Beispiel ihrer Organisationsfähigkeit und politischen Durchsetzungskraft, geführt und dazu beigetragen, den Lebensstandard der Menschen in der Region deutlich zu verbessern.

Durch die Verbindung von kurzfristiger Nothilfe mit langfristigen entwicklungsbezogenen Projekten entfalten die Programme zur Stärkung der Gemeinden vor Ort nachhaltige Wirkung im Sinne der Betroffenen und ihrer Kinder.  



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